piwik no script img

SPD-Pläne zur GrundrenteWer profitiert am Ende?

Der CDU-Sozialflügel will einen Kompromiss bei der von der SPD vorangetriebenen Grundrente. Jedoch sind alle Zahlen zu den Kosten bisher wolkig.

Ein Rechenbeispiel von Arbeitsminister Heil zeigt, wem die Grundrente im Alter helfen könnte Foto: dpa

Berlin taz | Rund 6 Milliarden Euro jährlich soll die künftige Grundrente ohne Bedürftigkeitsprüfung kosten. So plant es SPD-Arbeitsminister Hubertus Heil. Sein Beispiel, warum die Grundrente nötig ist, leuchtet ein: Wenn eine Friseurin 35 Jahre lang lediglich den Mindestlohn verdient, hat sie einen Rentenanspruch auf nur knapp 450 Euro. Sie ist auf die Grundsicherung im Alter angewiesen. Mit der neuen Grundrente würde sie – als der extremste Fall von Besserstellung im SPD-Modell – eine doppelt so hohe Rente beziehen, knapp 900 Euro. Im Schnitt dürften BezieherInnen der Grundrente nach Heils Vorstellung pro Monat hundert Euro mehr als jetzt bekommen.

Die Union blockt ab. Sie will zwar die Grundrente, aber nur mit Bedürftigkeitsprüfung. Die Friseurin würde also nur mehr Rente bekommen, wenn sie kein Erspartes hat, kein Häuschen, keine anderen Renten. Das würde den Kreis der durch die Grundrente Bessergestellten und damit die Kosten radikal verkleinern. Die Grundrente mit Bedürftigkeitsprüfung würde im Jahr nur rund 200 Millionen Euro mehr kosten: ein Dreißigstel dessen, womit das Arbeitsministerium rechnet. Heil hält die Prüfung für überflüssig und entwürdigend.

Der sozialpolitische CDU-Arbeiternehmerflügel (CDA) macht sich nun dafür stark, das Prinzip der Prüfung zu bewahren, aber das Vermögen nicht zu berücksichtigen, nur laufende Einnahmen. Die Friseurin könnte ihre kleine geerbte Eigentumswohnung und ihr Erspartes behalten und würde gleichwohl, laut CDA-Idee, die neue Grundrente beziehen. Allerdings wäre dies nicht der Fall, wenn sie mit einem Mann verheiratet ist, der eine auskömmliche Rente bekommt oder andere Einnahmen hat.

Der CDA-Vorschlag soll ein vor allem von Wirtschaftsliberalen vorgetragenes Argument gegen die Grundrente ins Leere laufen lassen: Diese würde Leuten zugutekommen, die sie nicht brauchen. Als polemisches Symbol dafür steht die Ehefrau eines Zahnarztes, die 35 Jahre halbtags gearbeitet hat und Kindererziehungszeiten geltend machen kann. Denn sie bekäme künftig ohne Bedürftigkeitsprüfung die höhere Grundrente.

Erstaunliche Zahlen, politisch motiviert

Erstaunlich ist die Zahl, die der CDU-Sozialflügel nennt. „Unser Modell würde jährlich 500 bis 800 Millionen Euro kosten“, so Karl Joseph Laumann, Sozialminister von Nordrhein-Westfalen. Das ist nur rund ein Zehntel des Betrags, der im Arbeitsministerium für die Grundrente ohne Prüfung kursiert. Diese niedrige Schätzung dürfte politisch motiviert sein: Der So­zialflügel will die Grundrente. Der harte Widerstand kommt vom Wirtschaftsflügel der Union und von Arbeitgeberverbänden.

„Wegen der noch ausstehenden Konkretisierung sind noch keine präzisen Aussagen möglich“, so das Arbeitsministerium. Der Nebel um die Zahlen wird sich erst lichten, wenn Heil im Mai den konkreten Gesetzentwurf vorstellt. Absehbar ist indes schon, wer von der Grundrente, die ab 2021 gezahlt werden soll, profitieren wird – falls die SPD sich durchsetzt. Laut einer Sprecherin rechnet das Ministerium damit, dass „zwischen drei und vier Millionen Personen von der Grundrente profitieren werden, ein großer Teil davon sind Frauen“. Und zwar vor allem im Osten. Denn dort haben zwei Drittel der Frauen 35 Anspruchsjahre, im Westen sind es nur halb so viele.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

8 Kommentare

 / 
  • Oh Leute, ich kann es immer gar nicht fassen wie schnell man den Populist*Innen auf den Leim gehen kann. Was passiert denn bei einer Grundrente oder auch einem Grundeinkommen? Die gehört dann zu unserem für alle gleichen steuerfrei gestellten Existenzminimum. Das heißt jede und jeder muss für Einkommen das darüber hinaus entsteht oder besteht entsprechende Steuern zahlen. Damit erübrigt sich die Bedürftigkeitsdebatte und damit viele teure Kontrollinstanzen und macht Platz für wichtige Themen.

  • Was Arbeitsminister Hubertus Heil setzt, entgegen dem SPD Slogan "Wir lassen Agenda2010/Hartz4 Gesetze hinter uns", ist mit der Grundrente der Schlussstein der Agenda2010, und eröffnet somit für Millionen Beschäftigte auf Dauer die unsägliche Perspektive, dass sie ihr Berufsleben lang zu niedrigem Lohn bei festgeschrieben reduzierter Kaufkraft unterwegs sind, am Ende keine existenzsichernde Rente erarbeiten konnten, aber die Grundrente durch die gesetzliche Sozialversicherung automatisch erlangen. Die Grundrente, so meint Heil, tröstend oder doch nicht ganz bei Trost, sei eine Respektrente für Lebensleistung.

    Ist es nicht eher so, dass diesen Arbeitnehmern*nnen, die auf Grundrenten angewiesen bleiben, ihr Berufsleben lang der Respekt in Form der Zahlung von angemessenem Lohn durch private, kirchliche, staatliche Arbeitgeber versagt wurde?



    Wenn die SPD wirklich die Agenda2010 hinter sich lassen will, braucht es mehr als eine Grundrenten Debatte. Da braucht es eine Bilanz des Arbeitgeber Gewinns in staatlichen, kirchlichen, privaten Händen seit Einführung der Agenda2010 im Jahr 2003, um eine Vorstellung davon zu entwickeln, was Hartz4 Betroffene an jahrzehntlang entgangen angemessenem Lohn samt dafür nicht gezahlten Arbeitgeber Sozialbeiträgen als Entschädigung unbürokratisch von einem Deutschlandfonds der Gesellschaft und Wirtschaft einfordern können.

    Da ist von unveränderter Altersdiskriminierung ab Rentenantritt noch gar nicht die Rede, die darin besteht, dass vor Rentenatritt geltende Restvermögen vor Schonvermögen für die Altersvorsorge (500 €/Person/Lebensjahr) übergangslos auf eine Pauschale um 3000 € zusammenschnurrt, so als ob es mit Rentenantritt bei inzwischen, statisitsch eruiert, längerer Lebenserwartung keinen Sinn mehr mache, sich um Altersvorsorge z. B. im Krankheitsfall, Gebrechlichkeit bei Angewiesensein auf ambulante, gar stationäre Betreuung zu kümmern.

  • 9G
    91672 (Profil gelöscht)

    Ich konnte bisher keine Erklärung finden oder erfahren, warum man nun gutbetuchten Rentnern eine 'Respektrente' zahlen sollte. Wer eine 250000 € Eigentumswohnung (innerhalb der Verwandtschaft normalerweise ohne Besteuerung) geerbt hat, kann mit 700 € Rente recht gut leben, wer dies nicht hat, kann mit 700 € gar nicht gut leben. Das Einmaleins der Lebenshaltungskosten.



    Von der Pfütze Hartz4 in die Pfütze Gieskanne für Rentner. Da muss noch gar nicht das Beispiel der Lindnerschen Zahnarztgattin heranziehen.



    Aber vielleicht will Herr Heil den Untergang der SPD beschleunigen. Er sagt: 'Wenn wir schon untergehen müssen, dann lieber schnell'. Sozial sein, dort, wo es nicht nötig ist, lohnt sich nicht, Herr Heil.

  • 500--800 Mio gegen 6 Mrd! Das ist wohl ein Schnäppchen!

    Gibt es tatsächlich so viele Zahnarztfrauen? Oder hat sich die CDA womöglich verrechnet?

    Hätte sie die Rechnerei lieber doch nicht einem Lungenarzt überlassen sollen?

    Ich finde es ziemlich widerlich, wie da Leute, die 7K EUR/Monat oder mehr (meist aus unseren Steuergeldern) ziehen versuchen, Menschen von 900 EUR/Monat noch herunterzufeilschen.

  • 7G
    76530 (Profil gelöscht)

    Als Betroffener finde ich jegliche weitere Diskussion überflüssig. Modelle zum Andersmachen gibt es seit langem. Sie setzen sich dummerweise nicht selbst um.

    Einfach mal anfangen. Auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner. Danach weitermachen - Schritt für Schritt.

    Meine Prognose: Menschen der Jahrgänge bis 1955 werden KEINE wirklichen Verbesserungen erleben.

    Ein Land mit dieser Geschichte und diesen Traditionen spricht Bände. Bände der Armseligkeit. Deutschland - die Weltmeister des ZER-REDENS.



    Wer verändern will, handelt. Wer alles lassen will, schwätzt.

    Mehr würde hier nur verunsichern.

    • 9G
      91672 (Profil gelöscht)
      @76530 (Profil gelöscht):

      Beispiel: Meine Schwester hat vor wenigen Jahren 360000€ geerbt (steuerfrei), konnte nun das 'Häuschen' auf dem Land schnell ganz abbezahlen. Sie ist jetzt frisch Rentnerin geworden und käme nach Herrn Heil in den Genuss einer Rentenaufbesserung, obwohl sie nur noch Nebenkosten und Essen zu bezahlen hat. Was versteht die SPD eigentlich unter Gerechtigkeit, wie es einstmals ihr Frontmann Schulz verstanden hatte?



      Und meinen Sie mit Ihrem Schlusssatz den berüchtigten Satz von Maizière "Ein Teil dieser Antworten würde die Bevölkerung verunsichern", als er ordentlich was unter den Tisch kehren wollte?

  • Ob 5 Milliarden oder weniger, es ist wenig. Es begünstig verdammt Wenige in verdammt geringem Umfang. Es ist kaum mehr als die Hilfe zum Lebensunterhalt. Es ist ein Minimum von Anständigkeit gegenüber Menschen, die ihr Leben lang gearbeitet haben und ganz wesentlich dabei ist eben, dass auf Bedürftigkeitsprüfungen verzichtet wird. Denn wenn jemand nach 35 Beitragsjahren eine Rente von weniger als 900 Euro hat, dann ist das nicht seine Schuld, sondern die der Politik.

    • 9G
      91672 (Profil gelöscht)
      @Benedikt Bräutigam:

      So spricht jemand, der Heils Pläne gut findet, weil Sie/Er offenbar schönen Besitz hat aber gern mehr Rente haben möchte.



      Wenn dieser Staat sich sozial nennt, dann darf er nur Bedürftigen helfen. Die Hoenesse und Winterkorns und sehr viele andere brauchen keine staatliche Hilfe.



      'Respektrente' könnte das nächste Unwort des Jahres werden.