Ruby Rebelde über Prostitution: „Bei der Sexarbeit lernt man schnell, wie man Nein sagt“
Ruby Rebelde reizt am Sado-Masochismus, ein Machtverhältnis mit einem sexuellen Lustgewinn aufzulösen. Zwangsouting kostete Rebelde einen Job.
taz: Ruby Rebelde, warum sind Sie BDSM-Sexarbeiter*in geworden?
Ruby Rebelde: Ich brauchte Geld. Ich habe in der Landwirtschaft gearbeitet, noch vor Mindestlohnzeiten. Mit 42 Wochenstunden für fünf Euro irgendwas kommt man nicht weit, wenn man ein paar Tausend Euro Bafög-Schulden zurückzahlen muss. Deswegen brauchte ich einen zusätzlichen Job, der flexibel sein musste und nicht viel Zeit in Anspruch nehmen durfte.
taz: Wie hat sich dadurch Ihr Verhältnis zu Sexualität verändert?
Rebelde: Ich konnte so Dinge ausprobieren. Ich war schon immer eher offen, was das Thema anbelangt, aber fand es trotzdem schwierig, über Sexualität zu sprechen, weil das nichts ist, was man in der Gesellschaft vermittelt bekommt. In der Sexarbeit lernt man sehr schnell, wie man nonverbal und verbal Konsens ausdrückt, oder auch Nein sagt.
taz: Haben Sie gleich mit BDSM begonnen?
Rebelde: Ich hab’ erst in einem Sexclub in Berlin gearbeitet. Bei den Partys nehmen dort auch einige Leute bezahlt teil. So soll sichergestellt werden, dass Leute, die sexuelle Kontakte suchen, zumindest in der Theorie auch welche finden können. Ich war aber nicht dazu verpflichtet, auf diesen Partys zu vögeln. Das Coole an den Partys ist, dass es planbares Geld ist. Für meine Schulden war das super. Bei der Sexarbeit, wie Escort und BDSM, ist das Einkommen nicht planbar. Man weiß nie, wie viele Leute eine Session buchen.
taz: Was reizt Sie an der BDSM-Sexarbeit?
Rebelde: Dass Macht dort ganz explizit verhandelt wird. In der Gesellschaft spielt Macht oft eine Rolle, ohne dass wir sie benennen. Beim BDSM ist das anders: Die Rollen sind klar zugeschrieben, man redet darüber und handelt es miteinander aus. Auch die Idee, das Machtverhältnis mit einem sexuellen Lustgewinn aufzulösen, finde ich megacool.
taz: Haben Sie in ihrem Umfeld offen kommuniziert, dass sie Sexarbeit leisten?
Rebelde: Ich bin 2015 unfreiwillig geoutet worden. Das hat sich krass auf meine persönliche Situation ausgewirkt. Leute haben mich gemieden, Sachen über mich erzählt, auf die Rückscheibe meines Autos „Schlampe“ oder „Hure“ geschrieben. Einmal sind mir sogar die Reifen zerstochen worden.
taz: Was hat das mit Ihnen gemacht?
Rebelde: Es hat mich einfach wütend gemacht. Ich habe dann Gespräche gesucht und gefragt, was eigentlich das Problem daran ist, aber darauf gab’s keine Antwort. Das Outing hat dazu geführt, dass der Träger mir keine Aufträge mehr gab – ich hab’ damals tiergestützte Therapien für Kinder und Jugendliche angeboten. Als ich versuchte, mich bei der Landes-Antidiskriminierungsstelle zu beschweren, hab’ ich eine ganz bescheuerte Antwort bekommen: Ich sei ja nicht als Prostituierte geboren, sondern hätte es mir selbst ausgesucht. So nach dem Motto: selber schuld.
taz: Haben Sie danach ohne Pause weitergemacht?
Lesung und Gespräch zu dem Buch „Warum sie uns hassen. Sexarbeitsfeindlichkeit“, 20. 10.,19:30 Uhr, TheaterBremen, Goetheplatz 1–3, Eintritt frei, außerdem am 20. 11. in Hamburg (Ort noch unbekannt)
Rebelde: Musste ich ja – dass es mit meinem anderen Job so nicht weitergehen würde, war schnell klar. Also musste ich entweder woanders ganz neu anfangen oder Vollzeit Sexarbeit machen. Irgendwie musste ich mein Geld ja verdienen.
taz: Ist die Diskriminierung von Sexarbeit in den letzten Jahren weniger geworden?
Rebelde: Nein, es hat sich durch den Backlash, den wir gerade erleben, verschlechtert.
taz: Was genau meinen Sie?
Rebelde: Wir haben gerade ein Erstarken von konservativen Vorstellungen über Sittlichkeit und Moral. Das sieht man bei so Phänomenen wie Trad Wives oder auch daran, wie im Sommer über den Paragrafen 218 gestritten wurde. Da ist so viel transfeindliches und misogynes Potenzial drin, das wirkt sich voll auf uns aus. Im Namen von Schutz will man unsere Arbeit durch die Hintertür verbieten.
taz: Wie gehen Sie mit der Diskriminierung um?
Rebelde: Ich spreche sie offen an. Heute gehe ich bei manchen Dingen bewusst in den Widerstand. Aber es gibt auch Dinge, wo ich mit den Schultern zucke und sage, da muss ich auf meine Sicherheit achten.
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