Roman „Ohrfeige“ von Abbas Khider: Eine Sachbearbeiterin wird gefesselt
Sein Roman „Ohrfeige“ dreht sich um den Wahnsinn im Alltag eines Asylbewerbers in Deutschland. Eine Begegnung mit Abbas Khider.
Manchmal vergisst Abbas Khider die Namen seiner Protagonisten. Oder er verwechselt sie miteinander. Das ist ihm schon vor Publikum passiert. „Wenn ein Roman abgeschlossen ist, dann verfolgt mich die Geschichte nicht weiter. Was vorbei ist, ist vorbei, und weiter geht’s.“ Er zuckt mit den Schultern, zieht an seiner Zigarette. Schneeflocken fallen langsam auf den strengen Dutt auf seinem Kopf. „Wenn ich die Vergangenheit ständig mit mir herumschleppen würde, wäre das Leben ja unerträglich!“
Nein, es hat nichts Tragisches, wenn Khider solche Sätze sagt. Denn sie enden jedes Mal auf ein herzhaftes Lachen. Überhaupt lacht der Schriftsteller oft und laut, und es ist nicht aufgesetzt zum Lückenfüllen, es kommt aus der Tiefe und es steckt an. Auch den Figuren in seinem neuen Roman „Ohrfeige“ gönnt Khider eine beachtliche Portion Humor.
Protagonist Karim Mensy etwa, 19 Jahre alt, gibt bei seiner Bewerbung um Asyl bei den bayerischen Behörden an, er habe im Irak während des Matheunterrichts einen Witz über Saddam Hussein und dessen Frau erzählt. Deshalb könne er nicht zurück. Die Geschichte ist ausgedacht. Aber: Wer kann ihm das schon nachweisen? Sein Antrag geht durch. Aber wieder: Was bedeutet das schon?
Anfang 2016 einen Roman zu veröffentlichen, der sich um das Leben von Asylbewerbern in Deutschland dreht, das klingt nach einem smarten Move. Doch für Khider ist das Thema ein altes, nicht nur weil er sich in den drei Werken vor „Ohrfeige“ schon mit Flucht, Widerstand und Exil beschäftigte. Der 1973 in Bagdad geborene Schriftsteller musste 1996 selbst seine Heimat verlassen, kam über Umwege 2000 ins bayerische Ansbach.
Er erhielt Asyl, tippte erste Kurzgeschichten auf einem der PCs, die früher in den Vorräumen vieler Sparkassen-Filialen neben den Geldautomaten standen. Dann studierte er Literatur und Philosophie und schrieb seinen ersten Roman „Der falsche Inder“ (2008) – auf Deutsch. Und mit einigem Erfolg. Seine ersten drei Bücher sind beim kleinen, ambitionierten Verlag Edition Nautilus herausgekommen, das aktuelle Buch erscheint nun beim renommierten Hanser Verlag.
Keine Zukunft in Deutschland
Vor drei Jahren begann Khider, der inzwischen in Berlin lebt, an „Ohrfeige“ zu schreiben. Dass das Buch gerade jetzt erscheint, wo alle Medien sich mit dem Thema Migration auseinandersetzen, ist also eher Zufall. Mit Interesse habe er die Berichterstattung des vergangenen Jahres verfolgt, doch all die Interviewanfragen im Sommer lehnte Khider ab. Zu konzeptlos erscheine ihm die Erzählung der neuen Willkommenskultur, zu lückenhaft die Berichterstattung.
Abbas Khider: „Ohrfeige“. Hanser, München 2016, 224 Seiten, 19,90 Euro
„Eine Sache, die ich nie verstehen werde“, führt Khider bei einem schwarzen Kaffee ohne Zucker aus, „ist, dass so viel über das Thema Flüchtlinge gesprochen wird, so viel über Integration, aber keiner spricht darüber, dass all diese Menschen irgendwann wieder gehen müssen.“ Für den Schriftsteller ist klar, dass, sobald Baschar al-Assad weg ist, ein Großteil der Syrer abgeschoben werden wird. „Das haben wir beim Balkankrieg erlebt und 2003 nach dem Irakkrieg auch. Für viele dieser Menschen wird es gar keine Zukunft in Deutschland geben.“
Eine Zukunft in Deutschland bleibt auch für die Figur Karim bis zuletzt nur Träumerei im Dunst der Haschischwolke. Zu viele Gesetze versperren ihm den Weg zum Sprachkurs, einer legalen Erwerbstätigkeit, einem normalen Leben. Am Anfang der Geschichte steht die titelgebende Ohrfeige, die Karim seiner Sachbearbeiterin Frau Schulz verpasst, nachdem er sie gefesselt und ihren rot geschminkten Mund mit Packband zugeklebt hat. Die Szene ist ein Hammer und wird so manchen Pädagogen dazu bewegen, das Buch empört zur Seite zu legen. Denjenigen aber, die es nicht tun, liefert Khider zutiefst traurige, ärgerliche, lebendige Szenen, die so schnell nicht in Vergessenheit geraten.
Der gefesselten Beamtin erzählt Karim seine Geschichte, bevor er eine weitere Flucht nach Finnland antreten will. Er erzählt davon, wie er drei Jahre zuvor aus einem Transporter kroch, sich in einem Vorort von Paris zu befinden glaubte, bis ihn die Beamten aufschnappten und ihm erklärten, er sei in Dachau. Er erzählt von der Routineuntersuchung, bei der ihm das sorgfältig in den Gürtel eingenähte Bargeld abgenommen wird, bei dem ein Finger in seinem Hintern nach Saddam Hussein sucht. Und er erzählt von den vielen Heimen, zu denen er quer durch die bayerische Provinz immer wieder verlegt wird, von den Schreien seiner traumatisierten Mitbewohner, die ihn nachts aus dem Schlaf wecken.
Flucht in die Rachefantasie
Ob es sich bei der Ohrfeige lediglich um eine Rachefantasie Karims handelt, die er in den beklemmenden Räumen der Ausländerbehörde ansiedelt, bleibt bis zuletzt offen, ist aber auch nicht von großer Relevanz. „Wenn ein Kind sich bedroht fühlt“, sagt Khider, „sucht es Schutz bei seinen Eltern. Erwachsene finden Schutz bei der Polizei, andere wenden sich an Gott. Aber es gibt Menschen, für die weder das eine noch das andere in Frage kommt. Was machen die?“ Er drückt den Zeigefinger gegen die Schläfe. „Sie flüchten sich in ihre Fantasie.“
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Die Ohrfeige, sie ist auch bezeichnend für das Leben Karims und das der jungen Männer, denen er in diversen Asylantenheimen begegnet. Sie sind in ihren besten Jahren, haben unterschiedlichste Talente und können nichts tun, außer zu warten, die Zeit totzuschlagen, bis der nächste Bescheid kommt, der vielleicht gar einem Faustschlag gleichen wird. Eine Handlung im klassischen Sinne also gibt es nicht, alles hängt von einer höheren Gewalt ab, von institutionellen Entscheidungen. Karim schafft es lediglich, zu reagieren.
Die in der Erzählung geschilderte Langweile der Heimbewohner steht dabei komplementär zum Erzähltempo des Autors, zu der Wucht, mit der „Ohrfeige“ den Leser mitten ins Gewissen trifft. Denn man wird Zeuge, wie Individuen zugrunde gehen, in unserem wohlhabenden, gastfreundlichen Deutschland.
Abbas Khider nickt und macht keine Anstalten, sein Grinsen zu verbergen. „In einer Diktatur erwartet man ja, dass Menschenleben zerstört werden. Aber in diesem Roman geschieht das innerhalb einer offenen Gesellschaft, einem demokratischen Land. Das wird für einige Leser sicher schmerzhaft sein. Aber Kunst muss manchmal auch wehtun – wenn es denn nötig ist.“
Lebensläufe erfinden
So wird auf den ersten Seiten des Romans schon klar, was ein Asylant braucht, „um zu überleben und nicht vollständig wahnsinnig zu werden“: Schlepper, Vermittler für Schwarzarbeit, Schmuggler, „wir benötigen all die Blutegel, die von unserer Situation profitieren wollen“. Existenziell ist auch das Erfinden einer plausibel klingenden Lüge. Alle Asylbewerber nämlich besitzen zwei Lebensläufe: einen für die Akten und einen, über den keiner spricht – weil die Gegenwart genug Probleme bereitet oder die Vergangenheit schlicht zu belastend ist.
Khider erinnert sich an besonders kreative Köpfe im Asylantenheim, die sich ein Taschengeld damit verdienten, für ihre Mitbewohner Lebensläufe zu erfinden.
Für Karim jedenfalls hat der Autor eine sehr besondere Geschichte gewählt. Denn politisch verfolgt wird er nicht. Er hat ein Problem mit seiner Sexualität, seine Brüste sind groß, wie die einer Frau. Im Irak plagten ihn deshalb Albträume, in denen er von Soldaten vergewaltigt wird, denn er muss zur Armee, der einzige Ausweg ist die Flucht ins Ausland. Als Karim dann später von der schönen Lada entjungfert wird, kann er wieder nur reagieren, auf das, was die verheiratete Weißrussin ihm diktiert. So ist Karim so etwas wie der Gegenentwurf zu dem, was dem Zeitungsleser seit Silvester als „der arabische Mann“ präsentiert wird: verschüchtert, unsicher, durchweg passiv.
Eine drastische Wendung nimmt der Roman schließlich nach dem 11. September 2001, Karims Leben gerät aus den Fugen. Abbas Khider, der 9/11 ebenfalls in Deutschland verbrachte, sieht durchaus Parallelen zu der Stimmung, die derzeit nach den Attentaten von Paris herrscht. Seit Dezember sei er drei Mal geflogen und beschreibt die Sicherheitskontrollen und Verhöre, denen er sich unterziehen musste, als „unvorstellbar“: „Ich hätte überhaupt kein Problem damit, wenn alle Menschen auf dieselbe Art kontrolliert werden würden. Das ist aber nicht der Fall, und das hat viel mit Rassismus zu tun. Damit schafft man nur noch mehr extreme Menschen.“
Auf diesen Satz folgt kein Lachen mehr. Denn er ist grob und schallt – wie eine Ohrfeige.
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