SICHERUNGSVERWAHRUNG: Angst und Ohnmacht in Jenfeld

Er wollte nicht, und kam plötzlich doch: Am Sonntag zog der erste Sicherheitsverwahrte in Jenfeld ein. Kurz darauf folgte der Zweite. Die Bürger sind verunsichert. Sie trauen der Politik nicht mehr.

Protestierende Anwohner in Hamburg-Jenfeld. Bild: Miguel Ferraz

HAMBURG taz | Die Boulevardpresse hat wieder rechtzeitig einen Wink gekriegt: Um 19.29 Uhr am Sonntagabend fahren vier Autos im Schutze der Dunkelheit zum Gelände des ehemaligen Alten- und Pflegeheims Holstenhof im Hamburger Stadtteil Jenfeld. Vor einem gelben Klinkerbau bleibt die Wagenkolonne stehen. In einem der Autos sitzt Hans-Peter W., Mehrfach-Vergewaltiger und ehemaliger Sicherungsverwahrter. Er nimmt seinen schwarzen Labradorrüden an die Leine, steigt aus und betritt, begleitet von Polizisten, sein neues Zuhause.

Bislang hatte der verurteilte Sexualstraftäter immer betont, er würde auf keinen Fall nach Jenfeld ziehen, er fühle sich dort wegen der Bürgerproteste gegen ihn ausgestellt wie in einem Zoo. Von dem plötzlichen Sinneswandel seines Mandanten wurde daher nicht nur dessen Anwalt Ernst Medecke überrascht. Auch die Bürger der Anliegerstraße Elfsaal und Umgebung wurden über ihren neuen Nachbarn nicht informiert. Dafür mussten sie bis 6.54 Uhr am Montagmorgen warten.

"Ich bin sofort in mein Auto gestiegen und hupend die Straße hoch und runter gefahren, damit alle Bescheid wissen, was hier los ist", sagt Carsten Schlumbom. Der 53-Jährige, Steuerberater und Vater zweier Kinder, hat alle Termine spontan abgesagt. "Hier heute zu stehen war wichtiger", sagt er.

Nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshof für Menschrechte müssen einige Sicherungsverwahrte, die als nicht hoch gefährlich gelten, entlassen werden. Sie können ihren Wohnsitz frei wählen, unterstehen aber einige Jahre einer Führungsaufsicht.

Dauer: Der Mietvertrag für die Anlage in Hamburg-Jenfeld läuft Ende 2012 aus. Dann soll auf dem Gelände eine Kita entstehen. Die Anwohner glauben jedoch, dass die entlassenen Straftäter länger dort behalten werden könnten.

Zentralisierung: Laut Senatsplänen sollen nur drei bis vier ehemalige Sicherungsverwahrte einziehen. Die Bürgerinitiative befürchtet, dass Entlassene aus anderen Bundesländern hinzu kommen könnten.

Seit sieben Stunden marschiert Schlumbom nun schon vor der Einfahrt des Altenheimgeländes auf und ab. Zusammen mit knapp einem Dutzend Anwohnern hält er Mahnwache. Erfahren habe er von der "Nacht und Nebelaktion" der Behörden aus einem Nachrichten-Ticker, den seine Frau vor ein paar Wochen eingerichtet hat. Seit der Senat Anfang Dezember bekannt gab, in Jenfeld Schwerverbrecher unterzubringen, sei einfach zu viel schief gelaufen bei der Kommunikation zwischen Politikern und Bürgern, sagt Schlumbom. Die Anwohner wollten sich nicht mehr auf die Informationen der Behörden verlassen.

Der Senat berichte nicht über Spekulationen, rechtfertigt sich Sven Billhardt, der Pressesprecher der Justizbehörde. Hans-Peter W. habe zunächst umziehen wollen, dann wieder nicht. "Sollen wir alle drei Tage sagen, er zieht ein, er zieht nicht ein? Brächte dieses Hin und Her einen Informationsgewinn?" Sinnvoller sei es, den ersten wirklichen Schritt in die Wohnung zu bestätigen und dann über die Medien die Information zu streuen, findet Billhardt.

Die Anwohner beklagen sich seit dem Bekanntwerden der Pläne über die Informationspolitik des Senats. Einladungen zu der Bürgersprechstunde am 6. Dezember seien nur sporadisch angekommen. Die vom Senat Anfang letzter Woche verschickten 23.000 Informationsbriefe an alle Haushalte seien ebenfalls noch nicht eingetroffen. "Und dann diese Aktion gestern Abend", schimpft Schlumbom.

Dabei habe der Senat versprochen, Bescheid zu sagen, falls einer der Sicherheitsverwahrten doch noch in Jenfeld einziehen sollte. Eine Schande sei es, wie hier über Nacht Fakten geschaffen wurden. "Da bekommt man den Eindruck, als würde die Politik uns bewusst hintergehen", sagt Schlumbom. Der Senat, pflichtet ihm eine Frau Ende 40 bei, wolle sein Ding einfach durchbringen.

Die Befürchtung der Jenfelder, dass hier der SPD-Senat gegen den Willen der Anwohner wie der ehemaligen Sicherungsverwahrten mit allen Mitteln seine Pläne durchsetzen will, sei nicht ganz von der Hand zu weisen, behaupten Kreise, die mit den entlassenen Häftlingen in Kontakt stehen. Die beiden Betroffenen seien von dem Trägerverein des Areals, Pflegen&Wohnen, von der Polizei, den Bewährungshelfern und schließlich auch von der Justizbehörde massiv unter Druck gesetzt worden, auf die Pläne der SPD einzugehen. "Es war allein ihre Entscheidung nach Jenfeld umzuziehen",betont dagegen Justizbehördensprecher Billhardt. Und wiederholt das gerne nochmal: "Es-war-allein-ihre-eigene-Entscheidung."

Nach mehr als sieben Stunden im kalten Wind muss sich Schlumbom vorübergehend geschlagen geben. Er gehe nur kurz nach Hause um sich aufzuwärmen. Er komme aber wieder, kündigt er an. Und wenn es sein müsse, bleibe er bis 15. Dezember. Sein Platz bleibt nicht lange leer. Ein paar Anwohner mit Cappuccino-Bechern in der Hand übernehmen seinen Posten. Ein paar Minuten später kommt auch Schlumboms Frau dazu.

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