Rot-rote Koalition in Mecklenburg-Vorpommern: Es geht auch ohne Liebe

In Mecklenburg-Vorpommern werden die Koalitionsverhandlungen so harmonisch inszeniert, als seien sie ein Werbespot für Kaffee.

Manuela Schwesig und Simone Oldenburg begrüßen sich mit Abstand

Sicher ginge es noch herzlicher. Aber muss das auch wirklich sein? Foto: Jens Büttner/dpa

Konflikte? Streit? Nein, so etwas habe es nicht gegeben sagt Ministerpräsidentin Manuela Schwesig über die Gespräche, bei denen ihre SPD und Die Linke ausbaldowert haben, wie sie Mecklenburg-Vorpommern in den kommenden fünf Jahren regieren wollen. Gleich in ihrem Eingangsstatement zur Präsentation des Koalitionsvertragsentwurfs Anfang dieser Woche erlaubt sie sich mit Blick auf ihre neue Partnerin „die Frau Oldenburg zu zitieren“, die am Anfang der ersten Verhandlungsrunde gesagt habe, ihr Wunsch sei, dass alle Vorhaben der kommenden Legislaturperiode „gemeinsame Vorhaben“ seien.

Also gemeinsam. Alles gemeinsam. Gemeinsam mit ihr und gemeinsam mit Simone Oldenburg, die bestimmt Bildungsministerin werden wird, gemeinsam von SPD und Linkspartei, gemeinsam mit den Bürgerinnen und Bürgern, gemeinsam mit der kommunalen Ebene, du ahnst gar nicht, wo überall sich das gute alte Adjektiv einfügen lässt, fast auf jeder Seite des Vertrags einmal und damit dreimal so oft, wie im großkoalitionären rot-schwarzen Vorgängerdokument.

„Hier“, schreibt die Schweriner Volkszeitung mit Blick auf die neue Partnerschaft, „haben sich offenbar zwei gefunden.“

Der Kommentar bemüht die Metapher der Liebesheirat: Von Anfang der Koalitionsverhandlungen an haben sich Manuela Schwesig und Simone Oldenburg als ein harmonisches Duo entworfen, als Partnerinnen. Und auch wenn die filmerfahrene Ministerpräsidentin (in dem späten DDR-Film „Verbotene Liebe“ von Helmut Dziuba aus dem Jahr 1990 spielte die damals 15-Jährige eine Nebenrolle) ihr darstellerisches Potenzial bei den Auftritten an der Seite der designierten Bündnispartnerin nicht abruft und die Inszenierung insgesamt eher hölzern bleibt: das Bild verfängt. Dass die Chemie stimme, war die Standardfloskel der Berichterstattung.

Wie das kommt, wo die zwei doch in der vergangenen Legislatur naturgemäß auf Konfrontationskurs waren, bleibt unerörtert, und was das bedeutet, erst recht. Die persönliche Übereinstimmung wird selbst zum Sujet, einem Claim, der auch Kaffeewerbung sein könnte: Rot-rote Koalition – wunderbar!

Es gibt, wohlgemerkt, keine Anzeichen dafür, dass diese konstruktive Atmosphäre nur vorgetäuscht wäre. Sie erklärt das Tempo und ist entscheidend fürs Gelingen der Gespräche. Liebe, eine innige Freundschaft der zwei Frauen, die einander konsequent siezen und auch im Wahlkampf keine Neigung zu bratwurstigem Bierzeltdistanzverlust gezeigt hatten, war dafür nicht vonnöten.

Abschied ohne Schmerzen

Sich von einer schon vor der Wahl quengeligen und immer wieder mit Nazikontakten auffälligen CDU zu trennen, kann Schwesig keine schlaflosen Nächte bereitet haben. Und dazu politische Angriffe persönlich zu nehmen, hatte ihr Oppositionspolitikerin Oldenburg höchstens 2019 mal Gelegenheit gegeben: dass die Schwesigs ihre Kinder lieber auf eine Schule in freier Trägerschaft schicken, hatte die Ministerpräsidentin damals umgehend als rein private Entscheidung gelabelt.

Umgekehrt ist für Die Linke die Machtbeteiligung eine Art Rettung vorm Untergang. Woher ihr Wahldebakel in Mecklenburg-Vorpommern rührt, ist so ohne Weiteres rational nicht zu erklären. Sie hatte hier ja fast alles anders als im Bund – sprich: richtig gemacht. Gleich nach der Wahl war 2016 die Spitze erneuert worden: Landestochter Simone Oldenburg, Grundschulrektorin, löste den Apparatschik Helmut Holter ab.

Versierte Bildungspolitikerin, strukturierte Fraktionsvorsitzende, innere Streitigkeiten befriedet, die CDU-Skandale angeprangert, die sachliche Krisenarbeit mitgetragen – trotzdem abgestraft mit knapp über 11 Prozent bei der Wahl; da kann man doch fast verzweifeln. Aber dann … Also, sie sei überrascht gewesen und habe sich über den Anruf gefreut, hat Oldenburg gesagt, mit dem Frau Schwesig ihr die Juniorpartnerschaft antrug, sehr sogar.

Die Demut, mit der Die Linke in die Regierungsbildungsvorbereitung sich einschmiegt, hätte die SPD nur mit einem herrischen Auftreten kaputtmachen können.

Aber Unterwerfungsrituale sind Teil einer Machokultur. „Vielleicht spielt es eben doch eine Rolle, dass zwei Frauen verhandelt haben“, so die ehemalige Bundesministerin, „dafür, dass es nicht ganz so poltrig zugegangen ist.“ Souverän ist, wer sich nicht immer beweisen muss, der Policy-Dictator zu sein. Die Linie des Koalitionsvertrags heißt – dem Wahlergebnis angemessen: Weiter so. Mit besserem Gefühl.

Der Feind steht rechts

Inhaltlich starke Differenzen zu einem Koalitionsvertrag mit der Union gibt es dagegen nur zwei: Beim Kampf gegen politischen Extremismus fehlt die für Christ­de­mo­kra­t*in­nen obligatorische Beschwörung des Hufeisens. Stattdessen steht da nun der empirisch gedeckte Satz: „Die größte Bedrohung für die demokratische Gesellschaft stellt nach wie vor der Rechtsextremismus dar.“

Und, das ist eine echte Setzung, zum NSU-Komplex wird ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss eingerichtet, der zudem „um das Thema rechtsextremes Netzwerk,Nordkreuz' erweitert“ werden soll. Dagegen hätte sich die CDU ganz sicher gewehrt.

Schwesigs Wiederwahl ist für Montag geplant. Zuvor, nämlich am Freitagabend nach Redaktionsschluss und Samstag, wird der Koalitionsvertrag durch die beiden Parteitage hindurchgegangen sein wie ein angewärmtes Messer durch die weiche Butter fürs Frühstückscroissant.

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Dieser Artikel stammt aus dem stadtland-Teil der taz am Wochenende, der maßgeblich von den Lokalredaktionen der taz in Berlin, Hamburg und Bremen verantwortet wird.

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