SPD-Ministerpräsidentin Malu Dreyer: Gut gelaunte Wir-Maschine
Grüne und FDP würden in Rheinland-Pfalz gerne unter SPD-Ministerpräsidentin Malu Dreyer weiterregieren. Wie die es schafft, beide glücklich zu machen.
Wie an fast jedem Tag wird die SPD-Spitzenkandidatin in ihrem „Wohnzimmer“ einen Wahlkreiskandidaten vorstellen, in einer Talkrunde aus dem improvisierten Fernsehstudio mit angemieteter Technik. Vorbesprechung am Stehtisch im Flur. Häppchen zwischen Tür und Angel. Seit 6.40 Uhr ist sie unterwegs, „Pausen fürs Essen sind da nicht eingeplant“, sagt sie lachend. „Immer gut gelaunt, immer top-vorbereitet“ sei sie, versichert ihr Wahlkampfmanager.
Der Straßenwahlkampf fällt coronabedingt weitgehend aus, Hausbesuche sind problematisch. Digitalformate und Plakate müssen es richten. Die SPD in Rheinland-Pfalz setzt ganz auf ihre Nummer eins. Von den Wesselmännern grüßt „Malu“ überlebensgroß. „Wir mit ihr“ steht da. Es braucht keinen Namen, und das „wir“ muss als Botschaft genügen: In der Krise steht diese Ministerpräsidentin für den Zusammenhalt.
Der Vorsprung der CDU im Land ist nach einer aktuellen Umfrage weiter geschrumpft, auf einen einzigen Prozentpunkt. Wenn jetzt Wahl wäre, würde die SPD 30 Prozent erreichen. Bei einer Direktwahl würden 56 Prozent für Dreyer und nur 28 für den CDU-Herausforderer Christian Baldauf votieren. Da für die Sitzverteilung im Landtag nur die Stimmen der Parteien gezählt werden, die die 5-Prozent-Hürde nehmen, könnte die Ampel ihre Ein-Stimmen-Mehrheit sogar noch ausbauen. „Wir wollen mehr“, relativiert „Malu“ die Zahlen: „Damit ich sicher weiter Ministerpräsidentin bleiben kann, muss die SPD im nächsten Landtag wieder stärkste Partei werden.“
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Von Anfang an stilprägend
Am Anfang löste dieses Ziel gelegentlich Heiterkeit aus. „‚30 Jahre SPD‘-Abschiedstour“ nannte CDU-Spitzenmann Baldauf seine Sommerreise durchs Land. Doch für den Einzug in die Staatskanzlei braucht er Bündnispartner. Die sind nicht in Sicht. Acht Wochen vor der Wahl haben die Spitzen von FDP und Grünen gemeinsam Bilanz gezogen. Der nach Berlin wechselnde Wirtschaftsminister Volker Wissing und die Integrations- und Umweltministerin Anne Spiegel lobten Stil und Ergebnisse der gemeinsamen Regierungsarbeit in den höchsten Tönen. Acht Wochen vor dem Wahltag. In Stuttgart oder Berlin undenkbar.
Die Regierungschefin war für diese Koalition von Anfang an stilprägend. Nach dem Wahlabend habe man sich nicht gleich zu Verhandlungen getroffen, sondern zum gegenseitigen Kennenlernen, erinnert sich Dreyer. Im Gästehaus der Landesregierung saß man beieinander. Das Haus ist bekannt für gutes Catering und erlesene Weine. „Es war philosophisch, wir haben abgesteckt, ob die Grundlinien stimmen“, sagt Grünen-Frontfrau Spiegel.
„Konstruktives Miteinander“
Eine gemeinsame Vision, wie Rheinland-Pfalz gestaltet werden solle und wie das erreicht werden könne, habe entwickelt werden müssen. Ihr sei bewusst gewesen, dass FDP und Grüne einen weiten Weg aufeinander zu gehen mussten, sagt Dreyer.
Nach den nackten Zahlen des Wahlergebnisses hätten den kleinen Parteien nicht unbedingt je zwei Posten im Ministerrat zugestanden. „Aber es war gut für ein konstruktives Miteinander.“ Nicht alle in der SPD waren davon überzeugt. „Als Regierungschefin habe ich sehr klare Vorstellungen“, betont die Ministerpräsidentin, doch ihre Aufgabe an der Spitze dieser Koalition sei eher eine moderierende gewesen.
Inklusive Regentin
Dass sie auch anders kann, hat sie unter Beweis gestellt. Mit ihrem neuen Amt hatte sie 2013 auch Altlasten aus der Zeit ihres Vorgängers Kurt Beck geerbt, vor allem das 500 Millionen Euro teure Desaster um den Umbau des Nürburgrings in einen Freizeitpark. Im November 2014, nur fünfzehn Monate vor der Landtagswahl, wechselte sie vier SPD-Ressortchefs aus. Es sei die schwierigste Entscheidung ihrer Laufbahn gewesen, dabei seien auch persönliche Freundschaften zu Bruch gegangen, bekannte sie später. Doch der Wahlsieg 2016 war nur möglich, weil sie das Thema Nürburgring weitgehend abgeräumt hatte.
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Das Etikett „Landesmutter“ trägt sie mit Fassung. Ihr Vater war Kreisvorsitzender der CDU, ihre ersten Aufgaben in der Landespolitik übernahm sie als abgeordnete Juristin für die Landtagsfraktion der Grünen. In Bad Kreuznach nominierte sie die SPD für das Amt der Bürgermeisterin, da war sie noch parteilos. In der Pfalz geboren, nach beruflichen Stationen in Mainz und an der Nahe wurde Trier ihre Heimat. Sie vertritt als erste direkt gewählte SPD-Abgeordnete den zuvor schwarzen Wahlkreis, ihr Ehemann war der erste sozialdemokratische OB der Bischofsstadt. Mehr Inklusion geht nicht.
SPD habe Erneuerung nie versäumt
An diesem Abend nimmt Martin Haller auf Dreyers Sofa Platz. Im Wahlkreis Frankenthal muss sich der 37-Jährige gegen CDU-Frontmann Baldauf behaupten, der den Wahlkreis schon viermal gewonnen hat. Doch bei den entscheidenden Zweitstimmen lag zuletzt sogar in diesem Wahlkreis die SPD knapp vorn. Mit 22 zog Haller als Zweitbewerber überraschend in den Landtag ein. Vor fünf Jahren, mit 32, rückte er zum Parlamentarischen Geschäftsführer der Fraktion auf. Da habe er zwar das zweifelhafte Vergnügen, auch mit AfD-Vertretern sprechen zu müssen, könne aber gleichwohl viel bewegen, sagt er.
„Du bist wie ein Hirte ohne Hund; du musst deine Herde manchmal selber zwicken“, zitiert er den ehemaligen Ministerpräsidenten Beck, der ebenfalls „PG“ gewesen war. Lachend schildert Dreyer, wie „Martin“ die KollegInnen vom Espresso aufscheucht, wenn Abstimmungen im Landtag anstehen. Für sie ist seine Karriere Beleg dafür, „dass es die rheinland-pfälzische SPD nie versäumt hat, sich zu erneuern. Auch junge Menschen werden gehört.“
Pandemie dominiert den Wahlkampf
Haller gibt den bodenständigen Kümmerer. Im Musikverein seiner Heimatgemeinde bläst er die Trompete. Er hat der Chefin ein Video mitgebracht. Mit weitem Abstand und in mehreren Einstellungen haben er und seine VereinskollegInnen gemeinsam das Trinklied „Auf ihr Brieder in die Palz“ eingespielt. Für die beiden im Studio ist das Anlass, die Bedeutung des Ehrenamtes hervorzuheben. „Die Freiwilligen der Rettungsdienste, die jetzt unterwegs sind, nehmen viel mit nach Hause“, sagt Haller. Seine Gastgeberin freut sich über „die Stärkung, die der öffentliche Gesundheitsdienst in der Krise erfährt. Das sind echte Überzeugungstäter, die schuften Tag und Nacht“, sagt die ehemalige Gesundheitsministerin.
Die Pandemie dominiert auch den Wahlkampf. „12 Stunden Corona, der Rest danach Partei“, so beschreibt Dreyer ihr tägliches Zeitbudget. Der Bundesgesundheitsminister hat gerade eine neue Testoffensive angekündigt, kostenlos, flächendeckend. Er muss zurückrudern, weil er weder eine Strategie noch die Finanzierung gesichert hat. Doch Dreyer vermeidet Schuldzuweisungen.
„Sozialdemokratisches Aufstiegsversprechen“
Sie erneuert lieber das „sozialdemokratische Aufstiegsversprechen“. Am Ende des Jahres werde jede Schule im Land über WLAN verfügen. Endgeräte für alle LehrerInnen, „kein Kind ohne Laptop im Rucksack!“ – das Land werde jedes Kind mit dem Rüstzeug für die digitale Arbeitswelt versorgen, verspricht Dreyer. Sie bekennt sich zum Klimaschutz. 2040 soll Rheinland-Pfalz CO2-neutral sein.
Es sei ermutigend, wenn ein großes Unternehmen wie die BASF nur noch klimaneutral wachsen wolle. Dreyer spricht von innovativen mittelständischen Unternehmen im Land. Dass mit Biontech ein Unternehmen den ersten Corona-Impfstoff entwickelt hat, das aus der medizinischen Grundlagenforschung der Mainzer Universität hervorging, ist für sie kein Zufall, „Die Krise hat alle hart getroffen“, sagt sie und fügt hinzu: „Wir können aus ihr gestärkt hervorgehen.“
Die Pandemie hat Parteitage auf Distanz erzwungen. Im Studio halten sie Abstand, können sich aber frei bewegen. Alle Beteiligten sind auf Corona getestet. Die Treffen in ihrem „Wohnzimmer“ schätzt sie als gute Gelegenheit, die vielen neuen SPD-Direktkandidaten kennenzulernen, sagt Dreyer. „Man schaut in das schwarze Loch, mir fehlt die Rückmeldung aus dem Publikum“, räumt sie gleichwohl ein. Mit den digitalen Formaten erreicht sie jedenfalls mehr Menschen als mit einer Tour durchs Land.
„Ich freue mich, wenn ich wieder zum Friseur kann.“ Gelöst wirkt Dreyer in der Nachbesprechung. In Mainz reden die Spitzenleute der drei Regierungsparteien nicht schlecht übereinander, auch nicht, wenn die Mikrofone ausgeschaltet sind. Dreyer hat die Ampel auch als Zukunftsmodell für Berlin empfohlen. In Rheinland-Pfalz dürfte es nach der Wahl eine Neuauflage geben. „Wir waren schon eine gute Truppe“, sagt sie der taz noch „unter eins, zum Schreiben“, und fügt hinzu: „Da weiß man, was man aneinander hat.“
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