Russische Musikszene: Rappen, schweigen oder schießen?
Trotz Repression wenden sich nach wie vor russische Musiker*innen gegen Krieg und Putins Regime. Andere unterstützen ihn, manche verstummen.
Am 18. März 2023 wird die russische Band Tequilaja333 in dem Berliner Klub PANDA platforma auftreten, ein Auftrittsort für russische wie ukrainische Künstler:innen – auch nach Kriegsbeginn. Der alte Bandname Tequilajazzz ist Geschichte. „Der Buchstabe Z wurde durch die Propaganda vergiftet“, kommentiert Sänger Evgenij Fjodorow die schwierige Situation für oppositionelle Künstler in einem Interview.
Fjodorow lebt inzwischen in Estland. Einige Tage nach Beginn des Angriffskrieges auf die Ukraine ist er aus Russland geflohen, in Sankt Petersburg war er bedroht. Seit Langem war bekannt, dass er die Krimannexion und die Besetzung der Ostukraine ablehnt. Seit 2014 ist seine Band Tequillajazzz regelmäßig in der Ukraine aufgetreten. Nach dem März 2022 sagten sie alle Konzerte im In- und Ausland ab.
„Sich auf die Bühne stellen und Menschen unterhalten, während gleichzeitig das eigene Land Krieg führt, das ging überhaupt nicht“, begründet Fjodorow die Entscheidung. Seit Kurzem spielt Tequilaja333 in neuer Besetzung, neben Fjodorow ist nur Gitarrist Konstantin Tschalich geblieben. Unüberbrückbare politische Differenzen haben ein Zusammenspiel mit dem Schlagzeuger Alexandr Woronow unmöglich gemacht.
Wichtige Verständigung in der Diaspora
„PANDA platforma ist nicht zugänglich für Menschen, die den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine rechtfertigen“, steht auf der Webseite der gemeinnützigen Institution, die seit 2009 zur wichtigen Berliner Anlaufstelle für Künstler*innen aus Osteuropa geworden ist. Im März tritt dort auch die Moskauer Folkrock-Band Aloe Vera auf. Sängerin Vera Musaeljan hat im März 2022 auf ihrem Facebookprofil eine Solidaritätsadresse an die Menschen in der Ukraine gepostet.
Kurz danach wurden alle Konzerte der Band in Russland abgesagt. Offizielle Stellen hatten ein Auftrittsverbot erwirkt. Die Band kommentierte das lakonisch: „Nichts wirklich Neues. Wir stehen schon auf der Liste der ideologisch unzuverlässigen Bands. So werden Clubbesitzer, die uns auftreten lassen, immer wieder mit Geldstrafen belegt.“ Oft werden ihre Konzerte erst am Auftrittstag verboten.
So geschehen am 6. August letzten Jahres, als Aloe Vera endlich wieder in der russischen Hauptstadt spielen wollte. Die Band informierte ihre Fans nur noch auf inoffiziellen Kanälen über ihre Aktivitäten. So fanden im Sommer eine Handvoll geheimer Konzerte statt, bis die gleichgeschalteten Medien titelten: „Verbotene Band Aloe Vera spielt illegale Konzerte.“
Koketterie ist fehl am Platz.
Die Frauenband Iva Nova ist 2022 in Deutschland aufgetreten. Bei einem Konzert in Berlin hat sie sich gegen den Angriffskrieg positioniert, erinnert sich Svetlana Müller, Leiterin von PANDA platforma. Auf der Webseite von Iva Nova, deren Musikerinnen in Petersburg leben, ist dazu allerdings nichts zu finden. Momentan werden Konzerte anlässlich des internationalen Frauentags beworben. „Koketterie ist zurzeit fehl am Platz. Man möchte eigentlich von ganzem Herzen von etwas wirklich Wichtigem sprechen“, schreiben sie. Wer möchte, kann hier zwischen den Zeilen lesen.
Laut Webseite ist die bekannte russische Skaband Markscheider Kunst nach wie vor live im Land unterwegs. Daran hat der Beginn des russischen Angriffskriegs nichts geändert. Ihr letztes Album, „Freedom“, ist 2020 erschienen. Leadsänger Sergej Efremenko befürwortet seit 2014 die Krimannexion und jetzt auch die sogenannte militärische Spezialoperation.
Sascha Skljar, Gründer der Perestroikaband Va banque, trat im September 2022 bei dem Konzert „Wir lassen die Unseren nicht im Stich“ auf, dem Rahmenprogramm der „Volksabstimmungen“ in der besetzten Ostukraine.
Posieren mit Maschinengewehr
Von Julia Tschitscherina, als Rocksängerin Anfang der Nullerjahre berühmt geworden, gibt es viele Videoclips, die sie mit Gitarre an der Front inszenieren. Aus ihren Songtexten tropft der Hass. Gerne lässt sich die Rockröhre mit Maschinengewehr ablichten und schießt. Ihr ist inzwischen das Prädikat „verdiente Künstlerin der Russischen Föderation“ verliehen worden.
Der russische Rapper Oxxxymiron hingegen ist seit seiner Tournee „Russians against the War“, die ihn auch nach Berlin führte, zum „feindlichen Agenten“ erklärt worden. Nach seiner Rückkehr hat er Ende September den Antikriegsrap „Hergestellt in Russland“ als Single veröffentlicht. Seine Reaktion auf Putins Rede zur Annexion der besetzten Ostukraine. „Russia banned“ verkündet er im Netz und wirbt furchtlos für seine Welttournee, die ihn Ende März wieder nach Berlin bringen wird.
„Heimat, komm heim“ singt Jurij Schewtschuk von DDT, einer der wichtigsten Rockbands der Perestroika-Ära der späten 1980er. Den Clip veröffentlicht er zum Jahrestag des Kriegsbeginns auf YouTube. Er schaut direkt in die Kamera und singt: „Werde nicht verrückt, denn es ist nicht dein Krieg.“ Über 800.000 Klicks in den ersten Stunden, 9.000 Kommentare. Jemand schreibt: „Danke, dass ihr keine Angst habt, euch öffentlich zu äußern. In den Tiefen Russlands brauchen wir eure Unterstützung.“
Traurige Realität: Die Webseiten der meisten russischen Bands gleichen Geisterbahnhöfen. Sie schweigen lieber.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Kompromiss oder Konfrontation?
Flexible Mehrheiten werden nötiger, das ist vielleicht gut
Der Check
Verschärft Migration den Mangel an Fachkräften?
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“