piwik no script img

SPD-Skandal um „schwarze Liste“Die hohe Kunst der guten Ausrede

In Hannover hat die SPD kritische Äußerungen von Stadtmitarbeitern gesammelt. Und hatte dafür nicht einmal eine gute Ausrede parat.

Eisige Zeiten im Rathaus: Beim Ausloten der Meinungsfreiheit für Stadtmitarbeiter hat sich die SPD auf ganz dünnes Eis begeben Foto: Moritz Frankenberg/dpa

D ie hohe Kunst der guten Ausrede ist irgendwie auf den Hund gekommen. Man sah das zuletzt bei der FDP: Niemand hatte einen D-Day geplant. Na gut, jemand hatte einen D-Day geplant. Aber Herr Lindner hatte das nicht zur Kenntnis genommen und irgendwie ist trotzdem der Kanzler schuld.

Eine gute Ausrede ist zwar immer noch eine Lüge, aber eine, bei der man sich nicht vollständig für dumm verkauft fühlt. Das setzt voraus, dass man sich ansatzweise in den Gegenüber einfühlt, aber das geht halt nicht, wenn man sich mit Selbstgerechtigkeit panzert.

Dem Vorsitzenden der SPD-Ratsfraktion geht es anscheinend gerade ähnlich. Erst lässt er sich dabei erwischen, wie er Verwaltungsmitarbeiter:innen, die es wagen, seine Politik zu kritisieren, bei ihren Vorgesetzten anscheißt.

Begründet hat er das auf meine Anfrage (und die anderer Medien) hin folgendermaßen: „Aus der hannoverschen Stadtverwaltung erreichten uns Nachrichten von Beschäftigten, die über Social Media Entscheidungen der Verwaltung und Ratspolitik kommentiert haben. In Teilen der Belegschaft ist die Verunsicherung groß – vor allem nach den jüngsten parteipolitischen Äußerungen des Oberbürgermeisters.“

Verunsichert ist wohl eher die SPD

Ich bin da vielleicht politisch nicht versiert genug, aber die Logik verstehe ich nicht. Worin genau bestand diese Verunsicherung? In den von der SPD gesammelten Social-Media-Postings und Leserbriefen wirkte es jedenfalls so, als wären sich die betreffenden Personen ihrer Meinung schon einigermaßen sicher.

Waren sie sich unsicher, ob sie privat eine ähnliche Meinung wie ihr Oberbürgermeister vertreten dürfen, jetzt wo die Mehrheiten gewechselt haben? Und haben dann sicherheitshalber mal bei der SPD nachgefragt? Oder haben da Leute nachgefragt, die sich noch nicht geäußert haben und jetzt wissen wollten, welche Meinung sie wohl am besten vertreten sollen?

Rätselhaft. Ich wäre ja davon ausgegangen, dass auch Leute, die in der Verwaltung arbeiten, einen eigenen Kopf haben. Aber was weiß ich schon, im Gegensatz zur SPD habe ich ja nicht 70 Jahre lang so ein Rathaus bis in die letzte Ecke verfilzt und möchte das ganz dringend wieder tun.

Was bei einem solchen Vorgang natürlich nicht fehlen darf: Die klassische Nichtentschuldigung. „Dass daraus ein falscher Eindruck entstanden ist, bedauere ich sehr und bitte um Entschuldigung.“ Nun ja. Am Ende musste er dann doch seinen Hut nehmen.

Manche Grüne wähnen die SPD-Fraktion kurz vor der Orbanisierung

Für manche reiht sich das nun ein in andere Zusammenstöße der vergangenen Zeit. Immerhin haben ja auch einige Vereine beklagt, dass ihnen signalisiert worden war, die Kürzung ihrer Zuschüsse könnte noch zurückgenommen werden – wenn sie brav sind und nicht kritisch herumstänkern.

Manche Grüne wähnten die SPD-Fraktion deshalb so langsam in ihrer proto-faschistischen Phase oder zumindest kurz vor der Orbanisierung. Aber das ist natürlich übertrieben. Wobei: Zu so einem Fraktionsvorsitzenden gehört auch immer eine Fraktion und eine Partei, die mitspielt. Mal sehen, wohin die totale Verzweiflung die Ge­nos­s:in­nen als Nächstes führt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Nadine Conti
Niedersachsen-Korrespondentin der taz in Hannover seit 2020
Mehr zum Thema

3 Kommentare

 / 
  • Erst dachte ich "Hö? Und das ist eine Meldung wert?"

    Dann merkte ich meinen Fehler.

    Ich las "SED". Tja, so kann's gehen...

    • @Bolzkopf:

      Die SED gibt es seit 1990 nicht mehr. Also wäre es auch mit dieser Bezeichnung in 2024 eine Meldung wert gewesen. Was wollten Sie eigentlich ausdrücken?

      • @Christian Götz:

        Dass es beim Zeitunglesen (auch online) wichtig ist die Lesebrille aufzusetzen - sonst wähnt man sich plötzlich in längst vergangenen Strukturen ...