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Roman über Eroberung AmerikasDie Welt als stinkendes Irrenhaus

„Die Eroberung Amerikas“ heißt der neue Roman von Franzobel. Der Österreicher erzählt darin in wüsten Szenen von einem erfolgsverwöhnten Konquistador.

Der spanische Konquistador Hernando de Soto kommt in Florida an. Kupferstich von James Smillie Foto: imago

Wenn ein neuer Roman, der sich vom Restwerk eines Schriftstellers deutlich abhebt, bei Publikum und Kritik gut ankommt, liegt es nahe, dass der Bejubelte auf dem ästhetischen Pfad, den er eingeschlagen hat, auch künftig weiterzugehen versucht.

Der österreichische Schriftsteller Franzobel, der mit bürgerlichem Namen Franz Stefan Griebl heißt, ist ein fleißiger, äußerst vielseitiger und streitbarer Autor. Er schreibt derbe Satiren auf sein Heimatland, veröffentlicht Trashkrimis, provoziert mit Theaterstücken, parodiert erotische Literatur, versteht sich bei allem schrägen und angriffslustigen Humor dennoch und vor allem als Humanist.

Franzobel unterhält dabei ein breites Publikum und hat für sein Werk zahlreiche renommierte Auszeichnungen erhalten, etwa den Ingeborg-Bachmann-Preis, die Brecht-Medaille und den Arthur-Schnitzler-Preis.

Zuletzt erschien sein historischer Roman „Das Floß der Medusa“, der auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises stand und für den der Autor den Bayerischen Buchpreis erhielt. Darin erzählt der Autor vom hohen moralischen Preis, den die wenigen Überlebenden einer Schiffskatastrophe Anfang des 19. Jahrhunderts zu zahlen hatten. Mit diesem historischen Roman betrat Franzobel in formaler, aber auch inhaltlicher Weise literarisches Neuland. Ernster wirkte die Prosa, auch wenn die Komik nicht zu kurz kam. Die aktuellen Bezüge konnten herausgelesen werden, waren aber nicht ausbuchstabiert.

Nach wahren Begebenheiten

Sein neues Werk trägt den Titel „Die Eroberung Amerikas“ und am Anfang des Buchs, das Franzobel einen „Roman nach wahren Begebenheiten“ nennt, steht ein Porträtbild. In glänzender Rüstung präsentiert sich der spanische Konquistador Her­nan­do de Soto. Sozusagen ein Eroberer, wie er im Buche steht. Unter dem Bild ein Zitat von Joseph Conrad aus seinem Roman „Herz der Finsternis“: „Eroberer haben sich noch nie mit Ruhm bekleckert.“

Das gilt auch und vor allem für die Hauptfigur in „Die Eroberung Amerikas“, die Franzobel auf gut Deutsch Ferdinand Desoto nennt. Damit markiert der Autor eine gewisse Distanz zum historischen Vorbild, auch wenn die Eckdaten übereinstimmen, wie Franzobel im Nachwort versichert. „Natürlich handelt es sich hier um einen Roman, manchmal habe ich geflunkert, und einiges erfunden, aber grundsätzlich wollte ich die Geschichte möglichst wahrhaftig erzählen.“ Was aber bedeutet „Wahrhaftigkeit“ in diesem Zusammenhang?

Das Spektakel gleicht, so nennt es der Autor, einem früh­neuzeit­lichen Casting mit gestrenger Jury

Mit jener „Geschichte“ ist eine der größten Expeditionen des 16. Jahrhunderts gemeint: 1538 gab die spanische Krone dem Kriegshelden Desoto den Auftrag, La Florida „zu erobern, zu bevölkern und zu befrieden“. Florida war im damaligen Sprachgebrauch das gesamte Land nördlich von Mexiko. Schon vor der großen Florida-Reise hatte Desoto viel erreicht. Er war bereits bei der Eroberung Panamas und Nicaraguas dabei, und zusammen mit dem besonders rücksichtslosen Francisco Pizarro führte er im heutigen Peru blutige Schlachten gegen das Volk der Inka.

Zwischenzeitlich ließ sich Desoto in Sevilla nieder, heiratete eine ungeliebte Frau aus einer reichen kastilischen Familie mit guten Verbindungen zum spanischen Königshof. Desoto war zu dieser Zeit also ein vermögender und bekannter Mann, doch er hatte wohl Angst vor „Lebensstumpfsinn und Bedeutungslosigkeit“, wie Franzobel es formuliert. Es gab also viele Gründe, die Heimat zu verlassen und ein weiteres Abenteuer zu erleben.

Ruhmsucht und Größenwahn

Ruhmessucht und Größenwahn lassen aufkommende Zweifel schnell wieder verschwinden. Sehr bildreich beschreibt Fanzobel die Vorbereitungen der Expedition: Seeleute mit den unterschiedlichsten Lebenswegen werden eingestellt, naive Glücksritter, gesuchte Banditen und windige Geschäftemacher. Köche, Soldaten, Priester und Schriftgelehrte werden rekrutiert. Das Spektakel gleicht, so nennt es der Autor, einem „frühneuzeitlichen Casting mit gestrenger Jury“.

Parallel zur Expedition, die von Gomera nach Kuba und schließlich über Florida in die heutigen Südstaaten der USA führt, erzählt Franzobel die Geschichte eines Gerichtsverfahrens, das im Hier und Jetzt angesiedelt ist.

Ein New Yorker Anwalt klagt im Namen aller indigenen Stämme gegen die Vereinigten Staaten und verlangt radikale Wiedergutmachung für historische Verbrechen: „Sie bezichtigten die USA der illegitimen Landnahmen, wollten eine Rückgabe des gesamten Bundesgebietes – und zwar einschließlich Alaska und Hawaii sowie aller beweglichen und unbeweglichen Güter.“

Der Österreicher Franzobel gilt als äußerst vielseitiger und streitbarer Autor Foto: Julia Haimburger

Der zuständige Richter hält das Verfahren für „völlig idio­tisch“, doch Franzobel nutzt seine literarischen Freiheiten und lässt den Ausgang des Prozesses durch ein paar juristische Winkelzüge keineswegs eindeutig erscheinen. Trotzdem wirkt dieser Handlungsstrang nicht überzeugend.

Ungerechtigkeit der Eroberungsfeldzüge

Die Aktualität der historischen Ereignisse, die unfassbare Ungerechtigkeit der Eroberungsfeldzüge, die auch bis heute nachwirken, hätten nicht durch diesen etwas dünnen Jura-Klamauk illustriert werden müssen. Ohnehin krankt der Roman ein wenig an Überdeutlichkeit. Was vor allem an einer Erzählerinstanz liegt, die als eine Art allwissender Moderator zwischen den Ebenen hin und her schaltet.

Manchmal geht es direkt von einem Geburtsbett in den Gerichtssaal: „Es war ein Junge, der zu Ehren Desotos den Namen Ferdinand erhielt. Lassen wir den Leuten Zeit, sich an diesem Säugling zu erfreuen, und schauen wir, wie es um die Restitution der USA an die Indianer steht.“

Gerade diese Übergänge des zwar politisch nicht immer korrekten, dann aber doch moralisierenden Bänkelsängers sind nicht besonders elegant. Das wollen sie auch nicht sein. In diesem Roman sollen die Szenen nahezu ausnahmslos drastisch dargestellt werden. Ständig haben irgendwelche Leute Flatulenzen. Wenn etwas die Zeit der Eroberungsfeldzüge und die Welt der modernen Globalisierung verbindet, so scheinen es heftige „Darmwinde“ zu sein.

So plausibel es ist, die Welt als stinkendes Irrenhaus zu beschreiben, die fehlenden Nuancen werden auf der langen Strecke zum Erzählproblem. Denn so werden durchaus interessante Nebenfiguren, die sich zum ruppigen Sound hätten querstellen können, zu dekorativen Farbtupfern im ansonsten blutrot eingefärbten Schlachtengemälde.

Sie kennen das Terrain besser

Desoto jedenfalls scheitert auf ganzer Linie. Weil sich die Spanier als Schlächter erweisen, wehren sich die Ureinwohner zunehmend. Sie kennen das Terrain besser und bewegen sich in den Sumpfgebieten geschickter als die schwerfälligen Besatzer. Die Truppe wird von Woche zu Woche dezimiert, die erhofften Reichtümer, etwa ein erträumtes „Goldland“, sind nicht in Sicht. Auch Wetterkapriolen, wilde Tiere und Krankheiten demoralisieren die stolzen Eroberer.

Das Buch

Franzobl: „Die Eroberung Amerikas“. Zsolnay Verlag, Wien 2021, 543 Seiten, 26 Euro

Dermaßen verschlungenen sind die Wege der Expedition, dass bis heute darüber gestritten wird, welche Orte Desoto tatsächlich aufgesucht hat. Kaum war der Mississippi entdeckt, stirbt der geschwächte Anführer. Und der Erzählergott fällt ein gnädiges Urteil: „Es waren Männer wie er, die der weißen Spezies und dem Christentum die Vorherrschaft über die Welt sicherten. Trotz der Schrecken, die seine Truppe verbreitete, war die Leistung dieser Leute übermenschlich.“

Warum Franzobel zum Schluss auch noch ein Loblied auf das männliche Durchhaltevermögen singt, ist schwer nachzuvollziehen. Im Nachwort gibt der Autor zu, ohne das beherzte Eingreifen des Verlegers wäre das Buch „bestimmt doppelt so dick geworden“.

Keine angemessene Form

Schon in dieser Fassung mit rund 550 Seiten gibt es leider Längen und Wiederholungen, vor allem viele grausame Szenen, die vergangene Gesellschaften durchaus realistisch beschreiben, in der Lektüre dann aber doch sowohl ermüdend als auch abstoßend sind. Vor allem wenn das Schlachten noch mit einer flapsigen Bemerkung garniert wird: „Am Ende des Scharmützels lagen zwölf Eingeborene tot am Boden. Kein guter Beginn für einen bilateralen Austausch.“

In seinem großen Roman „Das Floß der Medusa“ vermochte sich Franzobel in den entscheidenden Momenten des ebenfalls wüsten Stoffs sprachlich zurückzuhalten, um immer noch genug barock-böse Fabulierlust zu bieten. In seiner „Eroberung Amerikas“ findet er für den wahrlich interessanten Stoff aber keine angemessene Form. Der Prozess der indigenen Völker gegen die USA dauert in „Die Eroberung Amerikas“ genau so lange wie die Desoto-Expedition, nämlich viereinhalb Jahre.

Die Schlusspointe lässt den Romantitel noch einmal in einem anderen, nämlich aktuelleren Licht erscheinen. Doch das politische Wunschkonzert, das hier angestimmt wird, wirkt sehr bemüht. Wie eine matte Persiflage der Westernliteratur: „Hugh, sagten die Indianer. Die Menge applaudierte.“

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