Russische Angriffe auf Kiew: Der Westen kündigt mehr Hilfen an
Die EU und Deutschland verurteilen Russlands jüngste Angriffe auf die Ukraine. Die G7-Staaten treffen sich am Dienstag in Sondersitzung.
Berlin/ Brüssel taz | Bombenkrater auf Spielplätzen, Raketeneinschläge neben Universitäten, Kinder, die nach Wochen trügerischen Friedens wieder in der Kiewer Metro unterrichtet werden müssen: Die Bilder des russischen Terrors am Montag sorgen in Berlin und Brüssel für Entsetzen.
Regierungssprecher Steffen Hebestreit bestätigte, dass Kanzler Olaf Scholz (SPD) am Montag mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenski telefonierte und sich über die Lage vor Ort informierte. Die Bundesregierung sagte schnelle Hilfen für den Wiederaufbau ziviler Infrastruktur zu.
Ein Sprecher des Auswärtigen Amts bestätigte, dass die Visastelle der deutschen Botschaft in Kiew beschädigt wurde. Allerdings gebe es dort seit Monaten „keinen Dienstbetrieb. Während der russischen Angriffe waren seinen Angaben zufolge daher auch keine Mitarbeiter anwesend. Die Regierungschefs der G7-Staaten wollen sich am Dienstag in einer Sondersitzung zusammenschalten, um über die Lage zu beraten. Auch Präsident Selenski soll zu Beginn teilnehmen.
Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) äußerte sich via Twitter. „Bewohner*innen von Kiew in Todesangst im Morgenverkehr. Ein Einschlagskrater neben einem Spielplatz. Es ist niederträchtig & durch nichts zu rechtfertigen, dass Putin Großstädte und Zivilisten mit Raketen beschießt, so Baerbock. Man tue alles, um die Luftverteidigung schnell zu verstärken.
Ungewöhnlich scharfe Worte aus der EU
Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) äußerte sich ebenfalls. „Russlands Angriffe mit Raketen und Drohnen terrorisieren vor allem die Zivilbevölkerung, teilte Lambrecht mit. Man unterstütze deshalb besonders mit Flugabwehrsystemen. Laut Verteidigungsministerin soll in den nächsten Tagen das erste von vier Luftverteidigungssystemen IRIS-T SLM bereitstehen. Dieses kann Raketen bis zu 20 Kilometern Höhe und 40 Kilometern Weite abwehren.
Die EU hat die russischen Angriffe ungewöhnlich scharf verurteilt und mehr Hilfe für die Ukraine angekündigt. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen schrieb auf Twitter, die EU werde der Ukraine so lange zur Seite stehen wie nötig – „mit allen Mitteln, die uns zur Verfügung stehen.
„Dieser wahllose Angriff auf Zivilisten kommt einem Kriegsverbrechen gleich, sagte der Sprecher des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell in Brüssel. Auf Fragen zum Angriff auf die Krim-Brücke am Wochenende, mit dem Putin seine massive Militäroperation begründet, ging der Sprecher nicht ein. Die Brücke sei illegal erbaut worden, sagte er. Putin sei allein für die jüngste Eskalation verantwortlich.
Borrell selbst zeigte sich „tief schockiert, die russischen Angriffe hätten „keinen Platz im 21. Jahrhundert“. Zugleich kündigte er an, dass die Mittel aus der sogenannten Europäischen Friedensfazilität aufgestockt werden. Bislang wurden insgesamt 2,5 Milliarden Euro bewilligt. Mit dem Geld werden Waffen,persönliche Schutzausrüstung, Sanitätsmaterial oder Treibstoff finanziert.
Bei extremen Szenarien hält sich die EU bedeckt
Bei einer Botschafter-Konferenz in Brüssel räumte Borrell ein, dass die EU die Aggressivität Putins unterschätzt habe. Als Beispiele nannte er die Annexion ukrainischer Gebiete und die Drohung mit einem Atomschlag. Die EU müsse künftig schneller und entschiedener reagieren, forderte er. Eine diplomatische Initiative kündigte der EU-Chefdiplomat allerdings nicht an. Der Krieg werde auf dem Schlachtfeld entschieden, so Borrell.
Unklar ist, ob und wie die EU auf eine weitere Eskalation oder gar auf den Einsatz von Atomwaffen reagieren würde. Beim EU-Gipfel am vergangenen Freitag hielten sich die 27 Staats- und Regierungschefs bedeckt. Während US-Präsident Joe Biden öffentlich vor einem nuklearen „Armageddon“ warnte, schweigen die EU-Verantwortlichen. Sie warten offenbar auf die G7 und die Nato, die bereits am Dienstag über die neue Lage beraten.
Bei der Nato in Brüssel treffen sich die Verteidigungsminister. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg sagte, das Militärbündnis werde das tapfere ukrainische Volk weiterhin unterstützen, sich gegen die Aggression des Kremls zu wehren. Bisher hatte Stoltenberg immer betont, die Nato sei an dem Krieg nicht beteiligt.
Leser*innenkommentare
A. Winkler
Eine derartige Reaktion Rußlands auf den Angriff auf die Krim-Brücke war vorauszusehen, Rußland hatte vor Wochen bereits angekündigt, daß ein Angriff auf heftigste Gegenreaktionen treffen wird. Was wir jetzt als Reaktion erleben, ist nur der Vorgeschmack.
Zukünftige Militärhistoriker könnten die Ausgabe des Kriegsziels der 'Rückeroberung der Krim' als den (fatalen) Kardinalfehler der ukrainischen (und westlich unterstützten) Kriegsführung beschreiben.
Maximalistische Kriegsziele haben das Zeug, uns in den kollektiven Untergang zu führen.
Rußland hat aus seiner Sicht durchaus gewichtige Gründe, die Krim mit allen verfügbaren Mitteln zu halten. Und dazu gehören auch (zunächst) taktische Atomwaffen, wenn es konventionell vollends in die Enge getrieben wird. Mit dem Risiko der weiteren nuklearen Eskalation und des atomaren Weltkrieges. - Anderes anzunehmen, ist völlig illusorisch.
Ja, 'der Westen' könnte 'siegen' - aber die Wahrscheinlichkeit, daß dieser Sieg auf Leichenbergen und auf den atomar verseuchten Trümmern der Städte zu 'feiern' wäre, ist groß - zu groß, um mit offenen Augen die weitere Eskalation zu betreiben. Wir stehen vor einem Abgrund.
Die Ukraine - und wir alle - brauchen jetzt nicht weitere Waffen, die die Eskalation nur weiter hochschrauben.
Wir brauchen besonnene Politikerinnen, die ihre Affekte ausschalten, und mit Realismus die Lage analysieren - und zum Schluß kommen, daß jetzt alle nur denkbaren Möglichkeiten ausgelotet werden müssen, zu irgendeiner Verhandlungslösung zu kommen.
Zwischen Atommächten kann es keine 'totalen Siege ' geben, sondern nur Teilsiege und Kompromisse.
47351 (Profil gelöscht)
Gast
@A. Winkler Ich kann schon gar nicht mehr zählen, der wievielte, bestenfalls hilflose, Versuch das ist, auf eine Verhandlungslösung zu setzen. Lassen wir die juristischen, insbesondere völkerrechtlichen Hindernisse einer solchen Verhandlung einmal außen vor und ignorieren wir, dass Russland bereits bestehende Abkommen und völkerrechtliche Verpflichtungen bestenfalls als Toilettenpapier ansieht: welche Eckpunkte schweben Ihnen vor, mit denen Putin Verhandlungen schmackhaft gemacht werden können?
Suryo
Ich will, dass die deutsche Regierung endlich, endlich klar sagt, dass Russland verlieren muss.