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Roman von Michel HouellebecqProvokation von rechts

„Literarischer Selbstmord“? In Michel Houellebecqs Fiktion des Jahres 2022 dominieren der Front National und die Muslimbrüder Frankreich.

Der Skandal-Autor im Sommer 2014 in Madrid. Bild: dpa

Schon vor der Publikation des Buchs „Soumission“ am Mittwoch in Frankreich (Deutsch: „Unterwerfung“, ab 16.1. im Handel) hat eine Polemik über Michel Houellebecqs sechsten Roman begonnen. Diskutiert wird darüber weniger auf Kulturseiten oder in Literaturmagazinen als in der Rubrik Politik.

Mit seiner politischen Fiktion hat Houellebecq, der meistgelesene französische Schriftsteller der Gegenwart, in ein Wespennest gestochen. Frankreich reagiert empfindlich, der Autor selber kommt nicht ungeschoren davon, auch wenn er behauptet, er habe die Kontroverse nicht vorsätzlich ausgelöst.

Wenn er nicht provozieren wollte, hätte er sich besser ein anderes Thema ausgesucht. Denn in Houellebecqs politischer Vision ist Frankreich 2022 heruntergewirtschaftet, verängstigt und reif für die Machtübernahme durch eine Muslimbruderschaft, nach den Präsidentschaftswahlen am Ende einer absolut katastrophalen Amtszeit von François Hollande. Der islamistische Kandidat gewinnt gegen Marine Le Pen vom Front National dank der Unterstützung der resignierten linken und bürgerlichen Mitte sowie der konformistischen Medien.

Das aber ist nur der Hintergrund der Geschichte eines Professors, dessen Hauptinteresse Joris-Karl Huysmans gilt, einem Schriftsteller der Dekadenz am Ausgang des 19. Jahrhunderts. Am Ende des Romans konvertiert Professor François zum Islam wie Huysmans einst zum Katholizismus. Bei Houellebecq wird die Unterwerfung zur Anpassung aus Bequemlichkeit und sexueller Lust.

Die Rechten in der Literatur

Allein schon die Polemik über diese Fiktion, auf deren Glaubwürdigkeit Houellebecq „in ein paar Jahrzehnten“ pocht, gibt dieser politischen Vision eine Realität, ein Eigenleben und explosive ideologische Wirkung. Laurent Joffrin, Chef der Zeitung Libération, die dem Buchereignis im Voraus fünf Seiten gewidmet hat, erklärt, warum bei ihm die Lektüre ein „Malaise“ auslöst: „Das Erscheinen von ’Soumission‘ ist nicht nur ein literarisches Ereignis, das nur mit ästhetischen Kriterien bewertet werden kann. Nolens volens hat dieser Roman eindeutig eine politische Resonanz. […] Er markiert in der Geistesgeschichte das Datum, an dem die Ideen der extremen Rechten – wieder – in die hohe Literatur eingedrungen sind.“

Eine Kritikerin von Mediapart befürchtet, damit begehe Houellebecq „literarischen Selbstmord“. Andere meinen wie Le Temps schlicht, er habe die Grenzen des Erträglichen erreicht.

Natürlich darf sich Houellebecq auf seine uneingeschränkte dichterische Freiheit berufen. Wieso soll es verboten sein, sich auszumalen, dass eine religiöse Partei in einer ausgesprochen weltlichen Republik obsiegen könnte? Wie immer stellt Houellebecq voller Sarkasmus infrage, was den französischen Intellektuellen und Medien in ihrer eigenen Verlogenheit als politisch oder sexuell korrekt gilt.

Islamophobe Ressentiments

Nicht weniger falsch tönt indes Houellebecqs Rechtfertigung, der in einem Interview des Nouvel Obs lustig sagt: „Ich tue, wie wenn das politisch Korrekte nie existiert hätte.“ Im vorliegenden Fall kitzelt er mit offenkundiger Freude islamophobe Ressentiments hervor. Aber auch den literarisch Gebildeten unter den Pegida-Demonstranten dürfte „Soumission“ als Horrorerlebnis zur Bettlektüre gereichen.

Die „Satire“ hat auch nach Meinung des französischen Medienjournalisten Daniel Schneidermann schon vor dem Erscheinen ihre Unschuld verloren: „Unter dem Deckmantel einer verführerischen Schilderung des ’gemäßigten Islam‘ und der Vorzüge, die dessen Sieg über seinen Erzfeind, die abgehalfterten libertären 68er à la Libé, hätte, verwendet Houellebecq als Treibstoff die islamophobe Angst.“

Die geistige Nähe zur reaktionären Rechten sehen viele in Houellebecqs nihilistischem Kulturdefätismus begründet, der wie ein morbides Echo zu den rassistischen Endzeitängsten tönt und die „Islamisierung“ als unausweichliches Schicksal erachtet. „Heute ist der Atheismus tot, die Laizität ist tot, die Republik ist tot“, dekretiert Houellebecq. Die extreme Rechte nimmt Houellebecqs enorme Provokation beim Wort und applaudiert.

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8 Kommentare

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  • "Ein Mohammed Ben Abbes wäre im Élysée-Palast aber undenkbar, weil heute unter den französischen Spitzenpolitikern kein einziger Muslim ist. Das sagt viel über die hermetische Pariser Elite."

    Quelle: http://derstandard.at/2000009993647/Michel-Houellebecq-Ein-Nihilist-und-seine-provokante-Vision-des-Islam

  • 9G
    970 (Profil gelöscht)

    Houellebecq hat sich dem Thema "Islam" doch bereits in "Plattform" angenommen. So, wie er in diesem Roman die Angst vor Terroranschlägen spiegelte, spiegelt er hier die Angst vor der "Islamisierung".

     

    Wenn Literatur irgendwie wirken oder bestehen möchte, irgend einen Sinn haben soll - dann muss sie so sein. Provozieren, zur Debatte anregen und auch einmal so richtig scheiße sein. Dass Houellebecq einer ist, dem das alles am Allerwertesten vorbeigeht, solang die Kasse klingelt, macht ihn um so relevanter für unsere Zeit.

  • 2G
    2097 (Profil gelöscht)

    Was wird denn von einem nihilistischen Romanautor auch anderes erwartet? Ich hätte mich auch sehr gewundert, wenn Houellebecq ein Buch geschrieben hätte, wo er sich zum Apologeten der Menschenrechte entwickelt hätte. Houellebecq ist halt kein Voltaire

  • Bei so viel Ablehnung durch die veröffentlichte Meinung wird das bestimmt ein Bestseller.

  • Verstehe nicht, was an diesem Buch Provokation sein soll. Ich sehe darin keine Dystopie, sondern im Gegenteil einen positiven Ausblick auf die Zukunft: Nachdem alle politischen und gesellschaftlichen Entwürfe der Moderne mit mäßigem Erfolg durchprobiert wurden, endlich alle nervenzehrenden, ermüdenden Auseinandersetzungen hinter sich lassen.

    Sich zurückfallenlassen in die Arme des Allerhöchsten. Konformität statt auf Dauer unglücklich machendem narzisstischem Individualismus. Erfüllung im Dienen. Selige Regression.

  • Neben "Elementarteilchen" und "Karte und Gebiet" ist bei mir sicher noch Platz im Schrank.

  • Habe mich schon lange nicht mehr so auf ein Buch gefreut wie auf dieses. Bin sehr gespannt.

     

    Jetzt fehlt nur noch, dass die oberste Literaturkritikerin im Lande sagt, das Buch sei "nicht hilfreich", dann wird's definitiv zum Bestseller.

  • Warum wird der Kritik am Islam immer "Rassismus " unterstellt ? Kritisiert wird die Religion - oder eine bestimmte Auslagung der Religion - als solche... egal ob es sich bei den Muslimen um Araber, Afrikaner oder europäische und amerikanische Konvertiten handelt. Ich denke mit dem Begriff "rassistisch" soll jegliche Kritik am (Islam)ismus dikreditiert werden.