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Rüstungsunternehmen HelsingDrohnen für den Schutz der Demokratie?

Kommentar von Alice von Lenthe

Ein Ex-„Bild“-Chefredakteur wird Pressesprecher beim Start-up Helsing. Sollte auch ich den Sprung in die Rüstungsindustrie wagen?

KI-gestützte Unterwasserdrohne „SG-1 Fathom“ der Firma „Helsing“ Foto: Helsing/dpa

W issen Sie, es ist nicht immer gemütlich, im Journalismus zu arbeiten. Kolleginnen werden auf Demos angegriffen und im Netz als Lügenpresse beschimpft. Verschiedene Akteure wollen das Vertrauen in die Legacy-Medien zerstören. Und niemand weiß so richtig, wie es mit uns weitergehen wird. In dunklen Nächten träume ich von einer künstlichen Intelligenz, die, sobald ich meine Ausbildung abgeschlossen habe, mich und meinen Berufsstand völlig überflüssig machen wird. Dann versuche ich, mir einzureden, dass der Journalismus wichtig ist. Wir sind die vierte Gewalt, wir schauen den Mächtigen auf die Finger. Das klingt gut. Und ist in einer Demokratie essenziell.

Aber schützen nicht viele Menschen mit ihren Berufen die Demokratie? Lehrkräfte, die politische Bildung leisten. Politiker, die Ämter bekleiden. NGOs, die sich für Minderheiten einsetzen. Man könnte fast sagen, dass selbst Rüstungsfirmen das tun.

Rüstungsindustrie boomt – trotz dreckiger Deals

Seit Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine, der im Februar 2022 begann, befürchten viele, dass ein EU-Land als Nächstes dran ist. Ob wir Europäer dann auf den Schutz der USA zählen können, ist ungewiss. Also herrscht Konsens unter den EU-Regierungen: Wir müssen uns und unsere Demokratien selbst verteidigen können. Dafür braucht es Waffen, Rüstungsgüter und – Sie ahnen es – europäische Rüstungsfirmen, die sie produzieren.

Natürlich kann man nicht ernsthaft behaupten, dass die meisten von ihnen lupenreine Beschützer demokratischer Werte und Staaten sind. Rheinmetall zum Beispiel umgeht über Tochterfirmen im Ausland deutsche Exportkontrollgesetze und macht so Geschäfte mit zwielichtigen Regimen wie Saudi-Arabien.

„Unsere Werte vom Panzer überrollt“ stand auf einem Banner in der BVB-Fan-Kurve, als 2024 bekannt wurde, dass Rheinmetall den Verein sponsern wird. Von Sportswashing war die Rede – also dass der Rüstungskonzern sein schlechtes Image durch das Sponsoring reinwaschen will.

Trotz der Proteste erscheint Rheinmetalls Logo nun auf Banden und im Hintergrund von Pressekonferenzen des BVBs. Vor einigen Jahren undenkbar. Aber die Stimmung hat sich seit 2022 verändert. Von der schlichten Notwendigkeit der Zeitenwende, der Aufrüstung, sind weite Teile der Gesellschaft heute überzeugt.

Hippes Image für die Bomberdrohnen

Während Rheinmetalls Website in Dunkelblau gehalten und mit Bildern von Gewehren, Handgranaten und Panzern bestückt ist, gibt sich Helsing ganz anders. Es ist mit 12 Milliarden Euro das wertvollste Start-up Deutschlands. Helsing entwickelt KI-Software, die Daten von Schlachtfeldern auswertet, baut Kampfdrohnen, die schon in der Ukraine im Einsatz sind, und kaufte jüngst den Flugzeugbauer Grob Aircraft, um Kampfflugzeuge mit KI-Technik in Zukunft selbst zu bauen.

Helsings Website schmücken Pastellfarben und Blumen. Soldaten sind nicht zu sehen. Stattdessen sucht Helsing Menschen, die „das Herz am rechten Fleck haben“, denn man will „ethische Überzeugungen in den Mittelpunkt der Entwicklung von Verteidigungstechnologie stellen“. Unter dem Karriere-Tab steht das Foto eines Mannes mit Hipster-Bart und Blumenhemd, der nachdenklich in die Weite schaut. Über allem prangt der Slogan: Zum Schutze unserer Demokratien.

Während das Ansehen des Journalismus sinkt, ist das der Rüstungsindustrie seit 2022 gestiegen

Es ist absurd. Die Durchsetzung von politischen Anliegen durch den Einsatz von Gewalt ist zutiefst undemokratisch. Und doch können sich Unternehmen wie Helsing, die dafür die Mittel zur Verfügung stellen, seit dem russischen Angriff auf die Ukrai­ne als Beschützer der Demokratie inszenieren. Und in der Logik der Verteidigung ist das auch folgerichtig.

Die Militarisierung ist die neue Normalität

Während das Ansehen des Journalismus sinkt, ist das der Rüstungsindustrie seit 2022 gestiegen. Berührungsängste sind geschrumpft. Das zeigt nach dem BVB-Rheinmetall-Deal nun die Entscheidung von Johannes Boie, ab August als Marketingchef und Pressesprecher bei Helsing anzufangen.

Boie war zuvor Chefredakteur der Bild und der Welt am Sonntag, zuletzt Kolumnist für die NZZ. Dass ein bekannter Journalist PR für eine Rüstungsfirma macht, verdeutlicht, wie warm Gesellschaft und Rüstungs­industrie miteinander geworden sind.

Hätte ich dieses Angebot an Boies Stelle auch angenommen? Mein Gehalt wäre mit Sicherheit gestiegen. Über die Zukunft meiner Branche müsste ich mir auch keine Gedanken mehr machen. Dunkle Nächte und verstörende Träume hätten ihr Ende, da ich fortan nicht mehr in Konkurrenz zur KI stehen, sondern eine verkaufen würde. Nach der Logik der Verteidigung und dem Marketing von Helsing würde ich mit meiner Arbeit ja sogar weiterhin die Demokratie schützen. Vielleicht kann man Boie für seinen Jobwechsel gar nicht kritisieren.

Ein Problem gibt es dann aber doch: Als Journalistin bin ich der Wahrheit verpflichtet, und daran habe ich mich nun gewöhnt. Es mag im Moment der Wahrheit entsprechen, dass Rüstungsunternehmen wie Helsing gebraucht werden, um unsere Art zu leben zu schützen. Das ist schwierig auszuhalten. Sollte ich aber Teil von Boies Presseteam werden, könnte mir eine gleichzeitige Wahrheit herausrutschen: Rüstungsunternehmen existieren nicht, um Demokratien zu schützen, sondern um Profite zu erwirtschaften.

Was passiert also, wenn Helsing weiter wachsen und neue Märkte erschließen will, so wie es Rheinmetall tut? Wird dann das Gelübde, ausschließlich für die Demokratie zu arbeiten, gebrochen? Wir werden sehen.

Besser bleibe ich Journalistin. Sollte Helsing anfangen, Drohnen an autoritäre Regime zu verkaufen, werden Sie von mir lesen.

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