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Rumhängen früher und heuteKein Geld ausgeben für Vergnügen

In der Jugend fehlten die nötigen Euros für die Cola in der Kneipe, heute führt der Lockdown zu ähnlicher Langeweile. Und zu trügerischer Genugtuung.

Die Lokale bleiben leer, auf Lockdown light folgt wohl der Lockdown-Advent Foto: Britta Pedersen/dpa

D üstere Aussichten: Wie schlaue Füchse es vielleicht schon geahnt haben, geht der Lockdown light wohl in einen Lockdown-Advent über. Und an regnerisch-grauen Novembertagen finstert es schon kurz nach 16 Uhr. Irgendjemand hat kürzlich auf Twitter geschrieben, was das für eine miese Kombi sei. Das stimmt.

Düstere Stimmungen folgen daraus. Freun­d:in­nen drehen am Rad, manche kochen verrückte Rezepte nach, andere suchten Netflix wie noch nie, manche haben Angst, dass das Weihnachtsfest in die Novemberregenpfütze fallen könnte. Ich nutze jede Gelegenheit, um aus meiner Wohnung zu kommen, obwohl ich meine erste eigene Wohnung, die ich mir mittlerweile ganz heimelig eingerichtet habe, schon sehr mag.

Ich gehe raus, aber ich komme schnell wieder zurück, weil es nichts zu tun gibt; weil ich keine Freund:innen zu einem Bier in der Kneipe treffen kann, oder zu einem Abendessen in einem Restaurant; oder ins Kino gehen kann, oder ins Museum, oder Theater, oder in meiner Lieblingsfußballkneipe Bundesliga schauen kann. Dinge, die man halt so macht, wenn es keine Pandemie gibt.

Nur Arbeiten und Rumhängen

Es gibt depressive Momente in diesen dunklen Tagen, an denen ich denke, wie scheiße das alles gerade ist; dass das Leben gerade nur aus Arbeiten und Rumhängen in der Wohnung besteht. Aber ich muss gerade auch viel an meine Kindheit und Jugend denken; weil mich die aktuelle Eintönigkeit an die Langeweile von früher erinnert: auch damals nach der Schule rumhängen zu Hause, amerikanische Sitcoms schauen, dann draußen herumlungern, und wenn gerade ein guter Tag ist, zum Fußballtraining gehen, aber nichts tun können, was Geld kostet – weil bei uns kein Geld für Vergnügen ausgegeben wurde.

Ich erinnere mich daran, wie ich mich später als Jugendlicher mit meinen Eltern gestritten habe, weil ich ein paar Euro mehr haben wollte, um doch ins Kino zu gehen, oder irgendwo ein Getränk mit Mit­schü­ler:in­nen zu trinken, damit sich daraus vielleicht Freundschaften ergeben können.

Einmal wollte ich das mit zwei anderen Jungs machen, die so waren wie ich: Ausländereltern, Arbeitereltern. Der eine fragte den anderen, ob er mitkommen wolle in diese eine Kneipe, wo eigentlich nur die deutschen Kids mit reichen Eltern hingehen. Der Gefragte fragte zurück: „Was kostet dort eine Cola?“. „2 Euro oder so.“ „Dann kauf ich mir lieber eine Flasche im Supermarkt.“ Das mag wie ein Witz klingen, aber er meinte das ernst. Wie kann man auch so viel Geld für einen Softdrink ausgeben?

Wenn ich an früher denke, dann ist das ein bisschen traurig, aber es hilft mir, heute klarzukommen. Es macht mir zwar ein schlechtes Gewissen, aber ich spüre gerade auch eine Genugtuung: Jetzt wisst ihr, wie das ist, wenn man nichts tun kann! Aber die Genugtuung ist trügerisch. Wenn Restaurants und Bars wieder öffnen, werden sich die einen dort wieder auf eine Cola treffen können, während die anderen lieber eine PET-Flasche kaufen.

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Volkan Ağar
Redakteur taz2
Kolumnist (Postprolet) und Redakteur im Ressort taz2: Gesellschaft & Medien. Bei der taz seit 2016. Schreibt über Soziales, Randständiges und Abgründiges.
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6 Kommentare

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  • Das kommt mir bekannt vor aus meiner Jugend. Und ich denke auch für die 14-25jährigen dürftn die Einschränkungen am härtesten wirken. Single sein möchte ich jetzt auch nicht. Einerseits denke ich, dass so wenig Ablenkung unserer Gesellschaft gut tut - schließlich kommen wir mal etwas zur Ruhe... Zeit zum Nachdenken und zum Reflektieren ist kostbar... andererseits schleicht eine resignative Hoffnungslosigkeit um die Häuser, die manche schier verrückt macht. Das finde ich beunruhigend.

    • @Elli Pirelli:

      Das Single-Dasein ist nicht das Problem bei diesen Medienmöglichkeiten heutzutage, wenn man vor der Corona-Zeit damit umgehen konnte. (Kann ich Ihnen versichern)!



      Das Alter ist auch nicht das Problem, wenn man selbstbestimmt leben kann/darf (nicht im Heim).



      Alles hängt an den wirtschaftlichen Lebensumständen: Wohnungsambiente/Balkon/Garten/Wohngegend, Mittel für Lebens- Genuss- Heizmittel, Geld für Bücher/Internet, ...



      Es ist alles das, was auch vorher die Ungleichheit von Leben ausgemacht hat. Ohne finanziellen Spielraum müssen Menschen auch ohne Corona auf Reisen, Theater ... verzichten, mit weiß man das Fehlende zu schätzen - ich jedenfalls.

  • So ist es, das Vergnügen ist zweigeteilt. Und die Langeweile ist es auch auch, denn es ist ganz entscheidend, ob man ein eigene/s Zimmer/ angemessene Wohnung bewohnen kann oder nicht.

  • 1 /1 Trügerischer Genugtuung…

    „Wenn Restaurants und Bars wieder öffnen, werden sich die einen dort wieder auf eine Cola treffen können, während die anderen lieber eine PET-Flasche kaufen.“



    Es ist ein ganz normaler Wunsch, andere sollten eine selbst erlebte Situation oder eben einen Lebensabschnitt, einmal aus der Perspektive nachempfindend sehen können, aus der man selbst sie sieht und erlebt (hat). Volkan Agar geht mit dem auch persönlichen Thema sorgfältig um. Empfindungen und Gefühle sind erst einmal da, können einem selbst unangenehm sein, kommen aber nicht von ungefähr. Selbst wenn man sie mit gleichzeitig mit etwas schlechten Gewissen problematisiert – und reflektiert. Dem Autor gelingt es, über „subjektives“ zu schreiben und deshalb überzeugt sein Text mich als Leser.



    Wie schauen Menschen in der Corona-Krise aufeinander? Nehmen sie aneinander wahr, in welchen ganz unterschiedlichen (dauerhaften) sozioökonomischen Lagen sie sich befinden können? Bewegen plötzlich für alle geltende Verzichtsleistungen dazu, ungewohnte Perspektiven einzunehmen? Könnte die Corona-Krise auch, wie soll ich es sagen, ein „mentales Medium“ dafür sein, Armut aus anderer Perspektive als bisher zu sehen? Jedenfalls wären da einige Hürden zu nehmen oder besser, die „mentale“ Spaltung der Gesellschaft scheint diesbezüglich schon sehr tief zu gehen:



    Man kann da einen Artikel aus der Taz (J. 2013) heranziehen und einen seiner Kommentare. Wobei ich dringlich vorweg schicke, dass es im Folgenden nicht um die Sinnhaftigkeit von Studi-Stipendien geht, die ich richtig finde, sondern darum wie das eben gesagte daran sozusagen „exemplarisch“ sichtbar wird. Und welche „trügerische Genugtuung“ damit verbunden ist, manchen gar nicht bewusst ist.

  • 2 /3 Trügerische Genugtuung…

    Im J. 2013 wollte ein Förderwerk für Studierende das Büchergeld seines Stipendiums von Euro 80,- um Euro 300,- erhöhen. Die Taz berichtete in mehreren Artikeln. Kritik an der Erhöhung kam von den Studis, die sahen da eine Ungerechtigkeit z. B. gegenüber den „gemeinen“ BaföG-Studis sowie von anderen Förderwerken, weil ein solch großzügigeres Stipendium ja auch ein Konkurrenzvorteil des einen Förderwerkes werden könne. Ein Taz-Journalist verfasste neben seinen Artikeln dazu einen Kommentar, in dem er schrieb: „Das Büchergeld, gedacht als kleine Anerkennung und als Zuschuss für Fachliteratur, wächst damit von einst 80 Euro fast auf eine Summe, die ein Hartz-IV-Empfänger für seinen (Anm.: damaligen) Lebensunterhalt bekommt.“ Zuvor war zu einem der Artikel des Journalisten zur Sache folgender Leserkommentar eingestellt worden:



    >Man kann bei der Begabtenförderung nicht in Hartz4 Kategorien denken und überlegen ob der/die Geförderte die (nicht allzu üppige) Förderung "auch wirklich braucht". Die Förderung soll den jungen Leuten auch eine kreative Freiheit ("Beinfreiheit") beim Lernen und Forschen ermöglichen. Natürlich kann man sich, beispielsweise, auch Bücher in der Bibliothek auf Zeit besorgen, wenn ich sie aber Kaufe, kann ich sie später auch noch spontan lesen, wenn mir neue Ideen zum Stoff kommen, wenn sich dieser schon gesetzt hat.<



    Es geht nicht um den anonymen Kommentator. Es ist die auffallende Denkungsart. Da wird gar nicht gewertet, ob eine kreative Freiheit innerhalb der Kategorie „Armut/Hartz IV“ stattfinden kann oder nicht. Stillschweigend wird implizit vorausgesetzt, dass sie und ihre materiellen Voraussetzungen in dieser Kategorie nicht vorkommen. Ob Menschen für ihr Leben nicht wenigstens eine gewisse Leichtigkeit des Seins z. B. in einer kreativen Freiheit erfahren, wenn es menschlich sein soll, ist für die nicht vorgesehen und kann folglich nur in anderen sinnvoll gültig abgehandelt werden.

  • 3/3 Trügerische Genugtuung…

    Kreative Freiheit bleibt anderen Kategorien vorbehalten. In einem wesentlichen Aspekt dessen, was ein menschliches Leben ausmacht (z. B. für die kindliche Entwicklung), ist Leben in Armut fundamental von der Gesellschaft ausgegrenzt. Was die Armutskategorie anstatt beinhalten soll, bleibt unnütz. Selbst das umstrittene Begriffspaar von der relativen und der absoluten Armut wird als Erklärungswert negiert. Denn als relative Armut bräuchte die dann eine Relation z. B. die zit. im Kommentar abgehandelte. Und als relativer Zustand müsste Armut dann wenigsten ein Körnchen „kreativer Freiheit“ immer ermöglichen, damit eine Relation überhaupt hergestellt werden kann. Die in diesem Zusammenhang propagandistischen Protagonisten der „relativen Armut“ beziehen sich so auf diesen Begriff. Kreative Freiheit im Maß des soziokulturellen Minimums Hartz IV sei gegeben. Und wie gesagt, was dann „absolute Armut“ beinhalten soll, bleibt außen vor und unbedacht weil irrelevant. Diese ganze „Fragerei“ geht den Kommentar nichts an. Unberührt davon entledigt er sich ihr und erlangt über das Sprechen vom Wahren, Schönen und Guten doch nur eine „trügerische Genugtuung“. Denn die schließt aus und verschweigt, was sie selber doch zu ihrer Erklärung benutzt. So kann man – gesellschaftlich – Armut auch „verschwinden lassen. Das kann nicht überzeugen. Warum, erklärt die Autorin Anna Mayr in ihrem Buch „Die Elenden“.



    Und die Cola? Gerade die. In der Jugendphase kann es einem mit sich selbst so richtig scheiße gehen. Da kreativ und sich entwickelnd von runter zu kommen braucht es Freunde, Anregungen aber nicht immerzu die tristesten Orte, wenn man grade allein mit der PET-Flasche aus dem Supermarkt rausgekommen ist. Kreative Freiheit so oder so braucht aber eine materielle Basis. Es mag einen ja genugtuend trösten, wenn man gerade wegen Corona nicht ins Kino oder die Bücherei gehen darf. Im Dauer-Loc-down Armut kann man da nie. Das ist dauerhaft Scheiße.