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Russische Reaktion auf DopingvorwürfeDas Märchen vom gestohlenen Sieg

In Russland will man die Dopingvorwürfe prüfen. Gegen eine Kollektivstrafe wehrt man sich jedoch. Schlimmer sei das mit dem ESC.

Überaus erfolgreich – aber mit welchen Mitteln? Das russische Team bei den Winterspielen in Sotschi Foto: dpa

Moskau taz | Wütend und gleichzeitig zerknirscht und gesprächsbereit reagiert das offizielle Russland auf die jüngste Erklärung des Präsidenten des Internationalen Olympischen Komitees, Thomas Bach. Der hatte angekündigt, das IOC werde möglicherweise die gesamte russische Mannschaft von der Teilnahme an den diesjährigen Olympischen Spielen in Brasilien ausschließen, sollten sich die Dopingvorwürfe des früheren Leiters des Moskauer Antidopinglabors, Gregori Rodschenkow, bestätigen.

Dmitri Peskow, Pressesprecher von Wladimir Putin, reagierte sofort, bezeichnete die Äußerungen von Rodschenkow ganz im Stil des Kalten Krieges als „Verleumdung eines Überläufers“, denen man nun wirklich keinen Glauben schenken könne. Doch am gestrigen Mittwoch klangen die Statements russischer Regierungsvertreter wesentlich kleinlauter.

Russlands Sportminister Witali Mutko, der noch tags zuvor die Vorwürfe „absurd“ genannt hatte, gab sich gesprächsbereit. Das russische Sportministerium sei zu einer Zusammenarbeit mit der Welt-Antidopingagentur Wada bereit, teilte er der Agentur in einem Schreiben mit. Offensichtlich scheint es dem Sportministerium nur noch darum zu gehen, das Worst-Case-Szenario eines kollektiven Ausschlusses zu verhindern.

Jeder Beteiligte müsse persönlich für sein Verhalten geradestehen und notfalls für dieses auch zur Verantwortung gezogen werden, so Mutko. Es könne jedoch nicht sein, dass Sportler, die sich ehrlich und gewissenhaft seit langer Zeit auf die Spiele vorbereitet hätten, nun in Kollektivverantwortung genommen werden.

In Anspielung an ein Zitat Präsident Putins, der 2000 tschetschenischen Terroristen gedroht hatte, sie an jedem beliebigen Ort zu vernichten, sie sogar auf dem Abort „nass zu machen“, schreibt das Internetportal gazeta.ru vor dem Hintergrund des Dopingskandals, nun solle Russland auf dem Klo nass gemacht werden – mit Urinproben.

„Überlegen, warum sie uns fürchten und hassen“

Insgesamt wird die drohende Sperrung der russischen Sportler bei der nächsten Olympiade zwar in der Gesellschaft diskutiert, doch weitaus weniger emotional als der ukrainische Sieg bei dem Gesangwettbewerb ESC. „Viele Freunde haben wir nicht in der Welt. Die Stimmung ist gegen uns. Das hat man beim ESC gemerkt. Doch während man uns den Sieg beim ESC gestohlen hat, glaube ich, dass hier am Dopingverdacht ziemlich viel Wahrheit an den Vorwürfen ist. Vielleicht sollten wir uns auch mal überlegen, warum sie uns fürchten und hassen,“ meint Vitalij, ein Kellner im Café „Schokoladniza“.

Eine Rentnerin, die an der U-Bahn-Station „Prospekt Vernadskogo“ auf ihren Bus wartet, schimpft auf das IOC. Die Drohung, Russland von den Olympischen Spielen zu sperren, sei ein weiterer Angriff auf Russland. „Beim ESC hatten die meisten Zuschauer für den russischen Kandidaten gestimmt. Und trotzdem hat die Ukrainerin gewonnen. Nun wollen sie uns auch unsere Siege nehmen, bevor wir überhaupt antreten können.“

Sergei, der als Wissenschaftler an der Moskauer Universität MGU zu den Ursachen von Erdbeben forscht, glaubt, dass hier wieder mal mit zweierlei Maß gemessen werde. „Das mit dem Doping ist so eine sehr undurchsichtige Sache. Wenn man kein Dopingspezialist ist, kann man die ganze Problematik auch nicht verstehen. Wahrscheinlich ist an den Vorwürfen etwas dran. Aber ich glaube nicht, dass wir die Einzigen sind, die ihren Siegen mit Doping nachgeholfen haben.“

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