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Russische NGOs"Tore für Verbote sind weit geöffnet"

Die Abgeordnete Marieluise Beck über die Strategie der russischen Regierung, NGOs durch Bürokratie zu behindern.

Eine überbordende Bürokratie soll die Arbeit von russischen NGOs behindern, so Beck. Bild: ap
Ulrich Schulte
Interview von Ulrich Schulte

taz: Frau Beck, Angela Merkel hat im Gespräch mit Wladimir Putin eine Verbesserung des russischen Gesetzes zu Nichtregierungsorganisationen gefordert. Wie wirkt sich das Gesetz in der Praxis aus?

Marieluise Beck: In der Arbeitsgemeinschaft Zivilgesellschaft des Petersburger Dialogs, in der ich mitwirke, sitzen wichtige Vertreter russischer NGOs, etwa der Gruppe Memorial. Sie berichten einhellig: Dieses Gesetz hängt wie ein Damoklesschwert über den Organisationen.

Warum? Das Gesetz, das im Frühjahr vorigen Jahres in Kraft trat, sollte Vereinen eine neue rechtliche Grundlage geben.

Schon in den Entwürfen zeigte sich leider ein wichtiges Ziel: Das Gesetz gab den russischen Behörden ein starkes Instrumentarium in die Hände, Vereine - als solche sind NGOs meist organisiert - durch eine überbordende Bürokratie bei ihrer Arbeit zu behindern.

Können Sie dafür Beispiele nennen?

Es gibt jetzt eine Registrierungsbehörde, die 30.000 Mitarbeiter beschäftigen wird. NGOs müssen unzählige Steuerunterlagen einreichen, jeder Wechsel im Vorstand muss gemeldet werden. Solche Hürden überfordern kleine NGOs leicht. Bisher kam es zwar nicht zu dramatischen politischen Durchgriffen, allerdings zeigt sich: In den Vereinen wird durch die absurden Anforderungen unendlich viel Energie gebunden.

Aus Putins Sicht stellt die Registrierung "kein übermäßiges Hindernis" dar.

Das stimmt nicht. In der russischen Gesellschaft gibt es wenig Erfahrungen mit der Gründung von Vereinen. Zudem haben die Behörden riesige Spielräume bei der Anwendung. Die Tore für Verbote sind weit geöffnet.

Die Präsidentschaft Putins endet im März. Wie hat sich die Zivilgesellschaft unter ihm entwickelt?

Der Mainstream der russischen Eliten bewertet die Jelzin-Ära als Zeit des Chaos und der Raffgier von Oligarchen. Unter Putin ist vermeintlich Stabilität eingekehrt, aber der Preis dafür wird übersehen. Aus dem Oligarchen-Kapitalismus ist ein Nomenklatura-Kapitalismus geworden. Wirtschaftsvertreter, etwa von Gazprom, sitzen im Kreml. Und die Führung der Regierung ist so straff, dass der Begriff einer "gelenkten Demokratie" ein Euphemismus ist.

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