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Rußland ist im Balkan völlig ausmanövriert

■ Der Alleingang der Nato in der Kosovo-Krise demonstriert Moskau wieder einmal seine marginale Rolle in der Weltpolitik. Eine russische Parteinahme für die Serben ist jedoch parteiübergreifender K

Um Viertel nach neun am Dienstag abend drehte die Maschine des russischen Ministerpräsidenten Jewgenij Primakow mit Kurs auf Washington über dem Atlantik ab. Der Moskauer Gast war unterwegs in heikler Mission. In Washington galt es, das ohnehin nicht mehr spendierfreudige und rußlandmüde Finanzestablishment zu bewegen, dem finanzklammen Riesenreich noch einmal einen IWF-Milliardenkredit zu gewähren. Vizepräsident Al Gore teilte Primakow unterdessen telefonisch mit, seine Visite werde die Nato nicht abhalten, Luftangriffe gegen Belgrad aufzunehmen.

Danach blieb Primakow nichts anderes übrig, als auf Heimatkurs zu wechseln. Erneut hatten die Amerikaner dem Kreml demonstriert, welch marginale Rolle ihm in der Weltpolitik noch zugedacht ist. Zurück in Moskau, verkaufte der Ministerpräsident die gescheiterte Visite so gut er konnte. Prinzipien seien die eine, Geld eine andere Sache. Seit Ausbruch des Balkankonflikts 1991 hat sich Rußland selbst zum Sachwalter Belgrader Interessen ernannt.

Allein Rücksicht auf die innenpolitische Kräftekonstellation zwang den Premier schon zur Rückkehr. Schließlich hat er sein Amt nur inne, weil die kommunistische Mehrheit in der Duma ihn stützt. Die rotbraune Fraktion gefällt sich indes in der Rolle des einzigen treuen Verbündeten des vom Westen bedrohten slawischen Brudervolks. Der Konsens, den Kosovo-Konflikt friedlich zu lösen und im Zweifelsfalle die Seite der Serben zu ergreifen, reicht aber über ideologische Gräben hinweg. Ähnliche Einmütigkeit herrschte in der Frage der Nato-Osterweiterung vor, die alle politischen Lager verurteilten. Selbst Vertreter der einzigen ernstzunehmenden Reformpartei, Jabloko, geben dem Westen Schuld an der Eskalation auf dem Balkan. Ihr außenpolitischer Experte Wladimir Lukin meinte: „Zu neunzig Prozent trägt der Westen die Verantwortung.“

Die Kommunisten lassen sich die Gelegenheit nicht entgehen, den Nato-Schlag innenpolitisch zu nutzen. Ihre Linksaußen wittern schon die Chance, Rußland vom Westen abzuschotten. Noch deutlicher reagierte der Vorsitzende des Dumakomitees für Geopolitik, Mitrofanow, Mitglied der chauvinistischen Partei Wladimir Schirinowskis. Er plädierte dafür, den Ausnahmezustand zu verhängen, die Duma aufzulösen und die Rüstungsindustrie auf Kriegsproduktion umzustellen. „Heute die Serben und in fünf Jahren wir.“

Auch die Militärs sehen ihre Stunde heraufziehen. Verteidigungsminister Igor Sergejew kündigte an, im Falle eines Bombardements werde Rußland „adäquate Maßnahmen“ ergreifen, ohne diese zu erläutern. Aus dem Generalstab verlautete, womöglich werde man in Weißrußland erneut Nuklearwaffen stationieren. Überdies gedenke man, sich nicht mehr an das Waffenembargo gegenüber dem Irak und Iran zu halten, und könnte der Nato die Zusammenarbeit in Bosnien aufkündigen.

Außenminister Iwanow warnte unterdessen vor einer Überreaktion. Er ließ es sich aber trotzdem nicht nehmen, auf die schädlichen Konsequenzen für das Verhältnis zwischen der Nato und Rußland, womit er eigentlich die USA im Visier hatte, hinzuweisen.

Die liberale Tageszeitung Kommersant lancierte eine Breitseite gegen den Premier. „15 Milliarden Dollar verlor Rußland dank Primakow“, schrieb das Blatt. Er habe das Wohl des Landes und seines Volkes den Interessen des Internationalismus geopfert, kommentierte die seriöse Zeitung. Dergleichen könne wohl nur Primakow selbst als ehemaliges ZK- Mitglied der KPdSU und Bolschewik begreifen. Die Ehrlichkeit gebiete es nun, den darbenden Rentnern zu erklären, daß sie im Interesse Milošević' auf ihre Pensionen verzichten müssen.

Neben einem Fünf-Milliarden- Kredit rechnete das Wirtschaftsblatt Einnahmen hoch, die Moskau langfristig aus Handelseinkommen erzielt hätte, die nun nicht unterzeichnet würden. Etwas gemäßigter ging die Iswestija mit Primakow ins Gericht: „Wegen des Fanatismus eines Serben befinden wir uns wieder an der Schwelle eines Konflikts mit mächtigen Gegnern“, hieß es in Anspielung auf die russische Unterstützung der Serben bei Kriegsausbruch 1914. Die Folgen seien bekannt...

Die in Moskau vielbeschworene panslawistische Blutsbrüderschaft zwischen Russen und Serben ist – wie so vieles im politisch-ideologischen Diskurs Rußlands – eine rein fiktive Kopfgeburt. Die Russen haben den Serben außer 1914 nie unter die Arme gegriffen. Nicht einmal in den Kriegen gegen das Osmanische Reich. Ihre Affären waren immer konjunkturbedingt.

Seit Titos Bruch mit Stalin 1948 waren die Beziehungen gespannt. Der Kreml verdächtigte Jugoslawien gar, fünfte Kolonne des Westens zu sein. Milošević hat den russischen Opportunismus nicht vergessen. Er nutzt die imperiale Nostalgie und den Phantomschmerz der Russen, solange sie seinen Zielen dienen. Wenn nicht, pfeift er auf die Wahlverwandtschaft. Klaus-Helge Donath, Moskau

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