Roman „Schöne Welt, wo bist du“: Macht des Banalen
Die irische Autorin Sally Rooney hat ihren dritten Roman veröffentlicht. Das Buch besticht durch seine Alltäglichkeit – und gibt dem Hype recht.
Es gibt Romane, bei denen es schwerfällt, dem Leser in wenigen Sätzen eine Vorstellung von der Story zu geben. Im Falle von Sally Rooneys „Schöne Welt, wo bist du“ könnte es nicht einfacher sein: Es geht um zwei junge Frauen im selben Alter – Anfang Dreißig –, die ihr Leben nach einer persönlichen Krise um eine mögliche Beziehung mit einem Mann neu strukturieren müssen. Alice, eine junge Erfolgsautorin, die, nebenbei gesagt, einige Ähnlichkeiten mit Rooney selbst hat, trifft Felix, einen Lagerarbeiter. Ihre Freundin Eileen geht eine zunächst unverbindlich wirkende Beziehung zu ihrem Kindheitsfreund Simon ein.
Rooney spielt nun das typische Beziehungs-Hickhack mit ihren Protagonisten durch. Soll man eine exklusive Beziehung führen? Liebt man sich wirklich? Soll man irgendwann Kinder haben? Auch die anderen Themenfelder, die Alice und Eileen beschäftigen, kennen Frauen ihres Alters zur Genüge: Am Rande dräut die Hochzeit der Schwester, geschwisterliche Eifersucht und die Klimaapokalypse.
Es ist kein Zufall, dass beide Frauen im Grunde wie ein und dieselbe Frau wirken. Eileen ist, jedenfalls an äußeren Maßstäben des Erfolgs gemessen, die weniger erfolgreiche Version von Alice. Alice hatte das Glück, für ihren ersten Roman eine unvorstellbar große Geldsumme zu erhalten und von da an als literarische Entdeckung gepriesen zu werden. Auch Eileen wurde von einer Agentin angesprochen, fühlte sich aber nicht im Stande, tatsächlich ein Buch zu schreiben. In Eileens Leben scheinen Beziehungsaspekte eine wichtigere Rolle zu spielen, während für Alice die erzwungene Einsamkeit und die Befreiung von intimen Beziehungen die Bedingung der Möglichkeit des Schreibens ist.
Der Roman besteht zu einer Hälfte aus dem E-Mail-Briefwechsel zwischen den Freundinnen, zur anderen Hälfte aus deren Interaktionen mit ihren jeweiligen Partnern. Die Freundschaft der Frauen, und das ist durchaus bedeutsam, scheint nur auf dem Papier (respektive auf dem Mailserver) zu bestehen. Auch andere Personen treten nur am Rande, meist in Form von Kurznachrichten, auf. Den klassischen Bechdel-Test würde der Roman nicht unbedingt bestehen, da die Frauen nie in Gespräche verwickelt sind, die nicht direkt oder indirekt um die Männer in ihrem Leben kreisen.
Wie philosophisch sind schon E-Mails?
Ihre E-Mail-Konversationen sind streng genommen natürlich Monologe. Neben Beziehungsproblemen verhandeln die Frauen auch den Kapitalismus, das Ende der Geschichte und Fragen der Ästhetik. Man könnte nun böse sein und sagen, dass die Tiefe und Ernsthaftigkeit, mit der Alice und Eileen über den Untergang von Kulturen und den Verfall des Sinns für Ästhetik nachdenken, auf Instagram-Bildkachel-Format geschrumpfte Philosophie ist, obwohl sie durchaus große Begriffe bemühen. Dass der Text also vorgibt, deep zu sein, wo er eigentlich eher flach dahinplätschert.
Sally Rooney: „Schöne Welt, wo bist du“. Roman. Aus dem Englischen von Zoë Beck. Claassen Verlag, Berlin 2021, 352 Seiten, 20 Euro
Dieses Problem ergibt sich aber aus der Ebene des Formalen – wie philosophisch wird man schon im Rahmen einer E-Mail an eine Freundin? Und weil Rooney all die genannten gesellschaftspolitischen Fragen entlang des Beziehungsthemas abhandelt, findet das Gespräch über das Politische keinen angemessenen Darstellungsrahmen. Das sieht auch Alice ein: „Und während die Welt so ist, wie sie ist, und die Menschheit sich an der Schwelle ihrer Auslöschung befindet, mittendrin in alldem, sitze ich hier und schreibe schon wieder eine Mail über Sex und Freundschaft. Aber wofür sonst soll man leben?“
Um dieses Problem kreist die Autorin mit ihrem Text: Beziehungsfragen sind banal. Die Lage der Welt ist katastrophal. Wer kann die Frage beantworten, wie sich da noch ein höherer Sinn finden lassen soll? Ganz klar, die Literatur. Sie tritt an die Stelle einer göttlichen Autorität, auf die sich Simon, Eileens Freund, im Text beruft.
In Gestalt von Alice aber spricht Rooney über die Gegenwartsliteratur ein vernichtendes Urteil aus, eben weil sie normale Menschen abwerte. Am Rande gesagt geht es dabei nicht etwa nur um die Abwertung gewöhnlicher Leute, sondern auch um die Abwertung des Rooney-Bestsellers „Normale Menschen“ durch Teile des literarischen Establishments.
Anklage an die Gegenwartsliteratur
Alice wird nicht müde zu betonen, „wie zutiefst philosophisch falsch das derzeitige System der literarischen Produktion wirklich ist“. Und sie wird noch deutlicher: „Das Problem des euro-amerikanischen Gegenwartsromans besteht darin, dass die Grundlage seiner strukturellen Integrität die Verdrängung der gelebten Realität der meisten Menschen auf der Erde ist.“ Man kann das als poetologische Ansage lesen, oder auch als Versuch, von vornherein die erwartbare Kritik am Roman, dass er schon wieder von letztlich lapidaren Beziehungsfragen handelt, zu parieren.
Die Banalität auch von „Schöne Welt, wo bist du“ besteht tatsächlich darin, dass wir Geschichten wie diese hundertfach gelesen haben. Andererseits könnte man sagen – und genau das tut Rooney –, dass es im Leben normaler Menschen kaum etwas Bedeutsameres gibt, als die Frage nach dem guten Leben mit einem guten Menschen.
Eine Literaturkritik, die das per se als banal und literaturunwürdig oder gar kitschig abtut, muss sich zu Recht den Vorwurf gefallen lassen, dass sie dünkelhaft urteilt. Zumal hier womöglich eine Gender-Bias hineinwirkt – wenn eine Frau über Beziehungsfragen schreibt, dann ist das banal. Wenn ein Mann es tut, ist es Anna Karenina, mindestens.
Man kann nüchtern anerkennen, dass Rooney großartige Dialoge und Liebesszenen schreibt. Ihre Figuren sind sound, wie der Engländer sagt. Stimmig, sie fühlen sich richtig an. Es gibt ja nichts Schlimmeres, als Romane über normale Menschen, in denen man das Gefühl bekommt, eines dieser Kleinstadt-Wachsfigurenkabinette zu besuchen, in denen Hitler und Tom Cruise dasselbe Synthetik-Haarteil tragen. Man also überall vor Augen geführt bekommt, dass nichts echt und stimmig ist. Man kann einwenden, dass das Kriterium der Stimmigkeit nur auf die „reale“ Welt verweist und keine genuine literarisch-ästhetische Kategorie ist. Es ist aber für diese Art der Literatur ein entscheidendes Kriterium.
Herrlich gewöhnlich
Rooney Dialoge enthalten kein Wort zu viel, die Gesten am Rande sind exakt platziert – die Kaffeetasse wird im richtigen Moment auf den Boden geworfen, und das Klackern der Nägel der Hundepfoten erfüllt die Stille des Raumes zur rechten Zeit. In gewisser Weise sind die Dialoge sogar zu gut choreografiert, so als spiegelten sie die Seegewohnheiten der Generation Netflix eins zu eins – die Szenen stehen einem so deutlich vor Augen, weil man sie schon einmal gesehen hat. Es verwundert nicht, dass „Normale Menschen“ zur Vorlage für eine Serie wurde. Es braucht keine Übersetzungsleistung mehr. So erklärt sich Rooneys Erfolg auch damit, dass uns bestimmte Seh- und Lesegewohnheiten serienmäßig eingebläut wurden.
In diesem Sinne erinnert Rooney an jene Hip-Hop-Produzenten, die zuverlässig neue Hits landen, indem sie die minimal veränderte Version des mit Autotunes überfrachteten Vorgängersongs reproduzieren. Wenn eine Masche funktioniert, warum sollte man sie dann ändern? Insofern könnte es ein Fehler sein, dass Rooney mit den Verteidigungen aus dem Munde Alices ihr Erfolgsrezept rechtfertigt, statt es selbstbewusst zu reproduzieren.
Viel wichtiger ist die Frage, warum man diese Bücher, trotz ihrer banalen Figuren- und Versuchsanordnung, gerne zu Ende liest. Und das gilt längst nicht nur für die Generation der Zwanzig- oder Dreißigjährigen. Neulich staunte ich, als mir der 85-jährige Großvater meines Mannes erläuterte, er lese auf die Empfehlung einiger Bekannten (im selben Alter) nun Sally Rooney und sei entgegen seiner Erwartung sehr angetan. Er könne das Buch auch einmal eine Zeit lang beiseitelegen, er finde sich immer wieder hinein und könne gut folgen.
Rooneys Literatur ist barrierefrei, was sehr böse klingt, aber nicht böse gemeint ist. Rooneys Roman leistet, was ein Roman, gemessen an ihren eigenen Maßstäben, leisten muss: von gewöhnlichen Menschen mit gewöhnlichen Problemen zu erzählen. Auf angenehm gewöhnliche Art.
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