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SPD-Frontmann in Baden-WürttembergVerkalkuliert

Nils Schmid hat sich fünf Jahre erfolglos als Nebenministerpräsident versucht. Womöglich hat er seine Zukunft schon hinter sich.

Von Grün verdeckt: Vor fünf Jahren galten Schmid und seine Frau Tülay als die „Kennedys vom Neckar“. Foto: dpa

Stuttgart taz | Plötzlich geht ein Ruck durch den Mann. Als er gefragt wird, warum die AfD keine ganz normale Partei sei, ist Nils Schmid kaum zu stoppen: Die AfD sei rassistisch, wenn sie etwa Wohngeld nur noch für Deutsche auszahlen wolle, wenn sie vor Flüchtlingsfluten wie vor einer Naturkatastrophe warne und an den Grenzen schießen lassen wolle. „Die AfD entmenschlicht Menschen“, sagt Schmid, „anständige Leut’ wählen keine Rassisten, Ende der Durchsage.“

Das ist ein anderer Nils Schmid, als man ihn aus dem Landtag kennt. Nicht kühl, analytisch und ein bisschen von oben herab, sondern leidenschaftlich und engagiert. Der Adressat, AfD-Landeschef Jörg Meuthen, sitzt nur zwei Hocker weit entfernt auf der Bühne und schaut wie immer arglos über seine Professorenbrille. Wäre es nach Schmid gegangen, hätte es diesen Auftritt beim Forum der Stuttgarter Nachrichten gar nicht gegeben.

Als der SWR vor Monaten seine Fernseh-Elefantenrunde um AfD und Linke erweitern wollte, gab Schmid die Parole aus, mit der AfD setze sich kein Sozialdemokrat auf ein Podium. Die Grünen sprangen ihm bei. Erst nach einer fast wochenlangen öffentlichen Diskussion, die nur der AfD genutzt hat, traten die Koalitionspartner den Rückzug an.

In Umfeld von Schmid ist zu hören, der Boykott sei Schmid ein Herzensanliegen gewesen. Seine Frau Tülay ist türkischstämmig, die Kinder wachsen zweisprachig auf. So einem glaubt man, wenn er sagt, mit Rassisten setze er sich nicht auf eine Bühne. Doch leider war diese Position im Wahlkampf nicht durchzuhalten und für Demokraten wohl nicht nur strategisch falsch. Er sei nicht einfach gewesen, ihn davon zu überzeugen. Gar nicht wahr, erklärt Nils Schmid heute. Er hätte nur mit Boykott gedroht, falls die AfD in diesen Runden als ganz normale Partei behandelt werde.

Selbstkritik? Fehlanzeige

Typisch Schmid. Der Einser-Abiturient, der Prädikatsjurist mit Promotion beim heutigen Verfassungsrichter Ferdinand Kirchhof, der politische Blitzstarter und -merker ist keiner, der allzu schnell den Fehler bei sich selbst suchen würde. Das ist ein Teil des Problems, in dem seine Partei steckt. Nach fünf Jahren erfolgreicher grün-roter Koalition dümpelt die Südwest-SPD im Land bei gerade mal noch 16 Prozent. Und was sagt Nils Schmid dazu? Das sei nun einmal so als Juniorpartner in einer Koalition, der Ministerpräsident ziehe eben alle Aufmerksamkeit auf sich. „Der Wähler hat noch nicht verstanden“, dass es die SPD-Minister gewesen seien, die wesentliche Reformen vorangetrieben haben. Selbstkritik? Fehlanzeige.

Es gibt da diesen Webfehler in der grün-roten Koalition, der sich bis heute durchzieht: Denn nicht nur die CDU hielt es für einen historischen Unfall, dass die Grünen in Baden-Württemberg den Ministerpräsidenten stellen – auch die SPD war dieser Meinung. Ohne Fukushima hieße der Ministerpräsident nicht Kretschmann, sondern Schmid, so geht die Erzählung unter Sozialdemokraten. Die Bundes-SPD hätte damals sogar lieber ein Bündnis mit der CDU gesehen als ein Bündnis mit den Grünen als stärkerem Partner.

Seine Alleingänge haben ihm wenig genützt, das Verhältnis zum 25 Jahre älteren Kretschmann gilt als angespannt. Doch ausgerechnet die Stärke des grünen Koalitionspartners könnte ihn jetzt in eine zweite Regierung retten.

Als es dann doch dazu kam, spürte Nils Schmid von Anfang an den Druck, beweisen zu müssen, dass er der eigentliche Ministerpräsident in dieser Regierung ist. Deshalb bestand Schmid darauf, ein Superministerium Finanzen und Wirtschaft zu führen, deshalb versuchte er sich immer wieder auf Kosten des Koalitionspartners zu profilieren: etwa, wenn sein Ministerium einen Entwurf zur Erbschaftsteuer vorlegte, der Schäubles Vorstellungen von Unternehmerfreundlichkeit noch um einiges überholte, ohne das mit dem Ministerpräsidenten vorher abgesprochen zu haben.

Genützt haben solche Alleingänge wenig. Das Verhältnis zwischen dem 43-jährigen SPD-Chef und dem 25 Jahre älteren Kretschmann gilt als angespannt. Da mochte man medienwirksam Pressekonferenzen im blühenden Rosengarten abhalten und sich im letzten Jahr gegenseitig grüne und rote Rucksäcke schenken: die Gesichter auf den Bildern sprechen eine andere Sprache. Da lächeln sie angestrengt, der SPD-Mann mit dem brennenden Ehrgeiz und der bodenständige Ministerpräsident, dem die Herzen im Land nur so zufliegen.

Nach fünf Jahren müsste auch Schmid zugeben, dass der Versuch, sich als Nebenministerpräsident zu etablieren, gescheitert ist. Trotzdem verteidigt er immer noch tapfer, es sei eine gute Idee gewesen, das Wirtschafts- und das Finanzressort zusammenzulegen, obwohl auch Wohlgesinnte sagen, das seien ganz unterschiedliche Rollen: Der eine müsse Geld versprechen, der andere versuchen es einzusparen. Dazu kommt dass Schmid sichtlich Probleme hatte, alle relevanten Termine in dem Doppeljob wahrzunehmen.

Nicht Koch, sondern nur Kellner zu sein ist sicher schwer für den erfolgsverwöhnten Schmid, der zwar als Nachrücker eher zufällig in den Landtag kam, dort als jüngster Abgeordneter aller Zeiten aber bald als Haushaltspolitiker für Aufmerksamkeit sorgte. Bis heute findet sich keiner, der nicht Schmids Intelligenz rühmen würde. Er sprich neben Englisch fast perfekt Französisch, etwas Türkisch und Russisch. Er gewann 2009 die Mitgliederbefragung zum SPD-Landesvorsitzenden gegen den Fraktionschef Claus Schmiedel und die Politikerin Hilde Mattheis. Damals hielten sie Nils Schmid und seine Frau Tülay in der SPD für die „Kennedys vom Neckar“.

Einsam auf der Zielgeraden

Bei Unternehmern und Finanzexperten kommt der blitzgescheite junge Minister bis heute gut an. An der Basis dagegen weniger, obwohl der Sohn eines Zollbeamten und einer Lehrerin, die heute als Professorin an der Pädagogischen Hochschule arbeitet, eigentlich das sozialdemokratische Ideal vom Aufstieg durch Bildung verkörpert und mit seiner Frau Tülay, die einen Sohn in die Ehe brachte, auch ein modernes Familienbild repräsentiert. Doch in vielen Ortsvereinen gilt Schmid, mit dem man nicht mal „auf ein Bier gehen kann“, weil er keinen Alkohol trinkt, als abgehoben. Auch, weil er die Taktik der einstigen Arbeiterpartei gern mal in Manager-Anglizismen von erklärt. Dort haben sie auch nicht vergessen, dass es Schmid war, der im Aufsichtsrat der Landesbank dem Verkauf von 21.000 Sozialwohnungen an eine Immobilienfirma zugestimmt hat. Wohnungen, die das Land heute besonders gut brauchen könnte.

So wird es auf der Zielgeraden des Wahlkampfs einsam um Nils Schmid. Vielleicht rettet ihn ausgerechnet die Stärke des grünen Koalitionspartners, unter der er die ganze Zeit so gelitten hat, noch in eine zweite Regierung. Wenn nicht, dürfte der jüngste Parteivorsitzende der Südwest-SPD bald Geschichte sein. Teile der Partei planen schon jetzt die Zeit nach ihm. Der allseits respektierte Kultusminister Andreas Stoch oder der durchsetzungsfähige Innenminister Reinhold Gall stünden wohl auch bereit, mit Union und FDP über eine „Schwampel-Koalition“ zu verhandeln. Schmid weiß das natürlich, sagt aber tapfer: „Ich habe Nerven wie Eiswasser.“ Daran wiederum zweifeln nicht einmal seine Gegner.

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7 Kommentare

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  • Ach, der kleine Nils:

    "Die AfD sei rassistisch, wenn sie etwa Wohngeld nur noch für Deutsche auszahlen wolle, wenn sie vor Flüchtlingsfluten wie vor einer Naturkatastrophe warne und an den Grenzen schießen lassen wolle."

     

    Es war der Bundesfinanzminister Schäuble, der von der "Flüchtlingslawine" sprach. Also auch ein Rassist, den man nicht wählt? Und das, wo der Hr. Strobl doch der Schwiegersohn von Schäuble ist.... na dann!

  • " Die AfD sei rassistisch, wenn sie etwa Wohngeld nur noch für Deutsche auszahlen wollte"

     

    Während die anderen die lupenreine Immobilienbranche mästen.

  • Allein die Tatsache, dass es in der SPD Überlegungen gibt, mit der Union eine Koalition zu schmieden, kostet ihr viele Prozente, denn die Menschen wollen Kretschmann; und zwar mit Erstwunsch der SPD als Koalitionspartner. Das Problem ist nicht Nils Schmid sondern die möglichen Fremdgeher.

  • Bei allem Respekt für den landesväterlichen Wilfried Kretschmann, sollten die Wähler nicht vergessen und nicht vergessen gemacht werden, dass die Regierungsarbeit der vergangenen fünf Jahre nicht zuletzt auch von den SPD geführten Ministerien geleistet wurde. Blicke ich bewusst auf diese fünf Jahre zurück, und vergleiche ich dabei die Berichterstattung unserer Regionalzeitung "Heilbronner Stimme" mit der vor Grün/Rot, dann muss ich mich über die gewollte Unwissenheit vieler Menschen in unserer Region nicht wundern. Während es in Zeiten von Schwarz/Gelb so gut wie keine Berichterstattung über die damalige Opposition SPD gab, wurden der Nichtopposition CDU/FDP erstaunlich viel Raum gelassen. Raum für wenig Konstruktives. Mein Fazit: Nicht einmal Opposition beherrschten die "Gott gewollten" Regierungsparteien. Dieses Abstrafen hat die SPD in BW nicht verdient!

  • Wer immer noch ernsthaft glaubt, Rassisten würden jemals Argumente gelten lassen, mag sich ja gern mit Rassisten auf ein Podium setzen, muss sich aber mindestens naiv nennen lassen. Hätte Nils Schmid seine Linie hier konsequent durchgehalten, stünde die AfD jetzt nicht als vermeintlicher Sieger da und die SPD hätte wenigstens eine Ankündigung mal wahr gemacht. Das wäre doch schon ein erkennbarer Fortschritt gewesen. So bleibt wieder einmal mehr nur der Eindruck, die SPD übt sich fleißig im Einknicken. Warum sollte jemand sowas denn überhaupt noch wählen?

  • Es könnte jedoch auch sein, dass das im Artikel Beschriebene nicht ein Problem namens "Nils Schmid", sondern ein Problem namens "(baden-württembergische) SPD" ist.

     

    Wenn eine Partei (oder Fraktion oder sozialdemokratische Gruppe in der Landesregierung) um die Stärken und Schwächen ihres Vorsitzenden (oder Vormannes) weiss, gäbe es ja die Möglichkeit, sich so zu positionieren, dass sich der Vorsitzende/Vormann um das kümmert, was ihm liegt, wo seine Stärken liegen, und dass sich die Anderen in Partei/Fraktion/Gruppe um das kümmern, das der Andere nicht kann.

     

    Immer vorausgesetzt, man hat als Partei/Fraktion/Gruppe die dazu notwendige Solidarität (was bei Sozialdemokraten eigentlich kein Problem, noch nicht mal eine Frage sein sollte), und man möchte den (gemeinsamen) Erfolg.

     

    Vielleicht fehlt also die erforderliche Solidarität oder der notwendige "Teamspirit" oder beides. Ich tippe mal auf Letzteres ...

  • 5G
    571 (Profil gelöscht)

    "Die Kennedys vom Neckar"?

     

    Keine gute Idee, gar ein böses Omen, aber die meisten der heute Lebenden können eh nichts damit anfangen. Der Vergleich könnte aus der 2016-er Sicht auch als vorgestrig bezeichnet werden.