Rückschlag für Wiederaufbau des Staates: Libysche Wahl abgeblasen
Kommission schlägt eine Verschiebung der Präsidentschaftswahlen um einen Monat vor. International wächst die Sorge vor einem neuen Krieg.
Die Wahlen sollten eigentlich den Friedensprozess für Libyen krönen, der als einer der seltenen Erfolge deutscher Außenpolitik gilt. Libyen hat seit dem Sturz des Diktators Muammar al-Gaddafi 2011 keine stabile Regierung mehr. Ab 2019 spaltete ein Krieg zwischen einer Regierung in der Hauptstadt Tripolis im Westen des Landes und dem im Osten residierenden Armeechef Chalifa Haftar das Land. Auf eine Friedenskonferenz in Berlin im Januar 2020, türkische Militärhilfe für die Regierung und einen Waffenstillstand im Oktober folgte im März 2021 die Einsetzung einer neuen Übergangsregierung in Tripolis, unter dem Geschäftsmann Abdulhamid Dbaiba. Sie sollte freie Wahlen vorbereiten.
Doch Libyens staatliche Institutionen – Regierung im Osten, Parlament im Westen – wurden nicht wiedervereinigt, ebenso wenig wie die rivalisierenden Streitkräfte, und es gab keine Einigung auf ein Wahlgesetz. Im Oktober wurden erst die Parlamentswahlen verschoben, nun auch die Präsidentschaftswahl.
Ob nun wirklich am 24. Januar 2022 gewählt werden kann, wie es die Wahlkommission vorschlägt, ist ungewiss. Formal beschließen müsste dies das Parlament, dem die Wahlkommission untersteht und das im Osten Libyens tagt. Da sich aber alle politische Akteure bei UN-vermittelten Friedensgesprächen auf den 24. Dezember als Wahltermin festgelegt hatten, will nun niemand als derjenige dastehen, der diesen wieder kippt.
Kommt die neue Machtverteilung ohne Volksbeteiligung?
Stattdessen werden inoffiziell neue Fakten geschaffen. Am Dienstag trafen sich mehrere Präsidentschaftskandidaten auf Einladung Haftars in dessen ostlibyscher Hochburg Bengasi. Dabei soll eine faktische neue Machtteilung vereinbart worden sein: eine neue Regierung ohne Wahlen, unter Ausschluss der beiden wichtigsten Präsidentschaftskandidaten neben Haftar, also Übergangspremier Dbaiba und Gaddafi-Sohn Saif al-Islam. Parallel dazu marschierten in der Hauptstadt Tripolis Milizen auf.
Die UNO zeigte sich am Dienstag besorgt über einen Zusammenbruch des Friedensprozesses. Die UN-Gesandte für Libyen, Stephanie Williams, forderte „freie, faire und glaubwürdige Wahlen“. Der US-Botschafter in Libyen, Richard Norland, rief am Mittwoch alle Seiten zur Ruhe auf. „Jetzt ist nicht die Zeit für einseitige Aktionen oder bewaffnete Einsätze“, erklärte er.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Schäden durch Böller
Versicherer rechnen mit 1.000 Pkw-Bränden zum Jahreswechsel
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“