SPD-Debakel: Tödliche Umarmung

Das Debakel der SPD ist eine Folge der Agenda 2010 – Symptomatisch Schröders Parole "Erst das Land, dann die Partei". Nun muss die SPD lernen, mit der Linkspartei umzugehen.

Keine klare Linie - In der SPD ist ein Richtungsstreit entbrannt. Bild: ap

Die historische Niederlage der SPD wurde am Vorabend des höchsten jüdischen Feiertages, des Versöhnungstages, offenbar. Dieser Feiertag erheischt Gottes Gnade und die Bereitschaft der Sünder, bei ihren Mitmenschen um Vergebung einzukommen. Anders als das lutherische Christentum setzt das Judentum auf die menschliche Bereitschaft zur Umkehr, zur "Teschuva".

Die ersten Reaktionen altgedienter Sozialdemokraten - etwa von Egon Bahr -, aber auch gegenwärtiger Funktionsträger wie Frank-Walter Steinmeier erweckten nicht den Eindruck, dass man zur Umkehr bereit sei; vielmehr wurde hier - Bahr - eine bräsige Selbstzufriedenheit und dort - Steinmeier - eine gespenstisch wirkende Aufgeräumtheit demonstriert, die in groteskem Gegensatz zum erfahrenen Debakel stand. Ansonsten auf allen Kanälen hektische Betriebsamkeit im Vorgriff auf einen Parteitag im November.

Dabei wird dann nichts mehr entschieden. Über das Schicksal der SPD werden die nächsten Wochen in Saarbrücken, Erfurt und Potsdam befinden. Nur Koalitionen mit der Linkspartei in allen drei Ländern können beweisen, dass die SPD aus ihren Fehlern gelernt hat. Kann es doch jetzt nicht darum gehen, abzuwarten, sondern einzig darum, die Linke über Regierungsverantwortung in ein sozialdemokratisches Projekt für das 21. Jahrhundert zu holen. Hic Rhodus, hic salta!

Dabei ist Saarbrücken ein klarer Fall - die Grünen werden dort auf Jamaika verzichten müssen, wenn sie nicht in den Strudel der Niederlage hineingerissen werden wollen. In Brandenburg ist der Wählerwille eindeutig: Eine strukturelle, gesellschaftliche Mehrheit will Rot-Rot. Die Linkspartei dort zur stärksten Oppositionspartei zu machen, würde die SPD in thüringische Verhältnisse führen. Aber in Erfurt wird Christoph Matschie die einem erwachsenen Menschen zumutbare Bereitschaft aufbringen müssen, auf das Amt des Ministerpräsidenten und eine weitere Demütigung der Linkspartei zu verzichten. Er kann an den Ergebnissen im Bund ablesen, was einer SPD widerfährt, die als Juniorpartnerin der Union fungiert.

So viel zur Zukunft. Der Blick in die Vergangenheit aber lässt nicht den geringsten Zweifel daran, dass die Niederlage die verspätete Quittung für Hartz IV und die Rente mit 67 ist. Dass es vor vier Jahren zu einer großen Koalition kam, ist nur Gerhard Schröder zu verdanken, der als Rampensau einen fulminanten Wahlkampf gegen sich selbst und die SPD damit in die tödliche Umarmung mit der CDU/CSU führte. Das Verdrängte kehrt jedoch wieder: Die Ursache für das Debakel zeigt sich auch schlichtestem Denken: Eine Partei, die Politik gegen die eigene WählerInnenschaft betreibt, kann mittelfristig nur verlieren.

Bohrt man noch tiefer, so stößt man auf einen sozialphilosophischen Fehler und damit wieder auf Gerhard Schröder. Kein platter Psychologismus ist, zu behaupten, dass es Schröder als historische Figur, als Verdichtung einer spezifischen Konstellation war, die die SPD ruiniert hat. Die Gestalt des erfolgshungrigen Aufsteigers, des ehemaligen Autokanzlers und jetzigen Erdgaslobbyisten verkörperte wie keine andere die verquere Idee, dass es Aufgabe der Sozialdemokratie sei, den "Tüchtigen" durch Chancengleichheit freie Bahn zu schaffen. Wahlsoziologisch appellierte die SPD damit an das schrumpfende Milieu aufstiegswilliger Angehöriger der unteren Mittelschicht - für eine gesellschaftliche Hegemonie rein quantitativ zu wenig. Schröder und Steinmeier stehen für den Fehler, die eigene Lebensgeschichte zur Blaupause für die gesamte Gesellschaft aufgebläht zu haben.

Systematisch äußerte sich dieser Fehler in Schröders Parole "Erst das Land, dann die Partei". Damit legte der mit Marx durchaus vertraute Exjusochef ein tiefgreifendes Missverständnis der Parteiendemokratie und einen Mangel an dialektischem Denken an den Tag. Der deutsche Ausdruck "Partei" kommt vom lateinischen "Pars" und bedeutet nichts anderes als "Teil". Das heißt: Eine linke Partei in einer Klassengesellschaft kann dem Gemeinwohl und damit der Gesellschaft nur dienen, indem sie offen und konsequent die partikularen Interessen der gesellschaftlich Schwächeren wahrnimmt. Stellt man Land und Partei in einen Gegensatz, ordnet gar das eine dem anderen unter, ist der Niedergang schon besiegelt.

Geht man in der Analyse noch weiter, so stößt man auf die bereits im Ansatz schiefe, dann politisch missverstandene Individualisierungstheorie. Schon bei Beck, Giddens und dem auf ihren Überlegungen beruhenden Papier von Schröder und Blair ließ sich der gesellschaftstheoretische Fehler erahnen: der Glaube, dass die Emanzipation der Individuen durch die Summe voneinander unabhängiger individueller Emanzipationsschritte geschehen könne - weswegen es nur noch um Beschäftigung und Chancengleichheit, um individuelles Fordern und Fördern gehe. Aber nein: Die weitere Emanzipation der Individuen kann nicht durch die Entfesselung der Konkurrenz zwischen ihnen, sondern nur durch Solidarität gewährende soziale Strukturen befördert werden.

In Saarbrücken, Erfurt und Potsdam wird sich erweisen, ob die SPD - und das heißt auch der angeblich gereifte Steinmeier - bereit ist, von jenem Irrweg abzukehren, der in Schröders Musikwunsch beim Abschiedszapfenstreich der Bundeswehr zum Ausdruck kam: Frank Sinatras "I did it my way!"

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