SPD-Abgeordnete über Koalitionsdisziplin: „Obwohl's wehtut, das ist sinnvoll“

Sarah Ryglewski glaubt, dass das linke Lager noch keine Mehrheit hat. Die Direktkandidatin der Bremer SPD für den Bundestag über Realpolitik.

Die Bremer Bundestagsabgeordnete Sarah Ryglewski (SPD) sitzt im Bundestag auf der Regierungsbank zwischen Innenminister Horst Seehofer (CSU) und Kanzlerin Angela Merkel (CDU), die hinter ihrem Rücken diskutieren

Eingekeilt zwischen den Mächtigen: Sarah Ryglewski auf der Regierungsbank im Bundestag Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa

Frau Ryglewski, spinnen wir mal ein bisschen rum. Was machen Sie, wenn Olaf Scholz Bundeskanzler werden sollte? Sie sind ja Staatssekretärin beim Finanzminister, Ihre Vorgängerin ist heute Familien- und Justizministerin.

Die Frage ehrt mich. Ich arbeite sehr gerne mit Olaf Scholz zusammen. Aber meiner Erfahrung nach ist eine politische Karriere nicht planbar. Erst mal muss ich wiedergewählt werden, darauf konzentriere ich mich jetzt.

Die Chancen auf ein Direktmandat sind so schlecht wie noch nie.

Es ist historisch einmalig, dass es drei Parteien gibt, die Chancen hätten, einen Kanzler oder eine Kanzlerin zu stellen. Das wirkt sich natürlich auch auf die Wahlkreise aus. Ich rechne mir recht gute Chancen aus, aber man sollte politisch nie Dinge als gegeben ansehen.

Wird in Bremen denn gesehen, was Sie da im Finanzministerium machen?

„Wenn es ein Fehler war, dann haben wir den alle gemacht“

Natürlich bin ich fürs ganze Land da, aber ich versuche immer auch, die Bremer Perspektive einzubringen. Der ÖPNV-Rettungsschirm in der Pandemie zum Beispiel kommt mittelbar Bremen zugute – unabhängig davon, dass ich den auch sonst für sinnvoll halte. Und die Debatte um Kommunalfinanzen ist mir auch aus Bremer Sicht wichtig: Bremen hat hohe Schuldenstände, das mindert unsere politische Handlungsfähigkeit. Das muss geändert werden.

In der Pandemie scheint dieser Spielraum gerade etwas größer. Aber schon ab 2023 soll die Schuldenbremse wieder greifen. So will das Ihr Chef, Olaf Scholz.

Erst einmal will das so das Grundgesetz. Aber ja, ich bin der Meinung, dass wir eine Diskussion über die Reform der Schuldenbremse brauchen. Die Investitionen, die wir heute nicht treffen, das sind die wahren Schulden, die den Menschen später auf die Füße fallen.

Diese Diskussion könnten Sie jeden Tag führen!

Die Diskussion ist ja schon da. Aber mein Verweis aufs Grundgesetz war keine politische Ausflucht: Um die Schuldenbremse abzuschaffen, brauchen wir eine Zwei-Drittel-Mehrheit. Wenn ich mir die aktuellen Umfragewerte anschaue, sehe ich das derzeit nicht. Olaf Scholz ist Finanzminister und kann nur mit Bedingungen rechnen, für die es plausibel eine Mehrheit gibt. Alles andere wäre unseriös.

Um die Schuldenbremse ins Grundgesetz aufzunehmen, bekam man die Zwei-Drittel-Mehrheit 2011 zusammen. Auch mit den Stimmen der SPD. War das ein Fehler?

Wir hatten damals eine überbordende Neuverschuldung. Staatsschulden können zum Problem werden, wenn sie nicht für Investitionen, sondern zur Deckung laufender Ausgaben genutzt werden. Das war damals der Fall. Und es ist ja nicht so, als ob die SPD allein die Schuldenbremse eingeführt hätte – wenn es ein Fehler war, dann haben wir den alle gemacht. Die Schuldenbremse in Bremen ist die härteste der Republik, hier dürfen sich nicht mal die Kommunen verschulden. Und warum? Weil das 2011 eine der Bedingungen der Grünen für den Bremer Koalitionsvertrag war. Das war dem Zeitgeist geschuldet, es konnte damals gar nicht hart genug sein.

38, ist Politikwissenschaftlerin und seit 2015 SPD-Bundestagsabgeordnete. Damals rückte sie für Carsten Sieling nach. 2019 wurde sie zur Parlamentarischen Staatssekretärin beim Bundesminister für Finanzen Olaf Scholz.

Und jetzt werden wir den Zeitgeist von 2011 nicht mehr los?

Eine vollständige Abschaffung halte ich gar nicht für zielführend. Aber eine Reform. Die Schuldenbremse muss so modifiziert werden, dass zumindest Investitionen möglich sind und sie nicht zur Zukunftsbremse wird.

Manches geht auch ohne Geld. Im Bundestag gab es gerade einen Gesetzesentwurf der Grünen, der Transsexuellen die Anerkennung ihrer Geschlechtsidentität erleichtern sollte. Sie haben wie Ihre Fraktion dagegen gestimmt. Warum?

Ich hätte mir sehr gewünscht, mit Ja stimmen zu können. Hinter dem jetzigen Transsexuellen-Gesetz steckt ja die grundfalsche Vorstellung, dass Transsexualität etwas Therapiebedürftiges ist. Wir haben lange versucht, mit dem Koalitionspartner zu einer Lösung zu kommen. Das hat sich aber nicht abgezeichnet.

Was zu erwarten war. Was wäre passiert, wenn Sie hier Ihrem Gewissen gefolgt wären?

Es ist für die Außendarstellung eine Herausforderung, dass man in Koalitionen nicht gegen den Koalitionspartner abstimmt. Aber obwohl es wehtut: Das ist sinnvoll. Würde die Koalition von unserer Seite aus nicht gehalten, gäbe es sicher auch einige bei der Union, die in manchen Fragen abweichen würden. Es gibt innerhalb der Union eine Annäherung an die AfD und es gibt in diesem Bundestag teilweise auch Mehrheiten rechts der Mitte. Der Koalitionsvertrag bindet beide Seiten.

Es ist ein schwieriges Konzept, weil es schon so lange keine linken Mehrheiten mehr gab.

Das ist das Dilemma. Aber politische Mehrheiten wachsen nur aus gesellschaftlichen Mehrheiten. Viele linke progressive Menschen, die ich kenne, denken, wir wären schon in der Mehrheit. Ich fürchte, das stimmt so nicht: Das linke Lager insgesamt ist nicht deutlich gewachsen. Auch das Wachstum der Grünen ist nur zum Teil darauf zurückzuführen, dass Leute aus dem konservativen Lager jetzt ihre grüne Seele entdecken. Es ist eher so, dass sich das progressive Lager neu sortiert. Wenn wir Veränderung wollen, müssen wir ein Grundproblem lösen: Wir müssen unsere spezifischen Kompetenzen so ausdifferenzieren, dass wir eine gesellschaftliche Mehrheit bekommen.

Was wäre da genau die Aufgabe der SPD?

Zu gucken, wie man für das progressive Lager die Leute erreicht, die vielleicht noch nicht wissen, dass sie darin spielen. Die SPD muss ein Angebot machen für Menschen, die versuchen, vieles richtig zu machen: Die jeden Tag arbeiten gehen, oder gerne Arbeit hätten, die sich um ihre Kinder kümmern und die sagen: Ich versuche nach den Regeln zu spielen, aber ich muss mich wahnsinnig anstrengen, um über die Runden zu kommen. Und ich bin müde deswegen.

Und jetzt kommen die Progressiven noch mit dem Klimawandel!

Ja. Und die Digitalisierung gefährdet vielleicht meinen Job. Eigentlich soll Politik mir das Leben leichter machen. Genau das müssen wir adressieren und sagen: Wir sorgen dafür, dass aus der Bekämpfung des Klimawandels eine Chance auf Arbeit entsteht, mit einer Industriepolitik, die dem Klimawandel über technologischen Wandel begegnet. Damit sehen auch die Leute bei Airbus und Mercedes eine Chance für sich. Diese Aufgabe kann die SPD leisten, unsere Anknüpfungspunkte sind da gesellschaftlich und personell größer als etwa bei den Grünen.

Sie sagen den Leuten: Jeder Job lässt sich retten?

Nein, das ist dann der härtere Stoff: Natürlich haben wir Jobs, die es in zehn, 20 Jahren nicht mehr geben wird. Aber wir müssen den Menschen klar machen: Das führt nicht dazu, dass du abgehängt wirst. Du bekommst die Möglichkeit, noch mal neu was zu erlernen.

Das will nicht jeder …

Stimmt. Wer noch mal eine Umschulung macht, der ist finanziell sehr schlecht gestellt. Für Menschen mit Familie ist das kaum zu leisten. Wir sagen: Es gibt auch ein Recht auf Zweit- oder Drittausbildung, wenn der eigene Job nicht mehr so stark nachgefragt wird. Und das zu Bedingungen, die es einem ermöglichen, den Lebensstandard zu halten.

Was machen Sie, wenn es für Sie nicht klappt mit dem Mandat?

Abgeordnete ist ein Amt auf Zeit, man muss immer damit rechnen, vielleicht nicht wiedergewählt zu werden. Konkrete Pläne habe ich nicht, aber ich habe ein abgeschlossenes Studium, etwas Berufserfahrung und in den letzten sechs Jahren auch noch einige Kompetenzen dazugewonnen. Ich bin wahnsinnig gerne Abgeordnete. Aber es ist auch ein anstrengender Job. Plan B hätte sicher auch seinen Charme.

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