Russische Ukraine-Politik: Destabilisieren um jeden Preis
Der Kreml will die Ostukraine durch Föderalisierung an sich binden. Die Mehrheit der Bevölkerung lehnt das ab – obwohl die russische Propaganda sich Mühe gibt.
BERLIN taz | Schon Tonfall und Mimik russischer TV-Moderatoren ist anzumerken, dass die Dinge in der Ukraine mehr oder minder zur Zufriedenheit Moskaus verlaufen. Und in den Gestus gespielter Empörung über das Chaos beim Nachbarn schleicht sich ein schadenfroher Unterton ein. Mit jedem Tag des Konflikts wächst Moskaus Siegesgewissheit, so dass ein mitfühlender User in den sozialen Netzen schon darüber klagte, dass es tragisch sei, mit ansehen zu müssen, wie „sich die Kleinrussen“ – abwertend für Ukrainer – „vergeblich abstrampelten“.
Dazu passt, das Außenminister Sergei Lawrow am Montag in einem Beitrag für den Guardian erneut Moskaus Bereitschaft unterstrich, alles „für eine baldige Stabilisierung der Ukraine“ zu unternehmen – und dem Nachbarn im gleichen Atemzug bescheinigte, „trotz so vieler Hilfestellungen aus Russland“ die Lektion der staatlichen Souveränität in den vergangenen 20 Jahren nicht gelernt zu haben.
Zwischen den Zeilen wird die Ukraine zu einem „failed state“ – einem gescheiterten Staat. Russland hält an den bisherigen Forderungen fest, besteht auf einer Föderalisierung des Landes – und lehnt gleichzeitig die Anerkennung der Kiewer Übergangsregierung und die für Ende Mai angesetzten Neuwahlen ab.
Russland bewegt sich keinen Schritt. Der Konflikt mit dem Westen ist da, der Weg in die Isolation eingeschlagen – da besteht keine Notwendigkeit mehr, guten Willen zu zeigen oder gar Kompromisse einzugehen. Ein Kalkül dürfte sein, dass die Ukraine über kurz oder lang der Verschleppung der inneren Spannungen von allein zum Opfer fallen könnte. Das würde russische Ressourcen sparen, Wladimir Putin als glänzenden Strategen auszeichnen – und hervorragend in das Konzept der neuen russischen Geschichtsschreibung passen.
Herkunft der Aktivisten fraglich
Derweil hieß es in Kiew, nach der Krim sei nun eine zweite Welle russischer Spezialoperation gegen die Ukraine im Gang. Am Dienstag räumten Truppen des ukrainischen Innenministeriums ein Verwaltungsgebäude in Charkiw, das prorussische Aktivisten am Wochenende besetzt hatten. Ob es sich bei diesen um russischsprachige Ukrainer handelt oder um Provokateure aus dem Mutterland, ist fraglich.
Erst am Sonntag hatte eine Gruppe ortsfremder Revolutionsreisender die Oper in Charkiw besetzt, weil sie das Gebäude mit der Stadtverwaltung verwechselt hatte. Auch in Donezk wurde eine „souveräne Volksrepublik“ ausgerufen, die dann umgehend Wladimir Putin um Hilfe bat. Es wäre verwunderlich, wenn hinter diesen Aktivisten, die sehr viele Ähnlichkeiten mit den städtischen Unterschichten aufweisen, nicht mächtige Drahtzieher stünden.
Unterdessen dürfte eine Umfrage Moskau Kopfzerbrechen bereiten. Die Föderalisierung der Ukraine stößt selbst in den russischsprachigen Gebieten im Süden und Osten des Landes nur auf schwache Zustimmung. Laut einer Umfrage vom Montag befürworten 64 Prozent einen ukrainischen Einheitsstaat. Trotzdem spekuliert Moskau weiter darauf, den Osten der Ukraine an sich binden zu können. Dabei würde der autoritäre russische Zentralstaat einem neuen Vasallen selbst dann keine Sonderrechte einräumen, wenn dieser formal einem anderen Staatswesen angehören würde.
Trotz massiver russischer TV-Propaganda könnte der russische „Befreier“ nicht damit rechnen, mit offenen Armen in der Ostukraine empfangen zu werden. Obwohl Kremlchef Putin mehrfach versicherte, Truppen aus dem Grenzgebiet abzuziehen, scheint dies bislang nicht geschehen zu sein. Zwischen 35.000 und 40.000 Soldaten sollen nach wie vor dort stationiert sein. Der Anschluss der Krim wäre erst dann ein voller Erfolg, wenn der Südosten der Ukraine angeschlossen oder ein breiter Korridor eingerichtet würde. Das spricht nach Ansicht westlicher Militärbeobachter dafür, dass der militärische Druck noch längere Zeit aufrechterhalten bleiben wird.
Auch wirtschaftlich sitzt Moskau am längeren Hebel. Letzte Woche erhöhte Russland den Gaspreis für 1.000 Kubikmeter auf 485,50 Dollar – 190 Dollar mehr als der Preis für Deutschland. Vorher vereinbarte Rabatte machte Gazprom rückgängig – verlangt 10,5 Milliarden Dollar Nachzahlungen. Vergünstigungen, die mit der Pacht Sewastopols für die Schwarzmeerflotte verbunden waren, hat die russische Regierung gekündigt. Da der Hafen nun zu Russland gehöre, verlangt der Kreml nun sogar eine Rückvergütung. Die Logik ist bestechend: erst wird annektiert, dann rückwirkend Pacht erhoben.
Nach Deeskalation sieht das nicht aus. Eher nach Zynismus und Bösartigkeit.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Christian Lindner
Die libertären Posterboys
Außenministerin zu Besuch in China
Auf unmöglicher Mission in Peking
Olaf Scholz’ erfolglose Ukrainepolitik
Friedenskanzler? Wäre schön gewesen!
Rücktrittsforderungen gegen Lindner
Der FDP-Chef wünscht sich Disruption
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht