Russischer Aktivist will Putin stürzen: Schamane mit politischer Agenda
Ein „weißer Magier“ aus Ostrussland marschiert nach Moskau, um Putin aus dem Amt zu jagen. Auf seiner Route ist er zum Star geworden.
Gabyschew, von dem in Russland zahlreiche YouTube-Videos und Fotos kursieren, ist 51 Jahre alt. Vor vier Monaten, Anfang März, brach er im sibirischen Jakutsk auf. Als er sich auf den Weg machte, herrschten dort noch Temperaturen von minus 40 Grad. Sein nächstes Ziel ist die Stadt Tschita in der Region Transbaikalien östlich des Baikalsees.
Doch Gabyschew hat sich noch mehr vorgenommen: Im August 2021 will er zu Fuß Moskau erreichen und Präsident Wladimir Putin aus dem Kreml verjagen. Der kleine, drahtige Mann traut sich das zu. Unterwegs baut er auf Gleichgesinnte und Mitstreiter, denen wie ihm an politischen Veränderungen in Russland gelegen ist.
Gabyschew vertraut auf sein Karma und jene Hilfestellungen, die Natur und Geister für ihn bereithalten. Er studierte Geschichte in Jakutsk und arbeitete jahrelang als Schweißer. Inzwischen hat er den Beruf gewechselt. Nach dem Tod seiner Frau sei er fast verrückt geworden, erzählt er in einem Video.
Seine Mutter und Dorfbewohner hätten ihn damals in den Wald geschickt. In der Hoffnung auf Läuterung, sagt er. Mehr als drei Jahre brachte er in der Einöde zu, bevor er sich zurückwagte. Die Erfahrung habe ihn zum Schamanen gemacht, sagt er. Heute besäße er Kräfte, mit denen er negative Einflüsse vertreiben könne.
Alexander Gabyschew, Aktivist und Schamane
Die Menschen an der Fernosttrasse haben an Gabyschew einen Narren gefressen. Lastwagenfahrer auf der endlosen Strecke halten an, beschenken ihn und wollen sich mit ihm unterhalten. Ständig tauchen Journalisten auf. Gabyschew steht gerne Rede und Antwort. Mehr als eine Million Menschen schon haben Videos mit ihm im Internet gesehen – aufgenommen am Rande der Route vor der Jurte. Putin-Kritiker unterstützen ihn. „Aber auch Putins Anhänger akzeptieren mich“, sagt er.
Gabyschew hofft, dass er in den großen Städten, die auf dem Weg liegen, viele Unterstützer findet, die ihn bis nach Moskau begleiten. Eines Tages, ist er überzeugt, werde er mit einer Armee aus Andersdenkenden in Moskau einziehen. Er will Putin aus dem Amt vertreiben. „Ohne Blutvergießen!“, schwört er. In der Universitätsstadt Nowosibirsk baut er auf „gute Ideen“ der „fortschrittlichen“ Intelligenz.
25 Kilometer am Tag – mehr ist nicht drin
Auf ein erstes Wunder setzt Gabyschew bereits in Tschita, „dem Herzen Russlands“, wie er sagt: Magische Worte würden dort aus Flammen geboren. Sollten die Protestversammlungen erfolgreich verlaufen, werde sich das auch auf schamanische Kraft und Einfluss auswirken.
Gabyschews politische Pädagogik kostet jedoch Zeit. Mehr als 20 bis 25 Kilometer pro Tag legt er selten zurück. Die Einsamkeit habe ihn zum „weißen Magier“ gemacht, einem „gutartigen“, behauptet der Schamane. Er könne daher die vielen Täuschungen, denen Menschen aufsäßen, mit eigener Kraft vertreiben.
Seine politische Philosophie setzt auf ein „Gleichgewicht der Kräfte“, hinter der sich eine Spielart der Volksherrschaft verberge. Genauer erklärt der Schamane es nicht. Nur so viel: Diese Herrschaftsform ziehe das einflusslose Volk an, meint er zuversichtlich.
Lokale Selbstverwaltung und Dezentralisierung des Riesenreiches seien die wichtigsten Schlüssel für einen „harmonischen Neustart“ Russlands, glaubt Gabyschew. Präsident Putin hält er für einen Dämonen und das Volk sei in eine künstliche Depression versetzt worden. Gleichwohl, der Kampf um das Gleichgewicht sei längst im Gange. Nur „Krieger“ unter den Schamanen besäßen die Fähigkeit, zerstörte Harmonie wieder ins Lot zu bringen.
In Präsident Wladimir Putin sieht er indessen eine Ausgeburt „dunkler Kräfte“. Wer sonst baue heute noch ein Imperium? Nur „unsere Verrückten“ können sich davon nicht lösen, sagt er. Gabyschews Schamanismus ist eine Mischung aus scharfen Beobachtungen und gefälligen Beschwörungsformeln.
Wird Gabyschew es ungehindert bis in die russische Hauptstadt schaffen? Er ist sich sicher. Gott werde ihn schützen. Nicht ausschließen will er dennoch, dass der Weg ins Zentrum vorher in einer Psychoklinik endet. Dann wäre der Zauberer der weißen Magie dunklen Kräften wieder erlegen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Stellenabbau bei Thyssenkrupp
Auf dem Rücken der Beschäftigten
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag