piwik no script img

SPD-Ja zum KoalitionsvertragKopf und Gefühl

Stefan Reinecke
Kommentar von Stefan Reinecke

Die SPD hat allen Grund, mit dem Koalitionsvertrag zufrieden sein. Aber sie muss aufpassen, als Kanzlerpartei nicht hinter Scholz zu verschwinden.

Die SPD sollte nicht zur Scholz-Partei werden, sondern eigenständig bleiben Foto: dpa

D ie SPD galt noch vor vier Monaten als ein Art Zombie-Partei. Konservative bemitleideten den Abschied der Ex-Volkspartei. Grüne Liberale planten auf den Trümmern der Sozialdemokratie ihre Zukunft als führende Kraft der linken Mitte. Die SPD hat die Nachrufe und Häme recht klaglos zur Kenntnis genommen – und dann die Bundestagswahl gewonnen.

Dass fast 99 Prozent des Parteitags für den Koalitionsvertrag stimmen, ist nicht von oben erzwungen. Es ist der authentische Ausdruck des Gefühls, die eigene Beerdigung überlebt zu haben. Die Sozialdemokratie ist glücklich. Und der Koalitionsvertrag kann sich als Kompromiss aus SPD-Sicht sehen lassen. Der alles überwölbende Fortschrittsbegriff der Ampel hat eine sozialdemokratische Gravur. Die Klimapolitik ist ambitioniert. Aber sie ist kein ökologischer, kultureller Wandel, sondern ein industriepolitisches Großprojekt.

Die SPD-Kernforderungen zu Mindestlohn, Rente und Wohnen finden sich grosso modo in dem Vertrag wieder. Das ist Ausdruck der Erkenntnis, in der Schröder-Ära etwas falsch gemacht zu haben. Mit der Agenda und einer Steuerpolitik, die Reiche beschenkte und die Mitte belastete, hat sie viel Kredit verspielt. Die Scholz-SPD hat daraus den Schluss gezogen, solche zerstörenden Manöver zu vermeiden.

Wenn man derzeit SPD-Spitzenpolitiker fragt, welche Kompromisse sie in dem Ampelvertrag schmerzlich fanden, erntet man ratlose Blicke. Abgesehen von der Steuerpolitik, wo mit der FDP halt nichts gehe, fällt ihnen nichts ein. Dabei fehlt von der Bürgerversicherung über eine wirksame Mietpreisbremse bis zur kompletten Abschaffung grundlos befristeter Jobs einiges.

Ja, die SPD hat Grund, zufrieden zu sein. Aber zu viel Selbstzufriedenheit ist gefährlich. SPD-Linke wie Kevin Kühnert und Gustav Horn haben auf dem Parteitag darauf hingewiesen. Die SPD braucht eine eigene, kräftige Stimme. Das Regieren erfordert Pragmatismus und Kompromisse. Wenn die SPD als Kanzlerpartei hinter Scholz verschwindet so wie die Union hinter Merkel, wird ihr Glück von kurzer Dauer sein.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Stefan Reinecke
Korrespondent Parlamentsbüro
Stefan Reinecke arbeitet im Parlamentsbüro der taz mit den Schwerpunkten SPD und Linkspartei.
Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • Bitte erklären: "Die Klimapolitik ist ambitioniert."



    Die Hälfte mehr Strom aus Erdgas in 2030, mehr Strom aus fossilen Energien in dieser Legilaturperiode ...

    Ambitioniert ist eigentlich nur die Quote für strombasierte Flüssigtreibstoffe ("power-to-liquid"), aber das auch nur insoweit, als die Worte "ambitionierte Quote" in der Koalitionsvereinbarung steht, mehr ist dazu nämlich noch nicht beschlossen worden.