Russisches Glücksministerium: Orwell lässt grüßen
Eine hochrangige Politikerin will ein Ministerium für Glück einrichten. Ähnlichkeiten zu George Orwells Liebesministerium aus „1984“ sind rein zufällig.
W as Bhutan hat und die Vereinigten Arabischen Emirate pflegen, können wir doch auch, scheint sich Russlands Föderationsratsvorsitzende Walentina Matwijenko gedacht zu haben, als sie kürzlich mit ihrer Idee an die Öffentlichkeit trat. „Lasst uns ein Ministerium des Glücks schaffen“, rief sie enthusiastisch den jungen Teilnehmern eines Bildungsforums in Moskau zu.
Matwijenko meint das ernst, seit 2016 träumt sie schon den Traum vom Glück für alle. Was genau sie unter „Glück“ von Staats wegen versteht, sagt sie jedoch nie. „Dieses Ministerium sollte alle Entscheidungen, Gesetze und Regierungsbeschlüsse darauf prüfen, ob diese die Menschen glücklicher machen“, erklärte sie auf der Bühne und gab jedoch zu, dass ihre „Unterstützergruppe“ bisher „noch klein“ sei.
Ein Land, das Krieg gegen ein anderes führt und es nicht einmal so nennt, ein Land, das seine Männer zu Kanonenfutter macht und die Toten als „Helden“ beerdigt, lebt weiter seinen Zynismus und will seinem Volk Glück verordnen. Das erinnert an das „Liebesministerium“ in George Orwells „1984“, in dem durch Folter alle den „Großen Bruder“ lieben lernen sollen.
Mehr Glück erhöht Chance auf Sieg im Krieg
Olga Kowitidi – eine von Matwijenkos Unterstützerinnen, die im Föderationsrat die annektierte ukrainische Halbinsel Krim vertritt – behauptet gar, dass „gefestigtes Glück die Chance auf den Sieg“ erhöhe. Schließlich wollten alle „ein Russland glücklicher Menschen“.
Die noch unglücklichen Menschen in Russland sind da anderer Auffassung. „Lasst uns leben, ohne euch ständig in unser Leben einzumischen, das macht uns glücklich“, schreibt eine Alia auf Telegram. „Wie wäre es mit dem Abzug der Kriegstechnik aus der Ukraine?“, fragt ein anonymer Nutzer. „Armut bekämpfen, Gas, Wasser und Klo im eigenen Haus, das wäre etwas, was uns glücklich macht“, zählt ein Sergei auf. Die Menschen schreiben von „reiner Idiotie“ und forderten ein „Ministerium der Vernunft“.
„Was passiert eigentlich mit denen, die das staatlich verordnete Glück nicht anzunehmen bereit sind? 20 Jahre Strafkolonie für die Unglücklichen?“, kommentiert ein Oleg.
Der Blogger Gleb Staschkow sieht gar einen ganzen Apparat entstehen: „Ein Ministerium für Glück bräuchte sogleich auch den Föderalen Dienst, der dafür sorgt, dass alle glücklich sind. Einen Landesbeauftragten und viele Regionalbeauftragte. Und natürlich Ausschüsse zur Kontrolle des illegalen Glücks, zur Förderung traditioneller Formen des Glücks und zur Bekämpfung nichttraditioneller Formen. Eine Glücksersatzkommission. Und Hunderte von Beamten wären beschäftigt und glücklich.“
Und Psychiater*innen erklären in staatlichen Medien, dass ständiges Glücksempfinden völlig unnatürlich sei und letztlich zur Verblödung führe.
UN-Glücksreport stellt Russland schlechtes Zeugnis auf
Die Vereinten Nationen veröffentlichen – auf Vorschlag Bhutans – seit 2012 jährlich den World Happiness Report. Unterschiedliche Faktoren wie das subjektive Zufriedenheitsempfinden der Menschen, Daten aus der Wirtschaft, Psychologie, Gesundheitsversorgung, Bildung ergeben den Glückskoeffizienten. Russland landete in diesem Jahr auf Platz 79 von 142 Ländern. Deutschland findet sich auf Platz 15.
Finnland, Dänemark und Island sind die Gewinner. Länder, die Moskau für „unfreundlich“ hält, weil sie sich an den Sanktionen gegen Russland beteiligen. Sanktionen, die die Menschen in Russland nicht besonders glücklich machen.
Dabei gibt es schon „Glücksbeamte“ in Russland. Und zwar auf Kamtschatka, ganz im Osten des Landes. Dort gibt es das Ministerium für soziales Wohlergehen und Familienpolitik, im Volksmund „Glücksministerium“. Viel hört die Welt nicht von glücklichen Kamtschatka-Bewohner*innen.
Wohl auch Walentina Matwijenko nicht. Nach Spott und Häme zog sie – einmal mehr – ihre Idee zurück. „Es war nur ein Witz“, sagte sie drei Tage nach ihrem Auftritt beim Moskauer Forum. Zum Glück!
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Vorgezogene Bundestagswahl
Ist Scholz noch der richtige Kandidat?
USA
Effizienter sparen mit Elon Musk
113 Erstunterzeichnende
Abgeordnete reichen AfD-Verbotsantrag im Bundestag ein
Ein-Euro-Jobs als Druckmittel
Die Zwangsarbeit kehrt zurück
Bürgergeld-Empfänger:innen erzählen
„Die Selbstzweifel sind gewachsen“
Übergriffe durch Hertha-BSC-Fans im Zug
Fan fatal