Roman von Seenotretterin: Rauslassen, was sich anstaut
Pia Klemp ist Seenotrettungsaktivistin, Anarchistin, Tierrechtlerin und schreiben kann sie auch. Ihr Roman über Seenotrettung ist ergreifend.
Es steht „Roman“ am Anfang, aber es ist wahrscheinlich keiner. „Lass uns mit den Toten tanzen“ von Pia Klemp ist zu nah dran an dem, was wirklich passiert ist, und das war, weiß Gott, genug. Das tauende Eis essen zu müssen, während in der Kühltruhe die Leichen liegen und Italien partout keine Hilfe schickt. Ein psychotischer Jugendlicher, der sicher ist, auf dem Küstenwachen-Schiff aufgefressen zu werden, und trotzdem dorthin umsteigen muss. Ein junger Mann, der nicht einmal mehr darum bittet, dass nach seinem ins Wasser gefallenen Freund gesucht wird, weil doch „jeden Tag so viele sterben“.
Es ist neu, noch immer, was die SeenotrettungsaktivistInnen im Mittelmeer tun, und nur schwer zu ermessen, was das mit ihnen macht. Wenn die Lage sich zuspitzt, wird ihr Tun für kurze Zeit grell ausgeleuchtet von der Weltpresse, was unter der Oberfläche liegt, wird dabei überstrahlt. Auch die Handvoll Dokumentationen, die es zum Thema schon gab, kamen nur bis zu einem bestimmten Punkt. Klemps Buch geht weiter, bis ganz nach innen. Die 36-Jährige war 2017 Kapitänin bei zwei Missionen der NGO Jugend Rettet.
Im August 2017 beschlagnahmt die italienische Justiz deren Schiff „Iuventa“. Ab November 2017 geht Klemp für vier Missionen zur NGO Sea-Watch, bis sie im Juni 2018 erfährt, dass die italienische Justiz gegen zehn der „Iuventa“-Besatzungsmitglieder ermittelt. Der Prozess ist noch nicht eröffnet. Nach Angaben der NGOs waren Klemps Missionen an der Rettung von etwa 5.000 Menschen beteiligt. Ihr drohen bis zu 20 Jahre Haft.
Der Roman schildert diesen Zeitraum von etwa zwei Jahren. Klemp, Anarchistin, Tierrechtlerin, fuhr einst das Schiff der Walschützer von Sea Shepherd durch die Antarktis, und schreiben kann sie auch noch. Dass nicht jeder Satz in „Lass uns mit den Toten tanzen“ sitzt, wenn etwa Steuermann Jeremy „Seemannslieder in der Verwesungsfäule der Fischerboote singt“, das macht gar nichts, weil sprachliche Faltenfreiheit gar nicht passen würde zu dieser Geschichte voller Besäufnisse, Hitze, Gestank, Wut und Sex, die breitbeinig daherkommt und schnell und offen.
Erzählen ohne Paternalismus
Es ist Klemp gelungen, und das ist vielleicht das Allerbeste an dem Buch, nicht mehr als kurze Blitze von Flugblatthaftigkeit in ihre Erzählung eingelassen zu haben. So ist dieses kein moralisierendes Pamphlet, sondern ein anarchischer Stream of Consciousness, der rauslässt, was sich anstaut, wenn man tut, was Klemp getan hat.
Sie feiert, dass es das Richtige war, und warum sollte sie auch nicht. Sie setzt sich selbst und denen, die mit ihr unterwegs waren, ein gar nicht so kleines Denkmal, und mit Sätzen wie „Wir wollen alles – bedingungslose Freiheit und absolute Verantwortung“ klingt sie dabei manchmal wie Nanni Balestrinis Autonomenprosa. Und das ist nicht das Schlechteste.
„Es ist viel einfacher, einen zu retten, als sich mit ihm auseinanderzusetzen. Darin war ich nie gut“, schreibt Klemp. Trotzdem kann sie von der radikalen Asymmetrie zwischen Rettern und Geretteten ohne Paternalismus erzählen. Sie schreibt ohne antidiskriminatorische Begradigungsformeln, die Flüchtlinge können passiv sein oder auch heldenhaft, sie schreibt von Annäherung und aufkeimender Freundschaft mit den Schiffbrüchigen, und ebenso von ihr als Frau, die auch abgestoßen ist von manchen Geretteten, die meist Männer sind, und das klingt dann so: „Die ganze Zeit schon stiert er mich aus der dusteren, verqualmten Ecke neben dem Spielautomaten an. Seine vergilbten Augäpfel leuchten schmierig im Dunkel und ein schiefes Grinsen ohnerlei Freude dümpelt in meine Richtung.“
Ganz wohl ist ihr dann damit natürlich auch nicht, und sie fragt sich, ob sie nicht doch ein „verkappter Rassist“ sei. Es liegt keine Pflichtschuldigkeit in dieser Frage, weil das Hadern ein organischer Erzählstrang ist, bis hin zum Nachdenken darüber, ob es womöglich so ist, dass Klemp von der Flüchtlingsrettung nicht mehr wegkommt, weil „ich Angst habe, was zu verpassen“.
„Lass uns mit den Toten tanzen“ ist im Augsburger Maro-Verlag erschienen. Der hat einst Bücher von Jack Kerouac und Charles Bukowski verlegt – beide hätten wohl ihre Freude, wenn sie „Lass uns mit den Toten tanzen“ noch lesen könnten.
Leser*innenkommentare
J_CGN
"bedingungslose Freiheit und absolute Verantwortung“
Das erste ist grundlegend nicht möglich, da durch die Bedingung der Anderen Freiheit immer bedingt sein muss.
Absolute Verantwortung kann es nur im Tahmen des eigenen selbst zurechenbaren Verhalten geben. Und dieses ist extrem eingeschränkt.
Insofern jeweils für sich bedingt und zusammen zumindest utopisch wenn nicht unereichbar.
vergessene Liebe
@J_CGN Naja.. sie argumentieren offensichtlich , ausgehend von `knallharten´ juristischen Definitionen in Respekt von "Freiheit" und "Verantwortung" ?
Es ist doch aber anzunehmen, das Frau Klemp den Satz formuliert hat im Angesicht der Herausforderung der direkten Situation die direktes Handeln/agieren erforderte, um ihren (sozialen) Idealen von Menschlichkeit und (global notwendiger) ökologischer Verantwortung so etwas wie Erfolg zu bescheren?
Die Einschränkung Absoluter Verantwortung (idealistisch/utopischer Haltungen) geschieht doch , irgendwie Entmündigend (!) durch paternalistische Machtautorität?
Hmm? ..das Utopie erreichbar ist.. das erzählt die Existenz von "GREENPEACE" oder heutzutage "fridays for Future" .. oder sogar die Existenz der TAZ ! (..um nicht von den "GRÜNEN" zu reden..)
Irgendwie "diktiert" der bedrohliche Zustand der Welt die `Utopien´ der Weltrettung ? ..gegen das "Subjektive Unbehagen"..(?)
Frau Klemp ist m.E. eine wesentliche Person objektiv humanen Handlungswillens , eine Frau , die ihre eigene Sicherheit sekundarisierend , u.A. als NGO Lebensretterin , mit ihrem team im Mittelmeer vielen Menschen das Leben ermöglichte ! Ihr `unerreichbare` Utopie anzudichten geht an der Wahrheit vordei...
05158 (Profil gelöscht)
Gast
Hoch erfreut, das es solche Frauen gibt!
Hoffen wir, das die Dunkelziffer noch viel höher ist.
...fuhr einst das Schiff der Walschützer....
Da bin ich sowas von begeistert!(die Fähigkeiten muss "man" ja auch erst mal haben.)
Weg von diesem ganzen Style, Shopping ,Maniküre, Pediküre und wie dieser Scheiß sonst noch heißt(das tut gut..)
vergessene Liebe
Ja, herrlich..! Frau Klemp `erscheint´.. -weil ich der Reszension von Kristian Jakob vertraue- eingängig und in klarer Sprache formuliert zu haben.. ein Werk geliefert zu haben.. eine "notwendige Literatur" um die Jugend des "Fridays for Future" , primär den jungen Frauen und Mädchen zu `humaner Furchtlosigkeit´ in der Eroberung des Guten in der bedrohten Zukunft unseres Planeten zu motivieren!
76530 (Profil gelöscht)
Gast
Eine streitbare Frau, die sich offenbar nicht vereinnahmen lässt. Jedenfalls nicht von den Falschen.
Unsere Welt braucht mehr solcher Menschen, Frauens wie Männers.
88181 (Profil gelöscht)
Gast
@76530 (Profil gelöscht) Da schließe ich mich mal an.