Russisch-chinesische Beziehungen: Wang Fangs Ständchen für Putin
Es ist ein absurder Akt der Solidarität. Auf den Trümmern des Konzertsaals in Mariupol singt eine chinesische Opernsängerin ein russisches Lied.
Die Apfel- und die Birnbäume erblühten, Nebelschwaden lagen über dem Fluss, da ging Katjuscha hinaus aufs Ufer, auf das hohe, steile Ufer....“ Dieses russische Lied entstand 1938 und wurde binnen weniger Jahre weltweit bekannt. Der Name des sowjetischen Katjuscha-Raketenwerfers geht auf das Lied zurück. Historiker vergleichen die Rolle Katjuschas für die Soldaten an der Front mit der „Lilli Marleen“ für die Deutschen.
Die gefällige Melodie und das schnulzige Liebesgemurmel einer hübschen Russin an die Frontsoldaten im Krieg gegen Hitlerdeutschland brachte doch etlichen, kriegsmüden Männern wieder ein wenig Hoffnung, dass für sie noch ein Morgen denkbar wäre. Als jüngst dasselbe Lied in der von Russland besetzten Stadt Mariupol erklang, erregte es wieder Gemüter. Doch diesmal erzürnte es die Menschen.
In Kyjiw protestierte das ukrainische Außenministerium gegen diese geschmacklose Aktion, die nichts anderes widerspiegele als einen tiefen moralischen Verfall derer, die das Lied vortrugen. Kyjiw verlangte von Peking eine offizielle Entschuldigung. Denn es war keine junge Russin, die auf den Ruinen eines Konzertsaals in der zerstörten Stadt die Zeilen aus dem Großen Vaterländischen Krieg zum Besten gab, sondern die chinesische Opernsängerin Wang Fang.
Sie gehörte zusammen mit ihrem Mann Zhou Xiaoping zu einer Delegation aus offiziell zugelassenen Journalisten und Künstlern. Die Gruppe kam, um der Republik Donezk, die von Moskaus Segen abhängig ist, einen Besuch abzustatten. Bei dem Auftritt handelte es sich keineswegs um den Ausrutscher einer einzigen Sängerin. Es ging dabei auch nicht nur um Nostalgie oder den Versuch, aus russisch-chinesischer Freundschaft nun die kriegsmüden Kämpfer Wladimir Putins anzuspornen.
Solidarität durch die Blume
Zhou Xiaoping, Wang Fangs Ehemann und Mitglied der Politischen Konsultativkonferenz Chinas, ließ gar nicht erst Zweifel aufkommen. Bei einer Pressekonferenz warf Zhou der Ukraine vor, einen so schönen Konzertsaal zerbombt zu haben. Auch das Wort „faschistisch“ war gefallen. Damit untermalte Zhou Putins Kriegsrechtfertigung wortgetreu: Er, Putin, wolle doch bloß die Ukraine entnazifizieren.
Mehr noch: Zhou Xiaoping ist einer der schärfsten Propagandisten im heutigen China, die keine noch so schmierigen Lobhymnen scheuen, um Xi Jinping, Chinas starkem Mann und Putins „bestem Freund“, zu huldigen. So hatte es fast den Anschein, Zhou und seine Frau hätten nicht nur im Auftrag des chinesischen Parteistaats gehandelt, sondern auf Kommando von Xi persönlich. Anrüchig war die Episode aus einem weiteren Grund: Bislang scheute Peking offiziell keine Mühe, um dem russischen Aggressionskrieg Vorschub zu leisten.
Noch Anfang 2023 klopfte Xi seinem Freund Putin auf die Schulter. Mitte April sprach Chinas Botschafter in Paris, Lu Shaye, allen ehemaligen Sowjetrepubliken, die Ukraine inklusive, vollständige Souveränität ab, um Putins Angriffskrieg als Maßnahme zu interpretieren, die lediglich darauf abzielte, die russische Souveränität wiederherzustellen. War die jüngste Episode nur ein begleitendes Geplänkel eines Künstlerehepaars, um Pekings offizielle Russlandpolitik zu untermalen?
Oder entsandte Peking, um den Westen nicht weiter zu provozieren, „Privatpersonen“ aus, die „persönlich“ ihre Solidarität bekunden? Wenn nötig, könnte sich Peking von jeglicher Beteiligung wieder reinwaschen? So wurden vor wenigen Tagen das Video von Wang Fangs Darbietung wie auch Zhous Statement zu den „ukrainischen Faschisten“ aus dem Internet gelöscht und jegliche Kommentare dazu zensiert. Ganz so, als sei nichts geschehen.
Leser*innenkommentare
Normalo
Man sollte vorsichtig sein, eine Gegenseitigkeit zu unterstellen, wo nur Einseitigkeit sichtbar ist: Dass Zhou Xiaoping als glühender Xi Jinping-Fan auftritt (und deshalb vielleicht auch als "Berater" bei der Partei gern gesehen wird), heißt nicht, dass Xi aktiv hinter Allem steckt, was Zhou tut. Gestört haben wird ihn die Darbietung wahrscheinlich auch nicht, aber das steht auf einem anderen Blatt.
Chinas Bemühungen, die eigene, natürlich vor allem machtpolitisch begründete, Unterstützung für Putin moralisch zu verklären (und nebenbei auch noch ein paar Nadeln in Richtung der eigenen Anrainer, vor allem Taiwan, zu schießen), bedürfen keiner minutiösen Dokumentation mehr. Von den zwei hilfreichen Durchsagen an Putin abgesehen, dass er gefälligst die Finger von seinen Atomwaffen zu lassen und die Ernährung von Chinas weltweiten Kunden und Lieferanten nicht zu gefährden hat, sind sie seit Beginn des Krieges das Einzige, was zu dem Thema aus Peking kommt.