SPD lehnt Tietmeyer ab: Merkels Kandidat gescheitert
Ausgerechnet der einstige Bundesbankchef Hans Tietmeyer sollte die Regierung bei der Erarbeitung internationaler Finanzregeln beraten. Doch die SPD machte das nicht mit.
BERLIN taz Die Debatte über das 480-Milliarden-Paket der Bundesregierung schien bereits gelaufen. Viele Abgeordnete hatten den Plenarsaal verlassen, als der SPD-Haushaltspolitiker Carsten Schneider ans Rednerpult trat. "Mit Verwunderung" habe die SPD zur Kenntnis genommen, dass die Kanzlerin dem früheren Bundesbankpräsidenten Hans Tietmeyer den Vorsitz eines Expertengremiums zur Reform der Finanzmärkte antragen wolle, erklärte Schneider. "Meine Fraktion trägt diese Personalie nicht mit."
Da waren gerade neunzig Minuten vergangen, seit Angela Merkel in ihrer Regierungserklärung zur Finanzkrise die Bildung eines solchen Gremiums angekündigt hatte. "Ich habe Professor Tietmeyer gebeten, diese Expertengruppe zu führen", hatte sie hinzugefügt. Ohne Absprache mit dem Koalitionspartner?
Und das, wo die Kanzlerin und ihr Finanzminister Peer Steinbrück seit Wochen auf nichts so stolz sind wie auf die Geschlossenheit der Regierung beim gemeinsamen Krisenmanagement. Und ausgerechnet Tietmeyer? Wo doch der Mann als Aufsichtsrat der Hypo Real Estate nichts bemerkt hatte von deren bedrohlicher Schieflage.
Der Satz des SPD-Abgeordneten Schneider löste sofort hektische Aktivität aus auf der Regierungsbank. Es dauerte nur eine gute Stunde, bis die Nachrichtenagenturen eilig meldeten: "Tietmeyer verzichtet auf Beraterposten bei Merkel." Damit war die koalitionäre Geschlossenheit wiederhergestellt. An Schuldzuweisungen wollten sich im Anschluss weder Regierungssprecher Thomas Steg noch das Finanzministerium beteiligen. "Ich kann Ihnen im Moment nicht sagen, wer mit wem in den vergangenen Tagen über einzelne Namen gesprochen hat", behauptete Steg.
Der Eklat überschattete eine Debatte, in der die Regierung eigentlich Einigkeit und Entschlossenheit demonstrieren wollte - und sich darin sogar mit der Linkspartei einig war. Deren Fraktionschef Oskar Lafontaine dozierte zwar ausführlich über die Gefährdung der Demokratie, sagte dann aber: "Wir haben doch gar keine andere Wahl, als das Finanzmarktsystem schleunigst wieder in Gang zu bringen. Insofern ist das, was Sie technisch machen, in der Sache nicht zu kritisieren." Merkel und ihre Minister, die Lafontaine sonst mit demonstrativem Desinteresse strafen, hörten aufmerksam zu.
Der Bannstrahl traf diesmal die CSU. Deren Landesgruppenchef Peter Ramsauer hielt die längste Rede des Vormittags, sagte darin aber wenig Neues - außer dass er, zur Erheiterung auch von Unionsabgeordneten, mehrfach das Wirken von Wirtschaftsminister Michael Glos (CSU) lobte. Glos hat sich seit einem allgemein als missglückt bewerteten Fernsehauftritt bei Anne Will zur Finanzkrise kaum noch geäußert. Während Ramsauer redete, tat Merkel, was sie bei Auftritten von CSU-Granden in letzter Zeit immer tut: Sie schrieb Kurznachrichten, führte Gespräche, studierte Akten.
Ungewohnt war dagegen, dass Grünen-Fraktionschef Fritz Kuhn die Regierungsarbeit weitaus kritischer bewertete als Lafontaine. "Im Unterschied zur Linkspartei, die dazu gar nichts gesagt hat, finden wir die Art, wie Sie dieses Rettungspaket aufgelegt haben, verkehrt", meinte Kuhn. Es sei falsch, dass es zu dem Gesetzentwurf keine Alternative gebe. "Man kann ein Rettungspaket an entscheidenden Punkten vollständig anders gestalten." Dazu gehöre, das Haushaltsrecht des Parlaments zu wahren und die Banken stärker in die Pflicht zu nehmen.
FDP-Chef Guido Westerwelle kritisierte Ähnliches, vergriff sich dabei aber nach Ansicht mehrerer Debattenredner im Ton. "Warum sollen die Notverordnungen vollständig am Parlament vorbeigehen?", fragte er. Parallelen zur Weltwirtschaftskrise nach 1929 sahen zwar auch andere Politiker, dem suggerierten Vergleich zwischen Merkel und dem damaligen Reichskanzler Heinrich Brüning mochte aber niemand zustimmen. Das wecke "falsche Assoziationen", sagte Finanzminister Peer Steinbrück (SPD).
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