SPD fordert Entschädigungen: Kashoggi stoppt Waffenexporte
Nach der Kashoggi-Affäre will Deutschland keine Waffen mehr nach Saudi-Arabien exportieren. Betroffene Regionen hoffen auf Entschädigungen.
Seit über drei Jahren führt Saudi-Arabien Krieg im Jemen. Zehntausende Zivilisten kamen bei den Kämpfen ums Leben. Nach Angaben der Vereinten Nationen (UN) sind 22 Millionen Menschen dort auf Hilfsgüter angewiesen. Rund die Hälfte der Menschen in dem Land leiden unter Hunger. Trotzdem hat die Bundesregierung in den ersten neun Monaten 2018 Rüstungsexporte in Höhe von 416 Millionen Euro genehmigt.
Der erst kürzlich in der Türkei offenbar aufs Grausamste ermordete regimekritische Journalist Jamal Kashoggi sorgt nun dafür, dass Deutschland seine Rüstungsexporte an das sunnitische Königreich bis auf Weiteres stoppen will. Bis zur Aufklärung des Falles seien keine Grundlagen für Rüstungsgenehmigungen gegeben, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel. Das Bundeswirtschaftsministerium teilte zudem mit, dass eine gesamteuropäische Lösung angestrebt werde. Unklar ist noch, ob das auch für bereits genehmigte Lieferungen gilt.
Die Bremer Firma Lürssen fürchtet um bereits genehmigte Exporte von bewaffneten Patrouillenbooten, die im mecklenburg-vorpommerschen Wolgast auf der Peene-Werft gebaut werden. Das ist auch der Grund, warum die dortige rot-schwarze Landesregierung um Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) nun ihre Felle davon schwimmen sieht:
Der regimekritische Journalist Jamal Kashoggi wurde zuletzt lebend gesehen als er am 2. Oktober das saudi-arabische Konsulat in Istanbul betrat. Zwei Wochen später gestand Saudi-Arabien die Tötung Kashoggis ein.
Internationalen Medien zufolge soll er von 15 Agenten mit Verbindungen zum saudi-arabischen Kronprinzen Mohammed bin Salman getötet und zerstückelt worden sein.
Es sei zwar verständlich, dass die Bundesregierung ihre Haltung zu Rüstungsexporten überprüfe – man brauche aber schnell Klarheit, wie es mit der Werft in Wolgast weitergehe. „Es wäre sicherer, wenn die Werft stärker Schiffe für die Bundeswehr bauen könnte“, teilte die Landesregierung mit – schließlich sei Lürssen der wichtigste Arbeitgeber in einer der „strukturschwächsten Regionen Deutschlands“.
Der Parlamentarische Staatssekretär für Vorpommern, Patrick Dahlemann (SPD) forderte zudem Entschädigungen, wenn die Zukunft der Werft ungewiss bleiben sollte: „Wenn der Bund eine negative Entscheidung trifft, muss es dafür einen Ausgleich geben“, findet Dahlemann. Tatsächlich können Unternehmen unter Umständen Entschädigungen geltend machen, wenn bereits vorgenehmigte Rüstungsexporte doch noch von der Bundesregierung kassiert werden.
In Bremen, wo Lürssen sitzt, hat die rot-grüne Koalition bislang – auch zu den jüngeren Exportgenehmigungen nach Saudi-Arabien – weitgehend geschwiegen. Jetzt, da neben der Bundesbeauftragten für Menschenrechte, Bärbel Kofler, selbst die Bundes-CDU eine sofortigen Stopp auch bereits genehmigter Exporte befürwortet, sieht das auch die Bremer Landesregierung so.
Auch hier fordert die SPD mit dem Fraktionsvorsitzenden Björn Tschöpe eine Entschädigung für Lürssen. Die Grünen in Bremen hingegen sagen: selbst schuld. Wer an Saudi-Arabien Waffen verkaufe und dann auf den Verlusten sitzen bleibt, müsse sich nicht wundern.
Das Unternehmen beantwortet keine Fragen zur Bewertung oder möglichen Entschädigungen und verweist auf ein schriftliches Statement: „Selbstverständlich werden wir jede politische Entscheidung über die Ausfuhr der in Wolgast gefertigten Boote respektieren.“ Ein bisschen weh tut es aber wohl: „Auch nach Jahren leistet der Auftrag zur Serienproduktion der Küstenwachboote nach wie vor einen großen Beitrag zur Auslastung der Peene-Werft.“
Die schwerste humanitäre Krise weltweit
Ende 2012 hatte Saudi-Arabien Patrouillenboote bei Lürssen für 1,5 Milliarden Euro bestellt. Der Bundessicherheitsrat genehmigte die Ausfuhr 2013, pro Stück sollen die Boote zwischen zehn und 25 Millionen Euro kosten. Den Verkauf weiterer 48 Patrouillenboote genehmigte die Bundesregierung 2016.
Das war allerdings schon vor dem Fall Kashoggi umstritten: Denn seit März 2015 führt Saudi-Arabien eine Militärallianz im Krieg im Jemen an und wird dabei unter anderem von den USA, Frankreich und Großbritannien logistisch unterstützt. Es griff damit in einen jemenitischen Konflikt zwischen dem faktisch entmachteten und sunnitischen Präsidenten Abed Rabbo Mansur Hadi und den vom Iran unterstützten schiitischen Huthi-Rebellen ein. Opfer der Kämpfe, Luftangriffe und der Seeblockaden sind zu einem großen Teil Zivilisten. Aus Sicht der Vereinten Nationen ist es die schwerste humanitäre Krise weltweit.
Gekämpft wird zu einem großen Teil mit US-amerikanischen und britischen, aber auch mit deutschen Waffen, die aus Norddeutschland und von anderen Standorten geliefert werden: Die Lürssen-Patrouillenboote sollen auch bei der Seeblockade Jemens zum Einsatz kommen, wie etwa der Grünen-Politiker Omid Nouripour kritisierte. Weitere deutsche Firmen liefern auch Bauteile für in England angefertigte Euro-Fighter, von denen Saudi-Arabien 48 Stück in Auftrag gegeben hat.
Neben Lürssen exportierten weitere Bremer Firmen in den vergangenen Jahren nach Saudi-Arabien: Von Atlas Elektronik entwickelte Torpedo-Bauteile wurden geliefert, ebenso Airbus-Tankflugzeuge und an Kommunikationsausrüstung und Schiffssimulatoren soll Rheinmetall Defence Electronics mitgearbeitet haben.
Eigentlich ist im Koalitionsvertrag der Bundesregierung vereinbart, keine Waffen an Staaten zu liefern, die wie Saudi-Arabien an Kriegen beteiligt sind. Ausnahme waren bereits genehmigte Ausfuhren. Weil das nun überprüft werden soll, könnte es sein, dass Lürssen auf bereits fertig gestellten Patrouillenbooten sitzen bleibt.
Fraglich ist, wie lange der plötzlich verhängte Export-Stopp wirklich gelten soll: Die Bundesregierung sprach noch Anfang der Woche davon, dass keine Exporte genehmigt würden, solange der Fall Kashoggi unzureichend aufgeklärt sei. Am Mittwochnachmittag erklärten sich die saudischen Behörden bereits bereit, Untersuchungen durch die türkische Polizei im Konsulat zuzulassen.
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