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Rumoren in Putins ReichWer in Russland weint

Bernhard Clasen
Kommentar von Bernhard Clasen

In Russland gibt es an vielen Stellen Widerspruch gegen Putins Krieg. Manche haben Angst um die eigene Haut, andere weinen um die Ukrainer:innen.

Der Ort Markhaliwka nach einem russischen Luftangriff Foto: dpa

E s wird einsam um den Mann mit dem langen Tisch. Bekannte Instagram-Blogger:innen weinen, weil ihnen der Krieg die Möglichkeit nimmt, sich zu artikulieren, Wissenschaftler sprechen sich gegen den Krieg aus, Offiziere von Putins Lieblingskind, dem Inlandsgeheimdienst FSB, sind im Hausarrest, täglich berichtet die Nowaja Gaseta über die Massaker von Putins „Sonderoperation“, täglich gehen Rus­s:in­nen gegen den Krieg auf die Straße. Sogar Putins treuer Vasall Lukaschenko unterstützt Diktator Putin nur mit Worten. Der Mann, der vor nicht allzu langer Zeit Demonstrationen seiner Gegner hatte niederknüppeln lassen, ist sich der Loyalität seiner Belarussen nicht mehr sicher.

Am Dienstag steht die russische Menschenrechtlerin Swetlana Gannuschkina in Moskau vor Gericht. Der Vorwurf: sie soll sich an einer nicht genehmigten Aktion gegen die „Sonderoperation“ in der Ukraine beteiligt haben. Sollten Russlands Herrscher die Trägerin des alternativen Nobelpreises und des Nansen-Preises des Flüchtlingswerkes der UNO kriminalisieren, werden sie sich an zwei Punkten die Zähne ausbeißen: Gannuschkina hält sich, im Gegensatz zu anderen Oppositionellen und der Nowaja Gaseta, nicht an die Vorgabe der Regierung, den Krieg als „Sonderoperation“ zu bezeichnen. Sie wird bei der Gerichtsverhandlung ihr klares „Nein zum Krieg gegen die Ukraine“ erklären.

Gannuschkina hat mit ihrer Organisation „Komitee Bürgerbeistand“ Tausenden geholfen. Und diese Menschen werden sich bei einer Kriminalisierung von Gannuschkina nicht auf wütende Posts im Internet beschränken.

Noch kann man nicht davon sprechen, dass sich diejenigen, die sich von Wladimir Putin abwenden, formieren. Doch erkennbar sind sie. Einteilen kann man diese Menschen in zwei Gruppen: diejenigen, die weinen, weil sie Angst um die eigene Haut haben und diejenigen, die weinen, weil sie an die Menschen denken, die von russischen Bomben zerfetzt werden. Beide Gruppen tragen zum Ende des Krieges bei, doch als Nachbarn zusammenleben können die Ukraine und Russland nur, wenn die sogenannten „einfachen Leute“ über das weinen, was in ihrem Namen in der Ukraine angerichtet worden ist.

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Bernhard Clasen
Journalist
Jahrgang 1957 Ukraine-Korrespondent von taz und nd. 1980-1986 Russisch-Studium an der Universität Heidelberg. Gute Ukrainisch-Kenntnisse. Schreibt seit 1993 für die taz.
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2 Kommentare

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  • Wer befreit wen ? Wer im Sommer die Massenproteste der Frauen von Belarus erleben durfte, sollte doch davon ausgehen können, dass ein Einmarsch nach Belarus (von Freiwilligen) aus dem Westen auf viel Gegenliebe stossen würde, quasi als echte Hilfestellung zu einer Befreiung verstanden werden müsste. Gleichzeitig habe ich mich immer gefragt: Wo waren denn die MÄNNER bei den Demonstrationen in Minsk und anderswo ? Ist es die Sprache, die uns trennt und kuschend zuschauen lässt bei diesem Kampf gegen Lukaschenko & Co ? Wäre echte eine Unterstützung aus dem Westen in Richtung Belarus nicht eine wichtige Antwort im Krieg, den Putin gegen ganz Europa stellvertetend in der Ukraine führt ? Wie schwach ist ein Systzem, das seine Kriegsopfer in Belarus zwischenlagern muss, aus Angst vor einem lauter werdenden Protest der Russ*innen gegen diesen Krieg ? Wie viel Widerstand kann das System Lukaschenko bei einer Intervention aus dem Westen überhaupt noch leisten ? Irgendwie kann ich nicht zuschauen.... Ist der Krieg vor allem maskulin? Und die anderen sind nur die Flüchtenden ?

  • 9G
    93851 (Profil gelöscht)

    "Beide Gruppen tragen zum Ende des Krieges bei,..."

    Missverständlich m.E. insofern, als es inklusive der genannten bevorstehenden Gerichtsverhandlung von S. Gannuschkina die Assoziation der Einflussnahme auf das Krieggeschehen impliziert.

    Ein Machthaber, der sich zuvor der Empörung und Verurteilung über Europas Grenzen (USA/NATO) hinaus absolut sicher sein konnte, verfügt, man denke an Litwinenko, Nemzow, Politkowskaja und andere, über genügend Potential, nicht am eigenen Stuhl sägen zu lassen. Ebenso unbeeindruckt setzt er bislang seinen Feldzug in der Ukraine fort mit dem Kalkül atomarer Bedrohung und Unberechenbarkeit.

    Wie weit und rasch russische Kontroll-und Propagandainstanzen intern wirken, ist keine Frage mehr. Und längst nicht jede/r ist bereit freiwillig ins Gefängnis zu wandern oder zu sterben.



    Westlich-unzureichende Sanktionen werden bis auf weiteres die Kriegshandlungen nicht eindämmen können. Ein Ende des Krieges ist nach meinem Ermessen also nicht in Sicht.

    "Angst essen Seele auf", so der Titel eines bekannten Fassbinder- Films 1974.



    Putin versteht sein "Spiel" mit der Angst. Sie ist das "Öl" seiner Kriegsmaschinerie, ja, seiner "Mission".



    Irgendwie müsste uns das bekannt vorkommen ...