Rosa Schwestern verlassen Berlin: Da hilft nun kein Beten mehr

Nach über 80 Jahren verlassen die Steyler Anbetungsschwestern ihr Kloster im Berliner Westend. Der Grund sind Nachwuchsprobleme.

Ihren Spitznamen verdanken die rosa Schwestern ihren Kutten, die eher knallpink als zartrosa sind Illustration: Sebastian König

BERLIN taz | „Venite adoremus Jesum“ steht über der Tür der Kirche des Klosters St. Gabriel im Berliner Westend: „Kommt, lasst uns Jesus anbeten“. Anbauten aus rotbraunen Klinkersteinen rahmen die weiße Fassade des Kirchenschiffs. Es ist ein sonniger Januartag, vor dem Kloster flanieren Menschen mit Windhunden, Fellkapuzen und vollen Einkaufstüten über den Wochenmarkt. In der Nacht hat es geschneit, die Baumkronen sind noch weiß. Auf dem angrenzenden Pausenhof machen Kinder eine Schneeballschlacht, ein Vater zieht seinen Sohn auf einem Holzschlitten vorbei, vor den Stufen des Klosters trinken Menschen Glühwein.

Die Ordensfrauen im Innern bekommen von alldem nichts mit. Es ist still, als ich mich durch die schweren Holztüren in den Vorraum der Klosterkirche schiebe. Erst als ich auch die Glastür öffne, kann ich die Schwestern hören: Hinter einem Eisengitter, von den Be­su­che­r*in­nen abgeschottet, sitzen sie auf ihren Gebetsbänken und singen leise vor sich hin. Auf den Besucherbänken im vorderen Drittel der Kirche kniet ein Mann, die Hände vor dem Gesicht gefaltet, und betet. Ansonsten ist die Kirche leer.

Sechs der elf rosa Nonnen, die noch im Kloster St. Gabriel leben, haben sich an diesem Freitagmittag zum Chorgebet versammelt. Ihren Spitznamen verdanken sie ihren Kutten, den Habits, die eher knallpink als zartrosa sind. Die Frauen gehören den Steyler Anbetungsschwestern an – benannt nicht nach ihrem Gespür für Mode, sondern der österreichischen Provinz, in der der Orden 1896 gegründet wurde. Niederlassungen gibt es auf der ganzen Welt: in Nord- wie Südamerika, auf den Philippinen und in Indien, in Polen, den Niederlanden und Deutschland.

In Berlin leben die Schwestern seit 1934, ihr Kloster ist der einzige Ort der Stadt, an dem noch die ewige Anbetung praktiziert wird: 7 Tage die Woche, 24 Stunden am Tag, sitzt mindestens eine von ihnen in der Klosterkirche und betet – seit Gründung der Berliner Niederlassung sind das über 700.000 Stunden. Das Kloster verlassen sie nur für Papstbesuche in Berlin, Arzttermine – und für ihre Corona-Impfungen.

Telefonnummer im Schaukasten

Vorsichtig schleiche ich durch die Reihen und suche mir einen Platz auf der anderen Seite. Eine ältere Schwester, neben deren Bank ein Rollator steht, schielt zu mir herüber. War ich zu laut? Hätte ich mich anmelden sollen? Muss ich mich hinknien? Ich fühle mich zurückversetzt in meine Schulzeit, als jeder Tag mit dem prüfenden Blick von Schwester Aloisia begann. An ihr kam nur vorbei, wer sich an die Kleiderordnung hielt: War der Rock zu kurz oder der Ausschnitt zu tief, ging es zurück nach Hause, umziehen.

Das katholische Mädchengymnasium, auf das ich ging, wird auch heute noch von Augustiner Chorfrauen betrieben, einige von ihnen waren meine Lehrerinnen. Dass ihr Glaube so stark ist, dass sie ihm alles unterzuordnen bereit sind, habe ich immer gleichermaßen bewundert und für befremdlich gehalten. Verstanden habe ich es nie. Damit scheine ich nicht allein zu sein: Vielerorts haben Orden Schwierigkeiten, neue Mitglieder zu finden. Auch das Kloster St. Gabriel in Berlin muss Ende des Monats schließen, im Februar werden die rosa Schwestern auf andere Steyler Orden verteilt. Die ewige Anbetung in Berlin ist dann nach über 80 Jahren zu Ende.

Das Chorgebet an diesem Nachmittag ist nach einer Stunde vorbei. Eine Ordensschwester bleibt sitzen, die anderen verlassen die Kirche durch die Seitentür, nicht ohne sich noch einmal nach mir umzudrehen. Als ich wieder vor dem Kloster stehe, sehe ich einen rosa Zettel im Schaukasten: „Wir wollen, dass unsere Schwestern bleiben!“ Um zu verhindern, dass das Kloster verkauft und die Ordensfrauen umgesiedelt werden, brauche es 15 neue Mitglieder. Interessentinnen sollen sich unter der angegebenen Nummer melden.

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Dieser Artikel stammt aus dem stadtland-Teil der taz am Wochenende, der maßgeblich von den Lokalredaktionen der taz in Berlin, Hamburg und Bremen verantwortet wird.

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