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Roma-Aktionsplan„Tropfen auf den heißen Stein“

Aus den zentralen Anliegen des Roma-Aktionsplans ist bis heute nichts geworden. Dennoch habe man einiges erreicht, sagt die Integrationsbeauftragte Monika Lüke.

In der ehemaligen Eisfabrik lebten bis vor einem Jahr viele Wanderarbeiter aus Bulgarien Bild: reuters
Interview von Susanne Memarnia

taz: Frau Lüke, vor fast eineinhalb Jahren verabschiedete der Senat den Roma-Aktionsplan zur Verbesserung der Situation hier lebender Roma …

Monika Lüke: Nicht nur. Es geht um alle EU-Bürgerinnen und -bürger, die in einer ähnlich schwierigen Situation sind. Es geht um Menschen, die hierherkommen und keine Wohnung haben; um Familien mit Kindern, die zur Schule gehen müssen; es geht um Schwangere, die ihr Kind gebären müssen.

Aber es heißt Roma-Aktionsplan.

Ja, der Titel weist auf den Anlass für den Plan hin, Roma-Familien einzubeziehen, weil sie zu den größten Einwanderergruppen nach Berlin zählen – ganz sicher weiß man das nicht, weil die ethnische Zugehörigkeit nicht behördlich erfasst wird. Der zweite Grund für den Namen ist, dass vom öffentlich sichtbarsten Problem, der Obdachlosigkeit und dem Leben in Parks, tatsächlich vor allem Roma-Familien betroffen sind.

Ein wichtiges Element des Plans war ja ein Wohnheim für obdachlose Familien. Davon sind Sie inzwischen abgerückt. Warum?

Das drängendste Problem – nicht nur für Roma, auch nicht nur für Migranten – ist und bleibt die Wohnungsnot. Es gibt einfach zu wenige Wohnungen für Menschen, die kein Geld haben. Roma-Familien leben zeitweise auch in Schrottimmobilien, in Lauben oder Autos in Berlin. Deswegen wollten wir ein Wohnheim für obdachlose Familien einrichten, so etwas gibt es in ganz Berlin nicht. Wir hatten auch eine Immobilie gefunden. Aber im April 2013 ist das Ganze am Widerstand des Bezirks Charlottenburg-Wilmersdorf gescheitert.

Stattdessen soll es jetzt bis zu zehn Wohnungen geben.

Ja, wir haben uns dann überlegt – was ich auch für die integrationspolitisch bessere Lösung halte –, dass wir Wohnungen an mehreren Orten innerhalb des S-Bahn-Rings suchen. Dort können Familien für ganz kurze Zeit wohnen, bis alle rechtlichen Ansprüche und Möglichkeiten geklärt sind. Bislang gibt es drei Wohnungen, in absehbarer Zeit werden es aber mehr sein. Wir lassen da Tropfen auf den heißen Stein fallen. Aber wir wollen modellhaft zeigen, wie es gehen sollte. Für eine größere Lösung müssten die kommunalen Wohnungsbaugesellschaften, die Sozialverwaltung, die Stadtentwicklungsverwaltung und die Bezirke ran.

Im Interview: Monika Lüke

45, ist seit November 2012 die Integrationsbeauftragte des Senats. Die gelernteVölkerrechtlerin folgte Günter Piening, der das Amt seit 2003 innehatte. Von 2009 bis 2011 war Lüke Generalsekretärin von Amnesty International Deutschland.

In den Wohnungen sollen die Menschen nur einen Monat bleiben dürfen. In dieser Zeit hat aber weder das Jobcenter entschieden, ob man Sozialleistungen bekommt, noch findet man so schnell eine Wohnung.

Doch, man findet unter Umständen schon etwas. Grundsätzlich geht es darum, die Zeit zu begrenzen, bevor die Familien in reguläre Wohnungen kommen. Es soll ganz bewusst nur eine vorübergehende kurze Lösung sein. Aber natürlich wird keiner die Familie rauswerfen, wenn es nichts anderes gibt. Doch die Notwohnung kann keine Dauerlösung sein.

Kann man nicht auf die Jobcenter einwirken, dass sie schneller und wohlwollender über die Anträge entscheiden?

Roma-Aktionsplan

Unter Federführung der Integrationsbeauftragten verabschiedete der Senat im Juli 2013 den "Berliner Aktionsplan zur Einbeziehung ausländischer Roma". Der Plan zielt auf den Ausbau bestehender Maßnahmen in den Bereichen Wohnen, Gesundheit, Bildung, Arbeit und schlägt ein paar neue Dinge vor: darunter ein Wohnheim für obdachlose Familien, einen Notfallfonds zur Finanzierung von Geburten nichtversicherter Frauen sowie die Dokumentation von antiziganistischen Vorfällen bei der Antidiskriminierungsstelle des Landes. (sum)

Das müssten die Bezirke tun. Wir versuchen auch in diese Richtung zu wirken über die Regionaldirektion der Arbeitsagentur. Aber die Jobcenter haben auch eine gewisse Autonomie – und sehr viel zu tun. Aber wir sind da dran: auf politischer Ebene und konkret durch Beratung und Begleitung der Familien zum Jobcenter über von uns beauftragte Träger.

Was hat sich konkret verbessert durch den Roma-Aktionsplan?

Einiges. Beim Thema Wohnen haben wir neben den erwähnten Notwohnungen ein Projekt mit der GeWoBag in der Scharnweberstraße in Reinickendorf auf den Weg gebracht, die Bunte 111, wo Roma-Familien mit regulären Mietverträgen unterkommen. Wir haben uns dabei an dem Modell des Arnold-Fortuyn-Hauses in der Harzer Straße in Neukölln orientiert, das von der katholischen Aachener Siedlungsgesellschaft ausgebaut wurde. Jetzt suchen wir das Gespräch mit weiteren Wohnungsbaugesellschaften.

Aber reichen solche kleinen Einzellösungen? Kürzlich sagte der Leiter der Notübernachtung für Obdachlose in der Franklinstraße, zu ihnen kämen immer mehr Familien. Die Obdachlosenverbände fordern daher weiterhin ein Wohnheim für Familien. Wäre das nicht doch wichtig als Notbehelf?

Ich finde eine Verteilung im Stadtraum viel besser – auch um Stigmatisierung vorzubeugen und um diesen Familien einen geschützten Raum zu geben. Eine Massenunterkunft ist sichtbar für Anfeindungen.

Ein anderes Thema im Roma-Aktionsplan ist Gesundheit, da geht es etwa um die Finanzierung von Geburten Nichtversicherter. Dafür sollte ein Fonds gegründet werden – auch den gibt es bis heute nicht. Warum?

Die Mittel sind jetzt endlich freigegeben. Ich weiß, dass es Anfang nächsten Jahres losgehen soll.

Was machen die Menschen so lange? Bislang ist es so, dass eine Nichtversicherte zwar im Krankenhaus entbinden kann – aber hinterher die Rechnung präsentiert bekommt von einigen tausend Euro, die die meisten nicht bezahlen können.

Faktisch sind viele betroffene Frauen krankenversichert. In der EU muss man das eigentlich sein – und wenn man eine gute Beratung hat, kann diese die Krankenhäuser dazu anhalten, die Versicherung im Heimatland zu akzeptieren.

Genau darauf zielt eine Kritik von Flüchtlingsrat und dem Verein Amaro Foro: Der Aktionsplan zäume das Pferd von hinten auf. Die meisten Rumänen und Bulgaren seien ja versichert; das Problem, das der Plan angehen müsse, seien die deutschen Krankenkassen, die die Europäische Krankenversicherungskarte nicht anerkennen würden.

Viele haben diese Karte aber nicht. Das heißt, sie müssen nachweisen, dass sie versichert sind – das wird oft nicht geglaubt. Weil das Erstatten der Leistungen mit Rumänien und Bulgarien auch schwierig ist. Das darf aber nicht auf dem Rücken der Versicherten ausgetragen werden. Doch hier kann man allein mit Beratung der Kassen und Krankenhäuser nicht viel erreichen. Hier muss die Bundesregierung mit den Heimatländern verhandeln – und sie hat jetzt übrigens zugesagt, dass die Kommunen für eine bessere Aufnahme in die Gesetzliche Krankenversicherung sowie für Impfstoffkosten insgesamt 10 Millionen Euro erhalten.

Aber bleibt nicht insgesamt festzuhalten, dass die Stadt trotz Roma-Aktionsplan in den dringendsten Fällen nicht helfen kann? Sie kann nicht in nennenswertem Umfang Wohnungen bereitstellen, es gibt für Geringqualifizierte keine Arbeit – und Sozialhilfe bekommen auch nur diejenigen, die den Rechtsweg beschreiten, wenn überhaupt.

Es stimmt. Aber unsere Herausforderung ist nicht nur die sichtbare Gruppe derer, die auf der Straße leben und keine Wohnung finden. Mittlerweile sind das rund 50 Familien, schätze ich. Diese Familien sind wirklich in einer prekären Situation – und für sie können wir unter Umständen nicht genug tun. Wir schicken in allen Bezirken aufsuchende Sozialarbeiter zu diesen Familien, sie beraten, aber sie können nicht immer helfen. Es ist in der Tat mittlerweile schwierig, auch nur übergangsweise eine Unterkunft zu finden, weil es zu wenige Wohnungen gibt. Hier müssen auch die kommunalen Wohnungsbaugesellschaften und die Bezirke ran. Jede wohnungslose Familie, ob Roma oder nicht, sollte erstmal ein Dach über dem Kopf finden, für einen Monat. Hier ist unsere Arbeit bislang unzureichend. Wir haben aber auch nur 150.000 Euro pro Jahr – dafür kann man nur ein Modell entwickeln, wie es gehen könnte. Jetzt brauchen wir weitere Partner und zusätzliche Finanzierungen.

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