Rückkehr nach Syrien: Wenn die Ersten zurückgehen
Nach dem Sturz Assads stellt sich für viele geflohene Syrer:innen heute die Frage, ob sie einen neuen Anfang in der alten Heimat wagen sollen.
M it leuchtenden Augen verkündete meine Nachbarin ihren lang gehegten Traum: „Wir gehen zurück nach Syrien und ich werde einen Kindergarten eröffnen.“ Es war ein Gemisch aus Freude und Wehmut, als sie mir erzählte, dass sie ihre Entscheidung reiflich überlegt hatte. Sie wolle Deutschland verlassen, um mit ihrem Mann und den Kindern in die Heimat zurückzukehren.
Dabei hatte sie vor zwei Jahren die deutsche Staatsbürgerschaft erworben. Die Entscheidung spiegelt die große Sehnsucht wider, die Syrer:innen zurück in ihr Land zieht – egal wie groß die Distanz ist und wie sehr sich die Umstände verändert haben. Doch als sie mich mit einem Lächeln fragte: „Und du, kommst du auch zurück?“, war meine Antwort von einem Kloß im Hals begleitet.
Ich antwortete ihr ehrlich, dass ein Besuch in Syrien vielleicht möglich sei, aber eine endgültige Rückkehr noch in weiter Ferne liege. Die Lage sei weiterhin instabil, und grundlegende Dienstleistungen wie Strom und Wasser stellen tägliche Herausforderungen dar.
Meine größte Sorge ist die Sicherheit. Ich sagte ihr: „Ich kann nicht zurückkehren, ohne darüber nachzudenken, wie wahrscheinlich es ist, dass meine Kinder oder mein Mann in Situationen geraten, die ihnen schaden könnten.“ Deshalb: „Ja, die Entscheidung ist aufgeschoben.“
In der Kolumne ankommen schreiben im zweiwöchentlichen Rhythmus Journalist:innen, die 2015 nach Deutschland geflüchtet sind, zum 10. Jahrestag des „Summer of Migration“. Begleitend zu den Kolumnen gibt es außerdem die Podcastreihe „Geschafft?! Zehn Jahre nach der Ankunft“ zu hören, die im Rahmen der Freie Rede Podcasts der taz Panter Stiftung erscheint.
Sorge vor möglichen Racheakten
Diese Sorge ist tief in einer schmerzhaften persönlichen Erfahrung verwurzelt: Mein Mann war unter Assad senior über achteinhalb Jahre lang inhaftiert. Das Regime ist gestürzt. Doch für meinen Mann birgt eine Rückkehr aufgrund seiner alawitischen Zugehörigkeit die Gefahr individueller sektiererischer Racheakte.
Bis heute gibt es keine Berichte über Gerichtsverfahren oder echte Gerechtigkeit für die Opfer dieser Ära. Die Verzögerung in der Übergangsjustiz hat dazu geführt, dass einige Einzelpersonen Rache an einer ganzen Gemeinschaft nehmen, was die Wunden nur noch vertieft, anstatt sie zu heilen.
Stammt aus Syrien und floh 2014 nach Deutschland. Zuvor arbeitete sie in Syrien und Saudi-Arabien als Journalistin und Fernseh-Moderatorin. Heute lebt sie mit ihrem Mann und ihren beiden Kindern in Berlin und arbeitet für das Portal Amal.
Im Gegensatz dazu sieht meine Nachbarin die Rückkehr mehr als eine Pflicht denn als ein Abenteuer. Zwei ihrer Onkel wurden im Saidnaya-Gefängnis getötet. Sie selbst freut sich darauf, in Darayya, ihrem einst von den Regierungstruppen bombardierten Heimatbezirk, neu anzufangen. Sie sagte mir enthusiastisch, dass viele Ausgewanderte bereits zurückgekehrt seien, um am Wiederaufbau des Landes teilzunehmen.
„Es braucht uns alle.“ Nach Angaben des deutschen Innenministeriums sind im Rahmen des freiwilligen Rückkehrprogramms bis Ende August 2025 tatsächlich 1.867 Syrer nach Syrien zurückgekehrt – trotz der großen Herausforderungen, die sie dort erwarten.
Frage nach Demokratie und Sicherheit
Meine Bedenken beschränken sich nicht nur auf die persönliche Sicherheit, sondern erstrecken sich auch auf die Sicherheit des Landes als Ganzes. Einige Regionen Syriens, sogar Damaskus, sind nach wie vor Ziel israelischer Luftangriffe. Das Land steckt in komplexen politischen und wirtschaftlichen Krisen.
Ich frage mich immer wieder: Inwieweit kann ich mein Recht auf Demokratie ausüben, an das ich mich in Deutschland gewöhnt habe? Die Ergebnisse der letzten Volksversammlungswahlen waren enttäuschend: drei Gouvernements blieben ohne Vertretung. Nur sechs Frauen wurden gewählt – bei 119 Mitgliedern. Eine Realität, die die Kluft zwischen der politischen Freiheit im Exil und den Beschränkungen in der Heimat größer denn je erscheinen lässt.
Die größte Sorge meiner Nachbarin galt ihren drei Kindern. Sie befürchtet, dass sie Schwierigkeiten haben werden, auf Arabisch zu lernen, nachdem sie auf Deutsch unterrichtet wurden. „Besonders meine beiden älteren Töchter.“
Sie erzählte auch von der Entscheidung ihrer Töchter in der siebten und achten Klasse, in Deutschland freiwillig das Kopftuch zu tragen. Dies sei von ihren Mitschülern und Lehrern mit Verständnis und Respekt aufgenommen worden. Für mich war dies zugleich überraschend und beruhigend. Es zeigte mir, dass die soziale Akzeptanz in Deutschland möglicherweise größer ist als in Syrien heute.
Rückkehr – mehr als nur eine geografische Reise
Ich selbst bin kürzlich zweimal nach Damaskus gereist, zuletzt für einen einmonatigen Aufenthalt, der eher einem Workshop ähnelte. Die meisten meiner Verwandten sind schon lange weg, aber in den jungen Männern und Frauen, die ich in Journalismus ausbildete, fand ich eine neue Familie.
Diese Menschen, die an die Kraft des Wortes und seine Fähigkeit zur Veränderung glauben, haben mir die wahre Bedeutung der Heimat zurückgegeben: Heimat ist Würde, Rechte und Sicherheit. Es sind die Familie, die Nachbarn und die Erinnerung, nicht nur ein bloßer Ort.
Obwohl die Meinungsäußerung an einigen Orten wieder möglich geworden ist, leben die Syrer immer noch in ihren eigenen Blasen – aus Angst vor Angriffen oder Anschuldigungen, genau wie auf den Social-Media-Plattformen. Diese Blasen sind das neue Gesicht des Konflikts, der diesmal nicht mit Waffen, sondern mit Worten und Haltung ausgetragen wird.
Angesichts der Herausforderungen bei der Sicherheit und in der Politik ist die Entscheidung zur Rückkehr nach Syrien mehr als nur eine geografische Reise. Sie ist eine Prüfung des Glaubens an die Heimat, an sich selbst und an die Zukunft.
Diese Entscheidung wird wahrscheinlich so lange aufgeschoben bleiben, bis wahre Gerechtigkeit und umfassende Sicherheit erreicht sind. Erst dann kann die Rückkehr wirklich sicher und nicht ein schmerzhaftes Wagnis sein. Denn die Heimat, von der wir träumen, ist nicht nur ein Ort, an den wir zurückkehren, sondern ein Raum, in dem wir in Würde, Sicherheit und Freiheit leben können.
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