piwik no script img

SPD-ParteitagSPD könnte womöglich gewinnen

Bundesvorsitzender Müntefering macht Wahlkampf, Landeschef Stegner sich Mut: Trotz schlechter Prognosen versuchen die Sozialdemokraten im Norden, an ihre Chance zu glauben.

Ja, wo isser denn, der Wähler? Ralf Stegner und Franz Müntefering beim Parteitag am Wochenende. Bild: dpa

Ute Erdsiek-Rave, frisch entlassene Bildungsministerin und Ex-Vizeministerpräsidentin in Schleswig-Holstein, erhielt einen Tag vor dem SPD-Parteitag am Wochenende Post vom Ministerpräsidenten Peter Harry Carstensen (CDU): "Ich dachte, das ist nun die ausgestreckte Hand", berichtet Erdsiek-Rave den Delegierten in der Lübecker Musik- und Kongresshalle. Nichts da: Es war eine Rechnung über gemeinsame Essen des Kabinetts.

"Dass Carstensen uns entlassen hat, war richtig blöd von ihm", sagt Ex-Minister Uwe Döring, der im Foyer der Kongresshalle steht. "Wären wir im Amt geblieben, hätten wir einen Rest Loyalität behalten müssen." Jetzt, sagt Döring, könne er "den ganzen Tag Wahlkampf machen".

Ob sich die CDU vor dieser SPD fürchten muss, sei dahingestellt. Mit einer einstündigen Rede stimmt Landesvorsitzender Ralf Stegner die Delegierten auf den Wahlkampf ein - mehrfach von Beifall unterbrochen, der immer echter wird und mit minutenlangen Standing Ovations endet. Der 49-Jährige ruft zu Geschlossenheit auf, und das hört sich dann so an: "Wir wollen gewinnen, weil wir die besseren Inhalte haben, müssen gewinnen, weil sonst die anderen drankommen mit allen schlechten Folgen, und wir können gewinnen, wenn wir nur wollen."

Mit scharfen Angriffen auf den Gegner hält sich Stegner, der jetzt für ein paar Wochen Oppositionsführer spielen darf, zurück, piekt nur: "Kann sich jemand eine Denkfabrik in der Staatskanzlei vorstellen? Nötig hätten sie die!" Stattdessen lobt er die eigenen Leute: "Ein Kapitän, der die Orientierung verliert, sollte nicht die besten Mannschaftsmitglieder über Bord werfen."

Minutenlang klatschen die Delegierten den geschassten MinisterInnen zu, die neben Stegner aufs Podium treten - der überstürzte Hinauswurf von Ute Erdsiek-Rave, Lothar Hay, Gitta Trauernicht und Uwe Döring hatte über die Parteigrenzen hinaus für Unmut und Ärger gesorgt.

Ute Erdsiek-Rave erhält einen Tag später Beifall für Kritik an Carstensen: "Wie ein Eierdieb" sei sie vom Hof gejagt worden, dafür gehöre dem Ministerpräsidenten "der Jagdschein entzogen".

Den zwei Tagen von Lübeck fehlt das Glatte, das Prunkvolle, das solche "Krönungsmessen" sonst auszeichnet. Dies ist ein Arbeitstreffen mit engem Zeitplan, außer dem Spitzenkandidaten müssen alle weiteren Listenplätze sowie ein Wahlprogramm bestimmt werden. Die Delegierten tagen in einem kleineren Saal als dem, wo vor fünf Jahren Heide Simonis zur Spitzenkandidatin gewählt wurde. Als Gladiatorenmarsch für den Einzug Stegners dröhnt der Grönemeyer-Titel "Zeit, das sich was dreht" durch die rötlich beleuchtete Halle - so wie Grönemeyer knödelt, klingt der Text wie "Gucken, ob was geht".

Theoretisch geht was: "Ich bin nicht sicher, dass wir gewinnen, aber wir können gewinnen", ruft SPD-Chef Franz Müntefering, der zum Auftakt nach Lübeck gekommen ist. Beim politischen Gegner - "bei denen", sagt Müntefering - sei der Stimmenzuwachs "ziemlich ausgereizt, und wir haben Potenzial". Schärfer als Stegner greift er Carstensen an: Der Bruch der Koalition durch die falsche Vertrauensfrage ginge "hart an die Beugung der Demokratie".

Es ist keine schwungvolle Rede - der Vorsitzende will dem Spitzenkandidaten sichtlich nicht die Schau stehlen - aber am Ende springen die Delegierten auf und klatschen stehend. Er sei "gern nach Schleswig-Holstein gekommen", spricht Müntefering nach seiner Rede im Foyer in die Mikrofone. Die Wahl in Schleswig-Holstein sei ein "zusätzlicher Impuls" für den Bundeswahlkampf. Dabei ist bekannt, dass die Bundesprominenz beider großer Parteien nicht glücklich über die Schlammschlacht im nördlichsten Bundesland ist - die Kieler Chaostage werfen die Zeitpläne für die Bundestagswahl durcheinander.

In wenigen Stunden wird das Wahlprogramm durchgejagt. Eine Verwaltungsreform wird kommen, Kreisgrenzen seien "nicht unantastbar", Stellen im Landesdienst sollen gestrichen werden, aber ohne betriebsbedingte Kündigungen - dies entspricht dem, was CDU und SPD noch gemeinsam vereinbart hatten.

Stegner ruft zu Ehrlichkeit auf, auch eine SPD-Regierung müsse sparen: "Lasst uns keine Versprechen machen, die wir nicht halten könnten. Wir machen keinen Wünsch-dir-was-Katalog, wir machen ein Regierungsprogramm."

Nach den derzeitigen Umfragen ist es wenig wahrscheinlich, dass die SPD nach der Wahl regieren kann. In Lübeck zeigt sich die Partei wenn nicht euphorisch, so doch trotzig: Wenn es für die Regierung nicht reiche, meint der stellvertretende Landesvorsitzende und Rendsburger Bürgermeister Andreas Breitner, "dann machen wir eben Opposition. Und Ralf Stegner wäre der beste Mann als Oppositionsführer".

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!