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Rückkehr zum alten Berlin-Pass gefordertStigmatisiert – weil arm

Der Umgang mit dem Sozialticket ist ein Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot, meint die LADG-Ombudsstelle. Das Verfahren wäre diskriminierend.

Die Fahrausweise bitte: Wer ein Sozialticket nutzt, muss den Leistungsbescheid oder Leistungsnachweis dabei haben (Symbolbild) Foto: dtsNachrichtenagentur/imago

Berlin taz | Nutzer des Sozialtickets (kurz: S-Ticket) sagen es schon lange, jetzt ist es amtlich: Die Regelung, dass sie bei Fahrkartenkontrollen ihren Leistungsbescheid vom Amt vorzeigen müssen als Nachweis der Berechtigung für das S-Ticket, ist ein Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot nach dem Landesantidiskriminierungsgesetz (LADG). Dies stellt die LADG-Ombudsstelle in einer „abschließenden Stellungnahme“ fest, die der taz vorliegt. Die bei der Sozialverwaltung angesiedelte Stelle hat sich mit der Sachlage aufgrund einer Sammelklage von sieben Betroffenen beschäftigt – und empfiehlt, zum alten Berlin-Pass-System zurückzukehren.

„Dadurch kann das Vertrauen von Bür­ge­r*in­nen in politische Entscheidungs- sowie Ver­wal­tungs­trä­ge­r*in­nen gestärkt werden“, schreibt die Ombudsstelle an die Sozialverwaltung, die auch für das Sozialticket zuständig ist. Mit der Rückkehr zum Bewährten würden Politik und Verwaltung zum Ausdruck bringen, „dass die Belange und Bedürfnisse von Bür­ge­r*in­nen geachtet und beachtet werden“. Die Sozialverwaltung hat nun bis zum 29. Mai Zeit, zu erklären, ob sie der Handlungsempfehlung nachkommen wird. Daher könne man sich auch jetzt noch nicht äußern, sagte Stefan Strauss, Sprecher von Senatorin Cansel Kiziltepe (SPD) auf taz-Anfrage.

Der Berlin-Pass war 2009 eingeführt worden, um Be­zie­he­rn von Sozialleistungen durch verbilligte Tickets für Kulturangebote sowie den öffentlichen Nahverkehr die Teilnahme am kulturellen und sozialen Leben zu erleichtern. Das kleine Papp-Kärtchen wurde in den Bürgerämtern ausgestellt.

Zum 1. Januar 2023 wurde der Berlin-Pass wieder abgeschafft. Zur Begründung hieß es, die Bürgerämter müssten entlastet werden, zudem wolle man eine fälschungssichere Alternative. Also wurde der „Berechtigungsnachweis“ eingeführt. Die Bezieher von Sozialleistungen sollten mit dem Bescheid von ihrer jeweiligen Leistungsstelle – Jobcenter, Sozialamt, Wohngeldstelle oder Flüchtlingsamt – zugleich einen QR-Code bekommen, mit dem sie eine spezielle VBB-Kundenkarte beantragen konnten, mit der wiederum sie sich bei Fahrkartenkontrollen als Berechtigte für das Sozialticket ausweisen mussten.

Eine digitale Lösung scheiterte am Datenschutz

Doch das Ganze funktionierte überhaupt nicht, es gab Technik-Probleme bei der BVG, zudem kamen Behörden mit den QR-Codes nicht hinterher. Die Folge: Tausende Nutzer fuhren ohne VBB-Kundenkarte und wurden beim Schwarzfahren erwischt. Es gab viele Beschwerden und aufgeregte Diskussionen im Sozialausschuss. Zwischenzeitlich favorisierten die Senatsparteien CDU und SPD eine digitale Lösung, die geplante App scheiterte jedoch an Datenschutzproblemen. So kam es zur neuen, seit Jahresanfang gültigen Regelung, dass man dem Kontrolleur seinen Leistungsbescheid zeigen soll.

Dieser ist ein mehrseitiges Schreiben im DIN-A4-Format, das den Vorzeigenden für alle Mitreisenden sichtbar als Sozialleistungsbezieher „outet“ – ein Umstand, den die Ombudsstelle als Diskriminierung aufgrund des sozialen Status bewertet. Daran würde sich auch nichts ändern, wenn man seinen Namen in dem Schreiben schwärzt, wie es BVG und Sozialverwaltung empfehlen.

Betroffene hätten übereinstimmend von „Stigmatisierungserfahrungen“ bei Fahrkartenkontrollen berichtet, schreibt die Ombudsstelle. Sie zitiert eine Studie von 2023, laut der 24 Prozent der dauerhaft von Armut betroffenen Befragten angab, dass andere auf sie herabsehen. Weiter heißt es: „Um Prozesse der sozialen Spaltung in Deutschland nicht weiter zu begünstigen, sind Maßnahmen, in denen von Armut betroffene Menschen Achtung und Beachtung finden, von besonderer Bedeutung.“

Besonders pikant für Politik und Verwaltung: Mit der Abschaffung des Berlin-Passes wurde laut Ombudsstelle nicht einmal das erreicht, was angeblich bezweckt war. Zum einen gebe es keine Anhaltspunkte dafür, dass Leistungsbescheide, in Kopie und geschwärzt, weniger fälschungsanfällig seien als die alten Berlin-Pässe.

These von der Überlastung bezweifelt

Zudem habe es aus keinem Bürgeramt zuvor eine Überlastungsanzeige wegen des Berlin-Passes gegeben, hält die Ombudsstelle fest. Und: „Etwaige Erhebungen zur Bemessung der Belastungen der Bürgerämter, welche ggf. durch die Ausstellung des Berlin-Passes entstand, wurden nicht durchgeführt.“ Die These von der Überlastung dürfe „berechtigt bezweifelt werden“, heißt es weiter. Die Berlin-Pässe seien ja „unbürokratisch ohne Termin durch das Empfangspersonal der Ämter ausgestellt“ worden.

Das sieht so auch Lars Düsterhöft, SPD-Abgeordneter und Vorsitzender des Ausschusses für Soziales und Arbeit. Die Ausstellung der alten Pässe sei „ein Akt von wenigen Minuten“ gewesen, den die Mitarbeiter an den Eingangsschaltern quasi nebenher erledigt hätten, sagt Düsterhöft der taz. In seiner Fraktion sei man sich einig, dass die Rückkehr zum alten Berlin-Pass-System das Beste wäre, so Düsterhöft.

Doch bisher halte die CDU daran fest, dass die Aufgabe nicht zu den Bürgerämtern zurückkehren dürfe. „Also sind wir noch auf der Suche, wo man das künftig andocken kann.“ Allerdings dürfe eine neuerliche Umstellung wegen der Haushaltskonsolidierung auch nicht viel kosten. Seine Hoffnung: „Dass der Koalitionspartner erkennt, dass die Bürgerämter die günstigste und einfachste Lösung sind.“

Oder doch wieder der alte Berlin-Pass?

Der Sprecher der CDU-Fraktion für Sozialpolitik, Björn Wohlert, sagte der taz, seiner Fraktion wäre weiterhin eine digitale Lösung am liebsten, wenn die Bedenken der Datenschutzbehörden aufgelöst werden können. „Sollte das aber nicht möglich sein, wären wir als Fraktion im Zweifel für eine Rückkehr zu einem System mit persönlicher Ausgabe.“

Tatsächlich hat auch die Sozialverwaltung die Hoffnung auf eine digitale Lösung noch nicht aufgegeben. Kiziltepes Sprecher Strauss bestätigte, dass die Sozialverwaltung derzeit mit anderen Bundesländern im Austausch steht, um gemeinsam ein digitales Verfahren zu entwickeln. Dies erfordere jedoch „umfangreiche“ Abstimmungen, eine Lösung sei noch nicht absehbar.

Oder doch wieder der alte Berlin-Pass? Strauss will sich nicht festlegen. Man wolle eine „möglichst unkomplizierte, rechtssichere, praxistaugliche und bür­ge­r:in­nen­freund­li­che Lösung“, aber wie genau die aussehen wird, könne man noch nicht sagen, da man auch mit anderen Senatsverwaltungen in „anhaltenden Abstimmungen“ sei. Das Ganze dauert ja auch erst ein paar Jahre.

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1 Kommentar

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  • Für mich als Armutsrentnerin ist das 19,-€ Ticket kein Sozialticket. Meine Rente hat sich zwar letzten Juli erhöht, aber durch Erhöhung der Krankenkassenbeiträge habe ich nun faktisch weniger Rente als vor der Erhöhung.



    Es liegt so viel Verachtung in dem Handeln gegenüber von Armut Betroffenen. Deshalb kommt da Stigmatisierung raus.