Rücktritt des österreichischen Kanzlers: Platz für die Neufindung

Krachende Niederlage bei der Präsidentschaftswahl und Gegenwind aus allen Parteiecken: Jetzt hat Werner Faymann hingeschmissen.

Fahnenträger vor Demo in rötlichen Rauchschwaden

Auch der Verband sozialistischer Student_innen forderte am 1. Mai Faymanns Rücktritt Foto: ap

WIEN taz | Eine Mischung aus Erleichterung und Ratlosigkeit machte sich breit, als Werner Faymann die Bombe platzen ließ: „Ich lege meine Funktionen als Bundeskanzler und SPÖ-Chef zurück.“ Österreich brauche „einen Kanzler, wo die Partei voll hinter ihm steht. Die Regierung braucht einen Neustart mit Kraft“, so seine Begründung: „Wer diesen Rückhalt nicht hat, kann diese Aufgabe nicht leisten.“

Wer als Kanzler nachfolgt, ist noch nicht klar. Bis auf Weiteres führt ÖVP-Vizekanzler Reinhold Mitterlehner die Geschäfte. Den Parteivorsitz übernimmt interimistisch Wiens Bürgermeister Michael Häupl. Der für November geplante Parteitag, auf dem die Sozialdemokraten sich neu erfinden wollen, wird wohl vorverlegt.

Rufe nach dem Rücktritt Faymanns waren schon nach der ersten Runde der Bundespräsidentenwahlen am 24. April laut geworden. Der von Faymann ausgewählte SPÖ-Kandidat Rudolf Hundstorfer hatte da mit 11,2 Prozent der Stimmen den blamablen vierten Platz belegt. Ein historisches Debakel für die Partei, die seit dem Zweiten Weltkrieg die meisten Präsidenten gestellt hat.

Zu Hunderttausenden waren traditionelle SPÖ-Wähler zum FPÖ-Kandidaten Norbert Hofer oder zum Grünen Alexander van der Bellen übergelaufen. Beim traditionellen Aufmarsch am 1. Mai wurde Faymanns Ansprache durch Buhrufe mehrerer Parteisektionen gestört. Trotzig traten seine Getreuen mit „Werner, die Richtung stimmt!“-Schildern an.

Gewerkschaftliches K.o.

Es sind nicht nur die bekannten rebellischen Bezirkssektionen der Wiener Innenstadt, die Faymanns Kopf forderten. Ende vergangener Woche wagte sich auch Salzburgs SPÖ-Chef Walter Steidl aus der Deckung: „Eine „personelle Erneuerung“ sei „unumgänglich“, sagte er. Überall ist der Gegenwind zu spüren, den die allgemeine Unzufriedenheit mit der Bundesregierung ausgelöst hat. Den K.o.-Schlag hat Faymann wohl die Gewerkschaft versetzt. „Werner, lass los“, hatte zuletzt der gewichtige Chef der Gewerkschaft Bau-Holz, Josef Muchitsch, über die Medien ausrichten lassen.

Seit Werner Faymann 2008 Alfred Gusenbauer als Parteichef ablöste, hat die SPÖ bei nahezu jeder Wahl an Stimmen verloren. Zwei Bundesländer mussten an die ÖVP abgetreten werden. Aber Faymann, der als Wohnbaustadtrat in Wien Karriere machte, besitzt eine Gabe: Er kann mit ausgesuchter Freundlichkeit jeder und jedem vermitteln, dass er sie wichtig nimmt. Dazu hat er über die Jahre ein Verhältnis zu den auflagenstarken Boulevardmedien aufgebaut. Gegen fette Inserate der öffentlichen Hand gibt es gewogene Berichterstattung.

Das Verhältnis zur Kronen Zeitung ist legendär. Getreu deren Linie verfolgte er anfangs einen europakritischen Kurs. Im Laufe der Jahre hat er sich aber zu einem überzeugten Europäer gemausert. Deswegen wird er sogar als möglicher Nachfolger von Ratspräsident Donald Tusk gehandelt.

„Es geht um viel, es geht um Österreich“, sagte Faymann in einer Pressekonferenz. Er sei „sehr dankbar“, dass er „diesem Land dienen“ durfte. Er sei stolz auf Österreich und dass das Land Zehntausenden Menschen Asyl gegeben habe. Den Kritikern von Grenzzäunen beschied er: „Es wäre verantwortungslos gewesen, nicht auch eigene Maßnahmen zu setzen.“

Die Haltung zur FPÖ spaltet

Die SPÖ hat einige grundsätzliche Fragen zu klären. Einerseits muss sie in der Bundesregierung mehr Profil zeigen, um dem Vorwurf entgegenzutreten, in den entscheidenden Bereichen am Gängelband der ÖVP zu laufen. Dazu gehört die Flüchtlingspolitik, aber auch die Debatte um eine Wiedereinführung der Erbschaftsteuer.

Ein Riss quer durch die Partei verläuft entlang der Haltung zur FPÖ. Ein noch gültiger Parteitagsbeschluss schließt jede Koalition mit den Rechtspopulisten aus. Dass man sich damit einen taktischen Nachteil eingehandelt hat, lässt die ÖVP bei sämtlichen Koalitionsverhandlungen spüren. Die hält sich nämlich den Pakt mit HC Strache offen und ist erfolgreich damit. Burgenlands Landeshauptmann Hans Niessl war der Erste, der das Tabu brach und vor einem Jahr auf Landesebene mit den Blauen koalierte.

Noch schwieriger wird es, die Partei für die traditionelle Klientel wieder attraktiv zu machen. Denn außer einer schwindenden Anzahl von Rentnern dankt den Sozialdemokraten niemand, was sie für das Proletariat erkämpft haben. Für die prekär Beschäftigten, die neuen Selbstständigen, die Arbeitslosen und gering Ausgebildeten, die um ihren Job fürchten, hat die SPÖ keine Antworten. Die FPÖ hat nur eine: Regierung abwählen und Grenzen dicht!

Wer die SPÖ demnächst anführen wird, ist offen. Im Gespräch sind seit Monaten der österreichische Bahn-Chef Christian Kern und der ehemalige ORF-Intendant Gerhard Zeiler. Dazu Wiens OB Häupl salomonisch: „Grundsätzlich finde ich beide gut, aber nicht jeder der gut ist, kann auch Kanzler werden.“

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