Roman „Brown Girls“: Stimmen aus der Peripherie
Autorin Daphne Palasi Andreades erzählt in ihrem Debütroman „Brown Girls“ vom Aufwachsen nicht-weißer Mädchen im New Yorker Bezirk Queens.
Sie leben im „miesen Teil von Queens“ rund um den Queens Boulevard, der sich durch den ganzen Borough zieht und auch als „Boulevard des Todes“ bekannt ist. Umgeben von 99-Cent-Shops, Nagelstudios, Autowerkstätten und Elektronik-Discountern wachsen die „Brown Girls“ im gleichnamigen Debütroman der gebürtigen New Yorkerin Daphne Palasi Andreades auf (in der deutschen Übersetzung wurde dieser Begriff im Titel zum Glück übernommen).
Zu Beginn des Romans sind die Girls kaum zehn Jahre alt, die Autorin folgt ihren Leben vom Erwachsenwerden bis zum Tod. Das Besondere daran: Er ist in der Wir-Form geschrieben, als Chor. Dieser Chor hat eine doppelte Funktion: Er betont zum einen die Erfahrungen, die die marginalisierten Mädchen teilen. Es geht aber auch um die Außenwahrnehmung.
Sobald sie Karriere machen, treten sie nicht mehr als Individuen, sondern als Repräsentantinnen ihrer Hautfarbe und Herkunft auf. Gefragt nach bestimmten Meinungen, wissen sie, dass sie lieber schweigen sollen.
„Wir sind entschlossen, unsere Antworten unpolitisch zu halten, damit wir niemanden vor den Kopf stoßen.“ Wofür sich die wenigsten Weißen interessieren, ist die Person, die hinter der Repräsentation steht.
Daphne Palasi Andreades: „Brown Girls“. Aus dem Amerikanischen von Cornelius Reiber. Luchterhand, München 2024. 240 Seiten, 20 Euro
Dekonstruktion des American Dream
„Wir sind so sichtbar, dass wir unsichtbar geworden sind. Seltsam, dass wir in diesem Moment, von dem wir geträumt haben, gesichtslos sind.“ Mit den Konflikten, die das Aufwachsen in und Entwachsen aus prekären Verhältnissen mit sich bringt, ist der Roman auch eine Erzählung des American Dream und mehr noch die Dekonstruktion dessen – der ökonomische Aufstieg ist bei Palasi Andreades keine Erlösung.
Rassismus und Klassismus sind die drängenden politischen Themen, im Zentrum des Romans aber steht die Freundschaft. Und der Stil: In kollektiver Stimme zu schreiben ist zwar kein neuer Einfall, gelingt der Autorin aber so gut, dass er nie überladen oder artifiziell wirkt.
„Brown girls brown girls brown girls“ heißt es gleich mehrfach, ohne Komma, einer Beschwörung gleich. So lesen sich die kurzen, schnell erzählten Kapitel oft wie Spoken-Word-Poetry, auch wenn die deutsche Übersetzung (was mehr an der Sprache selbst und nicht am Übersetzer Cornelius Reiber liegt) mitunter bedeutend behäbiger daherkommt als das englische Original: Aus „Her body is not mine is not mine is not mine. And yet.“ wird da „Ihr Körper ist nicht wie meiner nicht wie meiner nicht wie meiner. Und trotzdem.“
Nicht nur „Girls“
Das sei aber der einzige kleine Kritikpunkt. Überhaupt das Spiel mit der Sprache: Denn natürlich sind nicht alle Girls in „Brown Girls“ Mädchen beziehungsweise Frauen, einige outen sich auch als nicht-binär oder trans Männer. Palasi Andreades benötigt nur einen kurzen Satz, um ein doppeltes Dilemma zu benennen. „Brave ‚Mädchen‘, wir sind brave Mädchen“, heißt es, die Anführungszeichen als Marker für den Identitätskonflikt und das „brav“ als Hinweis auf die Erwartungshaltung der Familie.
Es ist ein einfacher Kniff, mit dem Palasi Andreades dem Wir so vielseitige Facetten verleiht. Immer wieder zählt sie Frauennamen auf, die ganz verschiedene Herkünfte der Familien und somit auch unterschiedliche Erfahrungen erahnen lassen, was die Autorin mit Bausteinen wie „einige von uns“ und „andere von uns“ verdeutlicht. Stück für Stück zerbricht die Einheit, die die Brown Girls in ihrer Kindheit geformt haben, als sie noch unzertrennliche Freundinnen waren.
Neid und Herablassung
Es sind sowohl persönliche Entwicklungen als auch äußere Umstände, die aus den Freundschaften große Herausforderungen machen. Während die einen im Viertel bleiben, sich um die älter werdende Verwandtschaft kümmern und die anderen als herablassend empfinden, machen die anderen Karriere und fühlen den Neid jener, die zurückgeblieben sind.
So ist „Brown Girls“ trotz seiner Kürze ein vielschichtiger, kluger und intensiver Roman, mit dem Daphne Palasi Andreades beweist, dass man auf der Suche nach der so oft beschrienen Great American Novel vielleicht nicht in die weiß-bürgerliche Schicht, sondern in die Peripherie gehen sollte.
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