Rücktritt des Grünen-Vorstands: Partei ist wichtiger als Macht
Am Mittwoch ist der Parteivorstand der Grünen zurückgetreten. Wird es mit Personal aus der zweiten Reihe besser?
![Zwei Personen stehen auf einem Podium und sprechen zu Vertreter:innen der Presse. Zwei Personen stehen auf einem Podium und sprechen zu Vertreter:innen der Presse.](https://taz.de/picture/7263634/14/36603583-1.jpeg)
O mid Nouripour ist Fan von Eintracht Frankfurt und erzählt das jedem, der es nicht hören will. Versuchen wir es am Tag, an dem er und Ricarda Lang ihren Rücktritt vom Grünen-Vorsitz angekündigt haben, also mit einer Fußball-Metapher: Im Frühjahr 2016 entließ die Eintracht nach sieben sieglosen Spielen ihren Trainer Armin Veh, es übernahm Niko Kovač und der Schuss saß. Am Saisonende stand der Klassenerhalt und zwei Jahre später der Gewinn des DFB-Pokals. Meistens aber führen Verzweiflungstaten im Abstiegskampf in die andere Richtung. 2001 schmissen die Hessen Felix Magath raus, mit dem Nachfolger ging es trotzdem in Liga 2.
Wenig spricht dafür, dass es für die Grünen durch ihren Personalwechsel anders läuft. Natürlich gab es am Parteivorstand fundierte Kritikpunkte: Die Kampagne zur Europawahl war langweilig. Wofür Nouripour inhaltlich steht, weiß niemand. Und Lang hat zwar ein klares sozialpolitisches Profil, vermochte es aber auch nicht, damit gegen das Klischee der Gutverdienerpartei durchzudringen.
Einwände dieser Kategorie ließen sich aber genauso gegen das übrige grüne Spitzenpersonal finden. Manchmal scheitert das reibungslose Regieren der Ampel an nörgelnden Grünen-Abgeordneten. Haben die Fraktionschefinnen ihren Laden nicht im Griff? In der Bevölkerung hängt den Grünen weiterhin Habecks Heizungsgesetz nach. Ist der Vizekanzler eine Bürde? Man könnte das Personaltableau reihum auf solche Makel abklopfen, helfen würde es auch nicht. Das Problem der Grünen sind nicht primär die Köpfe, und Wähler*innen werden nicht zurückkehren, nur weil in der Parteizentrale künftig jemand anderes aus der zweiten Reihe sitzt.
Deutschland muss transformiert werden
Das größte Problem für grüne Politik sind die Umstände: Das Land muss transformiert werden. Die Menschen haben vor lauter Krisen aber keine Lust darauf, verändert zu werden. Bewegen lassen sie sich höchstens, wenn die Härten gut abgefedert werden. Dafür braucht es aber Geld aus neuen Steuern oder Krediten, die es in dieser Koalition nicht geben wird.
„Jetzt ist nicht die Zeit, am eigenen Stuhl zu kleben“, sagte Lang am Mittwoch. Der Rücktritt als Symbol, das die Kehrtwende einleiten soll, könnte aber schnell verpuffen. Viel mächtiger wäre der radikalere Schritt: Die Grünen verlassen die Regierung. Sie senden damit die Botschaft, dass der Partei als Ganzes die Sache wichtiger ist als die Macht. Und sie stellen ihr Angebot, mit dem sie in der Ampel nicht durchkommen, ein Jahr früher als geplant neu zur Abstimmung. Dadurch könnte viel eher ein Momentum entstehen als durch den Personalwechsel.
Ein Risiko im aktuellen politischen Klima? Natürlich. Ein Koalitionsbruch könnte auch schiefgehen, bei Neuwahlen könnten die Grünen weiter schrumpfen. Die Union regiert hinterher mit der SPD und Friedrich Merz lässt von der Schuldenbremse trotzdem nicht ab. Aber dass die Grünen all das bei regulären Wahlen in einem Jahr abwenden und ihren Abwärtstrend stoppen, ohne ans Grundproblem zu gehen – das ist auch eine gewagte Wette.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
„Edgy sein“ im Wahlkampf
Wenn eine Wahl als Tanz am Abgrund verkauft wird
Denkwürdige Sicherheitskonferenz
Europa braucht jetzt Alternativen zu den USA
Überraschung bei U18-Wahl
Die Linke ist stärkste Kraft
RTL Quadrell
Klimakrise? War da was?
Verlierer der Wahlrechtsreform
Siegerin muss draußen bleiben
Absturz der Kryptowährung $LIBRA
Argentiniens Präsident Milei lässt Kryptowährung crashen