SPD-Politiker über Prepper-Netzwerk: „Aufräumen, wo Müll liegt“
Die taz legte ein rechtes Netzwerk in der Bundeswehr und in Behörden offen. Der SPD-Innenpolitiker Uli Grötsch fordert nun „lückenlose Aufarbeitung“.
taz: Herr Grötsch, taz-Recherchen zeigen, dass Polizisten und Bundeswehrsoldaten in einem Netzwerk offenbar planten, politische Gegner aus dem linken Spektrum zu töten. Manche Treffen fanden in Schützenvereinen statt, geplant war eines in einer Polizeistation, also nicht einmal verborgen. Auch in Ihrem Wahlkreis im bayerischen Weiden war die Gruppe aktiv. Wie konnte es dazu kommen?
Uli Grötsch: Die haben sich offenbar nicht gefährdet gefühlt. Dabei ist das eine meiner Kernforderungen im Kampf gegen organisierten Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus: Kein Neonazi, egal welcher Ausprägung, darf sich irgendwo in Deutschland sicher und unbeobachtet fühlen. Das war dort aber offenbar der Fall. Schon der NSU hatte es über Jahre hinweg geschafft, relativ unauffällig mitten in Deutschland zu leben. Wir sehen, dass diese Szene stetig lernt. Das macht es den Behörden nicht leichter. Aber ich darf davon ausgehen, dass die Behörden sich darauf einstellen.
Die Mitglieder der Chatgruppe „Süd“ sollen „Safe Houses“ in Bayern angelegt haben, aus allen Distrikten kamen sie in Nürnberg auf einer Waffenmesse zusammen. Der terrorverdächtige Soldat Franco A. ist oft in Vohenstrauß gewesen. Was ist da los bei Ihnen im Süden?
Ich habe gestutzt, als ich wieder Nürnberg gelesen habe. Nürnberg ist der Ort, an dem der NSU drei Morde begehen konnte. Ich gehe davon aus, dass die mittelfränkische Neonazi-Szene hier in den Schutz, möglicherweise auch in die Vorbereitung der NSU-Morde eingebunden war. Offenbar fühlen die sich in Bayern unbeobachtet. Es ist die Aufgabe des bayerischen Verfassungsschutzes, das zu ändern. Und wenn es sich um eine bundesweit agierende Gruppe handelt, was ja hier ganz ohne Frage der Fall war, ist der Bundesverfassungsschutz als Zentralstelle zuständig.
Warum gleiten ausgerechnet Mitarbeiter der Sicherheitsbehörden scheinbar so leicht in Extremismus ab? Warum kann etwa ein Soldat der Spezialeinheit KSK auf einer Feier den Hitlergruß zeigen?
Es ist in keiner Weise okay, wenn KSK-Soldaten Hitlergrüße auf Partys zeigen. Vor allem die Repräsentanten des Staates haben per Gesetz die Pflicht, neutral sein. Sind sie das nicht, müssen sie nachhaltig aus dem Staatsdienst entfernt werden. Nur zur Erinnerung: Noch drei Wochen bevor die Nazis 1933 Nürnberg übernommen hatten, demonstrierten Zehntausende gegen sie. Das war aber schon sinnlos, weil die Nazis Polizei, Justiz und Verwaltung bereits unterwandert hatten. Etwas Ähnliches jetzt im Keim zu ersticken, das ist unser aller Aufgabe.
Uli Grötsch, 43, der Bayer und Ex-Polizist ist SPD-Innenexperte und Mitglied des Parlamentarischen Kontrollgremiums der Geheimdienste im Bundestag
Wen meinen Sie damit?
Damit meine ich uns als Politiker, Sie als Journalisten und auch die öffentliche Verwaltung. Das fängt an bei den Polizeien, geht über die Bundeswehr bis in alle Bereiche der Verwaltung, die da auch auf sich selbst einen kritischen Blick haben müssen: Ob alle, die dort arbeiten, so gefestigt sind, wie es erforderlich ist. Es ist die Aufgabe der Dienstherren, dem nachzugehen und wiederum Aufgabe der Politik – nicht nur im Parlamentarischen Kontrollgremium – die Behörden auch danach zu fragen. Oder das Verteidigungsministerium zur Aufklärung zu drängen und zu fragen, wieso solche Soldaten unbemerkt blieben. Wir müssen jetzt ein Auge drauf haben, dass aufgeräumt wird, wo Gesinnungsmüll liegt. Oder noch Schlimmeres: Waffen und Sprengstoff.
Christof Gramm, der Chef des Militärischen Abschirmdienstes (MAD), sagte erst vergangene Woche, es gebe keine gewaltbereiten Extremisten in der Bundeswehr.
Die Aussage hat mich verwundert. Herr Gramm weiß schon, in welcher Verantwortung er dahingehend ist. Ich werde im Kontrollgremium seine Sichtweise hinterfragen. Ich erwarte eine lückenlose Aufarbeitung.
Auch vom Bundesinnenministerium?
Es ist für uns immer wieder aufs Neue ein extrem ärgerlicher Umstand, dass wir solche Sachverhalte nicht von der Bundesregierung, sondern aus den Medien erfahren. Es gibt auch im Kontrollgremium Berichtspflichten, also Sachverhalte, über die uns Nachrichtendienste per Gesetz informieren müssen. Das ist in diesem Fall nicht geschehen, obwohl die Terrorpläne in Norddeutschland und die bundesweiten Chatnetzwerke nicht nur dort, sondern auch im Innenausschuss des Bundestags schon Thema waren. Ich habe den Eindruck, dass das bislang beim Bundesamt für Verfassungsschutz unterschätzt wurde. Wir hatten mal eine denkwürdige Innenausschusssitzung, in der ich mit einem Referatsleiter des Bundesamtes aneinander geraten bin, der die Prepper geradezu – so habe ich es genannt – „raviolisierend“ dargestellt hat. Dass es denen aber um etwas ganz anderes geht, als Dosenvorräte anzulegen, das wissen wir inzwischen.
Das gleiche Phänomen konnte man vor Jahren mit den Reichsbürgern beobachten. Da musste erst ein Polizist erschossen werden, bis alle gemerkt haben, möglicherweise sind die doch militant. Warum wiederholt sich das?
Gerade vor dem Hintergrund, dass es ein Netzwerk ist, hätte es den Inlandsnachrichtendiensten viel früher auffallen müssen. Wenn es in Deutschland Netzwerke gibt, die Anschläge vorbereiten und die sich auf eine terroristische Art und Weise organisieren, dann muss das dem Verfassungsschutz auffallen, weil wir ihn auch dafür haben. Hier haben offenbar staatliche Strukturen versagt. Es gab mit dem NSU ja schon mal ein Terror-Netzwerk, dass nicht in dem Maße aufgefallen ist, wie es notwendig gewesen wäre. Dass so etwas nie wieder passieren kann in Deutschland, ist Kernantrieb allen politischen Handelns, würde ich ganz pathetisch sagen.
Eine Reaktion auf unsere Recherche, die wir häufig hören, ist: So ein Netzwerk sei wie für einen Film ausgedacht, das sei doch total unglaubwürdig.
Wer im Jahr 2018 so etwas als unglaubwürdig hinstellt, muss sich selbst hinterfragen. Die Gruppe Freital, der NSU hatten ähnliche Strukturen. Ich musste auch an Stay Behind aus den 80er Jahren denken, eine Gruppierung, die sich auf einen Atomkrieg vorbereitet hatte. Das waren hochrangige Militärs, die geplant hatten, wer das Kommando übernimmt, die Bunker gebaut hatten. Ihnen ging es um das Vorhalten einer Struktur hinter der Struktur, wenn man so will.
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