: Rückkehr in ein leeres Land
Vor zehn Jahren wurde die muslimische Bevölkerungsmehrheit aus der ostbosnischen Stadt Foca brutal vertrieben. Die UN-Versuche zur Rücksiedelung der Opfer und zum Wiederaufbau kommen erst langsam voran. Zu Besuch bei denen, die es trotzdem wagen
aus Foca ERICH RATHFELDER
Die Sprecherin des UN-Flüchtlingswerkes UNHCR in Sarajevo strahlt Optimismus aus. Gerade hat sie den Journalisten die neuesten Zahlen der zurückgekehrten Kriegsvertriebenen vorgelegt. „Im Januar und Februar sind 10.844 Menschen in ihre alte Heimat zurückgekehrt.“ Endlich können die Institutionen der internationalen Gemeinschaft in Bosnien Erfolge vorweisen. Fast sieben Jahre nach dem Friedensabkommen von Dayton werden nun einige der Versprechungen erfüllt. Damals, im November 1995, einigten sich die Kriegsparteien darauf, dass alle Flüchtlinge und Vertriebenen in ihre Heimatorte zurückkehren könnten.
Kommen Sie doch mit und schauen Sie sich selbst eine der Problemregionen an“, sagt Oberstleutnant Anne Schulz, Chefin der Informationsabteilung der deutschen Friedenstruppen in Sarajevo, der Security-Force (SFOR). Die seit einem halben Jahr in Sarajevo tätige Soldatin schlägt die Region um die ostbosnische Stadt Foca vor. Jene Region, die erst kürzlich, Anfang März, in die Schlagzeilen geraten war. Damals versuchten die SFOR-Truppen, den vom Kriegsverbrechertribunal in Den Haag gesuchten ehemaligen Serbenführer Radovan Karadžić zu fangen, der sich in den Bergen der Grenzregion zu Montenegro aufhalten sollte, kaum zwanzig Kilometer von Foca entfernt.
Die Aktion war zwar ein Fehlschlag, Karadžić konnte wieder einmal entwischen – doch da die Region als ein Zentrum der serbischen Nationalisten gilt, ist es durchaus reizvoll, dort zu überprüfen, wie die Rückkehr der im Krieg Vertriebenen vor sich geht.
Vor zehn Jahren, von Ende April bis Mai 1992, wurde in Foca eines der schwärzesten Kapitel in der bosnischen Geschichte geschrieben. Hier übernahmen serbische Nationalisten und Freischärler die Macht und vertrieben unter grausamen Umständen die muslimische Bevölkerungsmehrheit. Die heute gesuchten Kriegsverbrecher gaben der ehemals 44.000 Einwohner zählenden alten osmanischen Handelsstadt Foca sogar einen neuen Namen, Srbinje.
Lieblich und mild erscheint die Landschaft im Frühling, die Hänge beiderseits der reißenden Drina sind bedeckt von der Blütenpracht der Obstbäume. Das satte Grün der Wiesen an den Ufern bildet einen eigentümlichen Kontrast zur Silhouette der Stadt, die von der Schnellstraße aus Sarajevo gut zu sehen ist. Nichts erinnert mehr daran, dass hier einmal elf Moscheen ein einmaliges Panorama gebildet haben. Heruntergekommene, schmucklose Wohnblocks ziehen sich am Ufer entlang, an vielen Stellen wird Müll in den Fluss gekippt. Die steil abfallende Böschung ist von Plastikflaschen und anderem Unrat übersät.
Der Jeep der Bundeswehr fährt über die mit internationalen Geldern neu erbaute Brücke. Die alte wurde bei einem Angriff von Nato-Flugzeugen im September 1995 zerstört. Man munkelt, dass deutsche Tornados an diesem Angriff beteiligt waren. Kein Wunder, dass die serbische Bevölkerung den deutschen Soldaten gegenüber reserviert erscheint.
Unfreundliche Blicke begleiten das Militärfahrzeug, als es am Rathaus, dem Denkmal für die gefallenen serbischen Kämpfer und dem Markt vorbei zu jener Stelle fährt, wo bis zum Krieg die berühmte Aladza-Moschee gestanden hat, ein Denkmal osmanischer Baukunst des 16. Jahrhunderts. Feindselig werden die Blicke älterer Männer, als die Besucher nach dem ehemaligen „Sportzentrum Partizan“ fragen. Hier soll nach den Untersuchungen von Spezialisten aus Den Haag ein Gefangenen- und ein Vergewaltigungslager bestanden haben.
Aus dem halbverfallenen Gebäude dringt Rockmusik. Eine Jugendgruppe übt einen neuen Song ein. Die Menschen sind ärmlich gekleidet, nur vor den Cafés gegenüber dem Armeehauptquartier stehen einige fast neue Audis und Mercedes-Limousinen. Dort geht die Halbwelt ein und aus, junge durchtrainierte Leute, die mit Schwarzmarktgeschäften und Schmuggel zu tun haben sollen. Ein Lichtblick ist Jovan, ein unbekümmerter 22-Jähriger, der keine Berührungsangst hat. Und keine Schuldgefühle. Der blonde, gut aussehende Serbe, der zu Kriegsbeginn noch ein Kind war, will mit den Kriminellen auf der anderen Straßenseite nichts zu tun haben. Ihn interessieren auch der Krieg und die alten Geschichten nicht. Er möchte etwas aus seinem Leben machen.
Die wirtschaftliche Lage sei so schlecht, dass er es hier nicht mehr aushalten könne, sagt er. Eigentlich wollte er studieren, aber dafür fehlt das Geld. Jetzt schlägt er sich als Aushilfskellner durch und wartet auf seine Papiere: Er will nach Kanada auswandern. „Wenn nicht bald etwas geschieht“, sagt er, „wenn die internationale Gemeinschaft uns nicht hilft, wird das hier in Zukunft ein leeres Land sein.“
Die internationale Gemeinschaft hat sich in den vergangenen Jahren tatsächlich wenig um die jetzt 27.000 Einwohner des Bezirks „Foca-Srbinje“ gekümmert. Während andere Städte und Regionen Bosniens einen immerhin bescheidenen Aufschwung erfuhren, wurde das Zentrum der serbischen Nationalisten von der internationalen Hilfe ausgenommen. Mit der Strategie „Zuckerbrot und Peitsche“ sollten überall in Bosnien und Herzegowina, vor allem aber in der serbischen Teilrepublik „Republika Srpska“ die nationalistischen Extremisten von der Macht verdrängt und moderate Kräfte unterstützt werden. Im Klartext hieß dies: Wer mit der internationalen Gemeinschaft zusammenarbeitet, bekommt Geld und Unterstützung, wer nicht, eben nichts.
Foca-Srbinje wurde zum schwarzen Fleck auf der Landkarte, weil die Regierungspartei, die nationalistische „Serbische Demokratische Partei“ (SDS), sich bis ins Jahr 2000 hinein nicht beugen wollte. Weil sie sich weigerte, Vertriebene zurückkehren zu lassen, weil sie nicht daran dachte, in der Frage der Kriegsverbrecher mit dem UN-Tribunal in Den Haag zusammenzuarbeiten.
Erst dem deutschen Sondervermittler Christian Schwarz-Schilling gelang es vor zwei Jahren nach langen Verhandlungen, das Eis zu brechen. Der CDU-Bundestagsabgeordnete, der im Auftrag der internationalen Gemeinschaft in den Problemregionen Bosniens aktiv ist, überzeugte SDS-Politiker, vor allem in der Frage der Rückkehr von Vertriebenen Zugeständnisse zu machen. Im Gegenzug sollte das Embargo aufgehoben und internationale Hilfe in die Stadt fließen. Schwarz-Schilling hielt sein Versprechen und forderte den US-Senat und andere Institutionen auf, das Embargo gegen Foca-Srbinje zu lockern. Doch das Gros der versprochenen Hilfe blieb eingefroren. Denn solange Radovan Karadžić nicht an Den Haag ausgeliefert ist, hält sich die internationale Gemeinschaft weiterhin in Foca zurück.
„Dabei ist Karadžić nicht einmal in der Region“, sagt Radisav Masić, Direktor von „Radio Srbinje“, und, wie es heißt, einer der bestinformierten Männer der Stadt. Er will über Dokumente verfügen, die dies beweisen. Er zeigt sie jedoch nicht. Er macht sich ein wenig lustig über die SFOR, die „brutal gegen die Bevölkerung der Grenzregion vorgegangen ist“. Die dort aufgefundenen Waffen seien in einem der SFOR bekannten Sammelpunkt gelagert gewesen. Masić, schlank, schnauzbärtig, um die vierzig, gehört wohl zu jenen Menschen, die in allen Regimen ihre Position halten können. Er ist vorsichtig, gerade in Bezug auf Karadžić. Trotzdem ist zu spüren, dass ihm die Geschichte der Stadt nicht angenehm ist. Dass er aus der beklemmenden Lage herauskommen will, die „schlechte Politiker“, wie er sich ausdrückt, verursacht haben.
Noch ist im Gebäude des Radios das regionale Hauptquartier der Armee der „Republika Srpska“ untergebracht, und noch immer ist das Radio gezwungen, eine Art „öffentlich-rechtliches“ Programm im Sinne der SDS auszustrahlen. Doch im nächsten Jahr soll das Radio privatisiert werden. „Und dann“, sagt Masić, „haben wir die Hände frei, unabhängig und mit neuen Ideen ein neues Programm zu gestalten.“
Die jungen Leute, sagt er, blieben ohnehin nicht mehr in der Region. Und seit die Firma Maglić vor fünf Monaten dicht machen musste, sehe es auch für die Älteren ganz düster aus. Immerhin hat der holzverarbeitende Betrieb noch vor fünf Monaten 1.500 Menschen beschäftigt, einstmals seien es fünftausend gewesen. Nach der Pleite der alten Firma müsste nun ein Investor aus dem Ausland kommen. „Wenn nur fünfhundert Arbeitsplätze geschaffen würden, könnten wir wieder optimistischer in die Zukunft sehen.“ Wer aber will in eine Region investieren, deren Bewohner, vor allem jene in der Grenzregion, im Ruch stehen, in Karadžić einen Volkshelden zu sehen? Masić zuckt mit den Achseln. „Nur mit Investitionen könnten wir die Probleme lösen. Auch das der Rückkehr der Flüchtlinge.“
Ich habe vor zwei Jahren eine existenzielle Entscheidung getroffen“, sagt Smail Hadzimusić. „Ich habe mich entschlossen, auf die Versprechungen der internationalen Institutionen zu vertrauen.“ Hadzimusić ist Bosniake, also Muslim, 54 Jahre alt, vor dem Krieg war er Polizist in Foca. 1992 musste er mit seiner Familie nach Sarajevo fliehen. Vor zwei Jahren bewarb er sich in seinem Beruf bei den Behörden seiner Heimatstadt. Und zur Überraschung vieler bekam er den Job, wie zwei weitere Bosniaken. „Wir sind also drei Bosniaken unter fünfzig serbischen Polizisten.“
Jetzt sitzt er in seinem notdürftig reparierten Haus in einem der äußeren Bezirke der Stadt und ist Anlaufstelle für alle diejenigen, die in ihre Heimat zurückkehren wollen. Mit seinem Salär von 350 Konvertiblen Mark, der bosnischen Währung, die der alten D-Mark gleichgestellt ist, kann er keine großen Sprünge machen. In Sarajevo würde er als Polizist neunhundert Konvertible Mark verdienen. Er will aber dennoch in Foca leben. Hier ist er geboren, hier ist seine Familie seit Generationen ansässig.
„Srbinje ist kein Name für die Stadt“, sagt Hadzimusić, „selbst neunzig Prozent der alteingesessenen serbischen Bewohner der Stadt sagen Foca und nicht Srbinje.“ Mit den serbischen Nachbarn in der Umgebung, sagte er, „gibt es keine Probleme mehr“. Auch nicht an seiner Arbeitsstelle. Die lokale Polizei sei ohnehin von der UN-Polizei IPTF kontrolliert. Kein Polizist könne sich einen Fehler erlauben, müsse die internationalen Standards beachten. Übergriffe würden durch die lokale Polizei geahndet. „Deshalb gibt es auch kein Sicherheitsproblem mehr für die Rückkehrer.“
Die Häuser der Bosniaken wurden 1992 niedergebrannt. Deshalb, sagt er, bräuchten sie dringend die Unterstützung durch die internationalen Hilfsorganisationen. Noch Ende der Neunzigerjahre gab es jede Menge Geld für Rückkehrprojekte, obwohl es nur wenige Rückkehrer gab. Heute, da es wirklich ernst werde mit den Rückkehrern, sei der Geldstrom versiegt. „Mit 350 Mark im Monat kann ich mit meiner Familie gerade so durchkommen“, sagt Smail. „Aber ein Haus aufbauen kann ich davon nicht.“
Dabei geht es ihm und seiner Frau noch vergleichsweise gut. Viele andere haben gar keinen Job. Dreißig Nachbarhäuser sind dennoch notdürftig wieder hergerichtet worden. „Gott sei Dank hat uns die SFOR-Hilforganisation Cimic geholfen.“ Fünftausend Mark habe die Bundeswehr pro Haus ausgegeben. Trotzdem seien nur ganz wenige Menschen in die Stadt zurückgekehrt: „Vier Familien leben ständig hier.“ Wie kommt es dann, dass in Sarajevo gejubelt wird, es seien schon über 150 Rückkehrer in der Stadt? „Das sind Statistiken“, sagt Hadzimusić. „Die Wahrheit sieht anders aus. Die Besitzer der anderen Häuser kommen nur ab und zu nach Foca, obwohl sie offiziell als Rückkehrer gelten. Die ziehen es vor, weiter in Sarajevo zu leben. Hier gibt es ja auch keine Arbeit. Deshalb sind es vor allem alte Leute, die zurückgekommen sind.“
Saban Jedović ist Rentner, was für Bosniaken, die von der kroatisch-bosniakischen Föderation bezahlt werden, bedeutet, mit 150 Mark im Monat auskommen zu müssen. Rentner in der Republika Srpska bekommen sogar noch weniger. Doch Jedović will nicht klagen. Auch wenn der 77-jährige ehemalige Waldarbeiter eine bedrückende Geschichte zu erzählen hat. Während des Zweiten Weltkriegs sind seine Mutter und sein Bruder von serbischen Tschetniks, den nationalistischen Royalisten, ermordet worden. Im Sommer 1943 sollen über dreitausend Muslime allein in Foca ihr Leben verloren haben.
Erst als die kommunistischen Partisanen in der Region einrückten, endete der Terror. Noch nach dem Zweiten Weltkrieg aber gab es Tschetniks in den Bergen nahe der Grenze zu Montenegro – dort, wo heute Karadžić sitzen soll. Auf den Kopf des Tschetnikführers Radevoj Pavlović waren damals fünf Millionen Dinar ausgesetzt. Jetzt sind es fünf Millionen Dollar für Karadžić. Das sei „nicht zu viel“, sagt Saban, für einen Mann, der ihm einen Teil seiner Familie genommen hat. Denn mehrere seiner Verwandten sind vor zehn Jahren „verschwunden“. Er will nicht darüber reden. Der Schmerz sitzt tief.
Nur über den Ausspruch des Präsidenten der Republika Srpska, SDS-Mitglied Mirko Sarović, der sagte, Srbinje – also Foca – sei „befreit“ worden, erregt er sich. „Befreit von wem? Von uns, den Bewohnern dieser Stadt?“ Ist es denn möglich, nach all dem wieder hier zu leben? „Einen alten Stamm“, sagt er, „verpflanzt man nicht.“
Zwei Militärfahrzeuge und ein Sanitätswagen bilden den Konvoi, der in die Berge fahren soll. Langsam schrauben wir uns die Serpentinen zum Dorf Gojtanovici hinauf. Zwei alte Leute stehen am Dorfeingang und freuen sich. Ziva und Salko Kokić, Jahrgang 1937 und 1938, bitten die Gäste höflich in ihr Haus. Die Soldaten sind beliebte Gäste im Haus, das noch vor kurzem nur eine Ruine war. Die beiden Alten sind im Frühsommer vorigen Jahres in ihre Heimat zurückgekehrt.
Auch Ziva Kokić spricht nicht gerne über die Zeit, als im Mai 1992 die serbischen Soldaten von Foca her auf dem holprigen Feldweg vorrückten. Das freundlich runzelige Gesicht wird ernst, Tränen steigen auf, wenn sie daran erinnert wird, wie sie mit ihren Söhnen, Schwiegertöchtern und den Kindern in Panik ihr Dörfchen verlassen musste. Mit einer Handbewegung schiebt sie die Erinnerungen zur Seite. Und wendet sich ihren Pflichten als Gastgeberin zu. Denn in Bosnien beginnt jedes Gespräch erst richtig nach Abschluss der zeremoniellen Kaffeezubereitung. Das Gespräch erstirbt, als der auf dem Ofen stehende Wasserkessel zu summen beginnt.
Höflich bedanken sich die beiden alten Leute für die Hilfe, die ihnen von den deutschen Soldaten zuteil geworden ist. Im vorigen Sommer fand eine Streife die alten Leute hilflos in der Ruine ihres Hauses vor. Beim nächsten Mal brachten sie ein paar Lebensmittel mit. Und beschlossen, in ihrer Freizeit beim Aufbau des Hauses zu helfen. Regelmäßig kamen sie nun, brachten einen Ofen für den Winter und weitere Lebensmittel. Ohne die deutschen Soldaten, sagen die beiden, hätten sie nicht überlebt.
Nur vier Monate dauert der Dienst für die Bundeswehrsoldaten in Bosnien. Doch auch die nächste Schicht sorgte sich um die alten Leute. Bei einem Besuch im Winter mussten selbst die Geländewagen der Armee im hohen Schnee darum kämpfen, auf dem eingeschneiten und steilen Feldweg bis zum Dorf vorzudringen. Bei anderen Ortschaften gelang dies nicht.
„Wir hier im Dorf Dunici lebten im vorigen Juni noch in Zelten, denn alle Häuser waren zerstört“, sagt Atif Skorupan, der 65-jährige Sprecher der Rückkehrer von zehn Familien, insgesamt 75 Personen. Im Herbst halfen die Soldaten, eine der Ruinen wieder herzurichten. Die Familien wechselten sich vierzehntägig dabei ab, in dem mit einem Bad und einem Ofen gesegneten Haus zu wohnen. Die meisten mussten auch bei Temperaturen um minus zwanzig Grad in den Zelten ausharren. In diesem Sommer sollen weitere Häuser winterfest gemacht werden.
Endlich werden die Hilfsgüter ausgepackt. „Help“, eine der wenigen in Bosnien noch aktiven Hilfsorganisationen, hat dem Konvoi Lebensmittel und Kinderspielzeug mitgegeben. Auch Hilfsgüter der Organisation „Lachen helfen“, die sich aus Spenden der Soldaten finanziert, sind dabei. „Wir kaufen vor allem Baumaterialien“, sagt ein Hauptmann. Das Sanitätsteam hat Medikamente mitgebracht, die in Bosnien nicht zu haben sind.
Der 72-jährige Mujo Hodzić, der über neun Jahre in Düsseldorf gearbeitet hat und von dort eine kleine Rente bezieht, ist schwer herzkrank. Der Militärarzt untersucht den Mann, der vor dem Krieg in sein Dorf zurückgekehrt war und 1992 wieder nach Deutschland fliehen musste. Dort wäre er gerne geblieben, doch wie andere bosnische Kriegsflüchtlinge wurde er vor zwei Jahren „zurückgeführt“. Oberstleutnant Norbert Körpel, erst seit Mitte März in Bosnien, hat auf dem kleinen Friedhof des Dorfes achtmal den Namen Hodzić entdeckt, jeweils mit dem Todesjahr 1992, der Jüngste war fünfzehn, der Älteste über achtzig.
Auch die serbische Familie Vuković musste Deutschland wieder verlassen. 1988 war sie nach Stuttgart umgezogen, als der jetzt fünfzigjährige Dragan Vuković eine auf fünf Jahre befristete Stelle als Deutschlehrer für Gastarbeiterkinder bekam. Als der Krieg begann, durfte die Familie als Flüchtlinge bleiben. Die älteste Tochter heiratete einen Deutschen, Vesna, seine Ehefrau, und er arbeiteten in verschiedenen Firmen. „Es war die glücklichste Zeit unseres Lebens“, sagt er. Dann wurden die Vukovićs vom Land Baden-Württemberg angewiesen, nach Bosnien und damit nach Foca zurückzukehren. Obwohl sie in Deutschland integriert waren und obwohl ihre Arbeitgeber sie weiter beschäftigen wollten.
Die jüngste Tochter hat sich immer noch nicht damit abgefunden. Sie ist in Deutschland geboren, für sie ist Deutschland ihre Heimat. Foca hat nichts mehr mit jener Stadt zu tun, die Dragan und Vesna Vuković vor dem Krieg gekannt haben. Dragan versuchte, bei den deutschen Truppen als Dolmetscher eingestellt zu werden, erfolglos. Vesna kaufte sich eine alte Nähmaschine und begann zu schneidern, das half der Familie über das Gröbste hinweg. Die ältere Tochter, 22, die in Stuttgart den Friseurberuf gelernt hat, investierte ihr Erspartes in ein Friseurgeschäft in Foca. „Wenn ich dreißig Mark am Tag umsetze, ist es schon ein guter Tag“, sagt sie.
Jetzt überlegt sich die Familie, an die Adriaküste nach Montenegro überzusiedeln und auf den Tourismus zu setzen. Doch dort, in dem nach Unabhängigkeit von Serbien strebenden Land, sind Serben nicht mehr unbedingt willkommen.
„Wir haben an den deutschen Rechtsstaat geglaubt und mit offenen Karten gespielt, nicht gemogelt oder so etwas, wie andere Flüchtlinge, die bleiben konnten“, lautet Dragan Vuković’ Fazit. Über die politische Lage in seinem Heimatort möchte er sich nicht äußern. Sich in seiner Lage Feinde zu schaffen führt ja auch zu nichts.
Wolfgang Petritsch wird bald Bosnien verlassen. Doch ein bisschen stolz möchte der österreichische Diplomat schon sein auf das, was er geleistet hat. Als Hoher Repräsentant der Internationalen Gemeinschaft war er im Sommer 1999 angetreten mit dem Ziel, endlich in der Frage der Flüchtlingsrückkehr weiterzukommen. „Wenn man sich vorstellt“, sagte er einmal, „dass während des Krieges über zwei Millionen Menschen vertrieben worden sind, dann heißt das, dass wir alles daran setzen müssen, dies Unrecht rückgängig zu machen.“
Wenn Serben in die Republika Srpska oder Bosniaken in die muslimisch dominierten Gebiete in Zentralbosnien zurückkehren wollten, gab es schon gleich nach Kriegsende keine unlösbaren Probleme. Kopfzerbrechen machte jedoch die „Minoritätenrückkehr“. Wie schafft man es, Bosniaken ins von Serben beherrschte Foca und Serben in das muslimisch dominierte Sarajevo zurückzubringen? Petritsch setzte die „Eigentumsgesetze“ in den Parlamenten des Landes durch. Mit diesen Gesetzen werden die ursprünglichen Wohnungs- oder Hauseigentümer in die Lage versetzt, ihr Eigentum wieder in Besitz zu nehmen. So hoffte er, die Leute zu motivieren, wieder in ihre ursprüngliche Heimat zurückzukehren. Wer in der Wohnung eines Vertriebenen wohnt, muss raus, um dem Eigentümer Platz zu machen.
Was man jedoch nicht richtig bedachte, war, dass lediglich die Alten, die Pensionäre, die sich keine andere Wohnung leisten konnten, zur Rückkehr in ihren Heimatort gezwungen sind. Viele jüngere Leute dagegen nehmen zwar den Besitztitel gerne an, setzen aber alles daran, ihr Eigentum anschließend zu verkaufen, um in einer Region „ihrer eigenen“ ethnischen Gruppe wieder eine Wohnung oder ein Haus zu erwerben. Serben tun dies in Sarajevo und Bosniaken in der Republika Srpska. Die durch den Krieg entstandenen und von Nationalisten wie Karadžić gewollten ethnischen Trennungen der früher multiethnischen Gesellschaft sind trotz aller erzielten Fortschritte noch immer nicht überwunden.
ERICH RATHFELDER berichtet als taz-Auslandskorrespondent aus den Balkanstaaten. Sein Büro befindet sich in Split.
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