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Rollschuhlaufen in der NS-Zeit„Das wirkt so unschuldig“

In Hannover war das Rollschuhlaufen beliebt und die NSDAP wusste dies zu nutzen, sagt Historikerin Annika Wellmann. Der Rollschuhclub hat mitgemacht.

Die Begeisterung war groß: Jubel auf der Tribüne der Rollschuhbahn in Hannover Foto: Historisches Museum Hannover
Andrea Maestro
Interview von Andrea Maestro

taz: Frau Wellmann, sind Nazis in Hannover gerne Rollschuh gelaufen?

Annika Wellmann: Auf jeden Fall haben sich die Mitglieder des damaligen Hannoverschen Rollschuhclubs an nationalsozialistische Organisationen angebiedert, um eine Rollschuhbahn bauen zu können. Und sie sind auch in die Ideologie eingestiegen. Der Schriftführer des Vereins wurde Gauwart für Rollschuh- und Schlittschuhsport. Das spricht dafür, dass er auch Nationalsozialist war. Ich kann aber nicht sagen, dass Nazis begeisterte Rollschuhfahrer waren.

Und trotzdem hat sich sogar die NSDAP in Hannover mit dem Rollschuhfahren beschäftigt. Warum?

Die NSDAP war nur die letzte Instanz. Der Rollschuhclub hat von Anfang an mit „Kraft durch Freude“ kooperiert. Das war eine NS-Organisation, die unter anderem den kommunalen Breitensport gefördert hat. Es gab gemeinsame Werbeveranstaltungen, Kraft durch Freude hat Einsteigerkurse angeboten und der Verein dann die weitere Ausbildung übernommen. Der Club war auch in den Deutschen beziehungsweise Nationalsozialistischen Reichsbund für Leibesübungen eingegliedert. Dort wurden ab 1934 alle Sportvereine gleichgeschaltet – also die, die nicht verboten wurden.

Welche Vereine wurden verboten?

Beispielsweise kommunistische Sportvereine.

Und was hatte die NSDAP vom Rollschuhclub?

Rollschuhlaufen war ein Sport, der unheimlich populär war. Der Verein hat immer vorgetragen, dass es in Hannover mehrere Tausend Kinder gab, die Rollschuh gelaufen sind. Und es gab auch viele junge Erwachsene, die das interessiert hat. Das Rollschuhlaufen war für die Nationalsozialisten einfach eine Möglichkeit, die Leute in ihre Organisationen reinzuholen. Später musste der Verein auch für die Hitlerjugend und den Bund Deutscher Mädel ein Angebot machen.

Inwiefern?

Das nannte sich Sportdienstgruppen und war eine Verpflichtung für alle Sportvereine. Sie mussten Sportstätten und Lehrpersonal für das Training der 10- bis 14-Jährigen stellen. Für den Rollschuhclub war das ganz gut, die konnten sich so ihren Rollschuhnachwuchs heranziehen.

Zehn Pfennig Eintritt für Kinder: Rollschuhbahn in der Eilenriede Foto: Historisches Museum Hannover

Um welche Sportarten geht es eigentlich? Auf Rollschuhen kann man ja ganz unterschiedliche Dinge tun.

Rennen, Paartanz, aber auch Rollschuhhockey war beliebt und wurde in Hannover auch auf der Rollschuhbahn ausgetragen.

Wenn Sie sagen, dass mehrere Tausend Kinder Rollschuh gelaufen sind, meinen Sie auf der Straße und nicht im Verein, oder?

Genau. Erstmals waren in den 30er-Jahren viele Kinder mit Rollschuhen auf den Straßen unterwegs. Gerade in den Arbeiterwohnvierteln gab es zwar kaum Freiflächen und Grünanlagen, aber die Kinder haben dort auf den Straßen gespielt – Rollschuhlaufen wurde auch dadurch begünstigt, dass immer mehr Straßen asphaltiert waren. Das Rollschuhlaufen bedeutete für die Kinder einen Zugewinn an Freiheit, weil sie sich auch mal weiter von Zuhause weg bewegen konnten. Aber auch der Verkehr nahm immer mehr zu. Es wurde gefährlicher, und sie wurden von den Erwachsenen auch nicht gerne gesehen.

Man hat die meckernden Stimmen über die rücksichtslose Jugend auf Rollschuhen gleich im Ohr.

Ja, sie waren einfach laut und hatten Spaß und da gab es immer wieder Beschwerden. Die Eltern sollten gefälligst auf ihre Kinder achten und die Polizei war auch angehalten, den Kindern im Zweifel die Rollschuhe wegzunehmen.

Und da kam die Rollschuhbahn ins Spiel?

privat
Im Interview: Annika Wellmann

43, ist Historikerin und Kuratorin in Hannover. Zum Rollschuhlaufen in der NS-Zeit hat sie geforscht, weil sie die Frage interessiert hat, an welchen öffentlichen Orten Kinder damals gespielt haben.

Ja, der Rollschuhclub wollte eine Bahn. Sie wurde dann von der Stadt Hannover gebaut und die städtische Verwaltung hat darauf geachtet, dass die Kinder dort fahren durften. Der Eintrittspreis für Kinder war mit zehn Pfennig auch recht niedrig. Ein Kinobesuch hat zu der Zeit zwischen 50 Pfennig und einer Mark gekostet. Trotzdem hat man ein eher elitäres Publikum anvisiert. Die Bahn wurde an der Eilenriede gebaut, und in der Nähe waren eher die gutbürgerlichen Viertel.

Eigentlich stehen da vor allem viele Villen, oder?

Genau. Ich habe zum Beispiel einen sehr interessanten Brief von einem Vater gefunden, der fragte, ob das Geld nicht lieber gesplittet und Flächen auf mehreren Spielplätzen geteert werden könnten, damit die Wege für die Kinder kürzer sind.

Waren die Rollschuhe selbst ein Luxusgut?

Zu der Zeit nicht mehr. In den 1870er-Jahren, als es einen ersten Rollschuh-Hype gab, waren sie ein absolutes Luxusgut. In der zweiten Rollschuhwelle, um 1910 herum, traf man sich in Hannover im Rollschuhpalast in der Südstadt. Der hatte ein hohes Eintrittsgeld und eine strenge Kleiderordnung – die Männer kamen im Anzug, die Frauen im Teekleid. Das war immer noch für ein bürgerliches Publikum gedacht. 1935 war der Rollschuhpalast dann aber nicht mehr angesagt.

Warum?

Den fanden die Mitglieder des Rollschuhclubs staubig und schmutzig. Außerdem schimpften sie über das sensationslüsterne Publikum.

Und in den 1930ern konnten sich dann auch Arbeiterfamilien Rollschuhe leisten?

Man muss sich die Rollschuhe der Zeit anders vorstellen. Heute ist ja meist der Schuh mit dran. Damals schnallte man ein Metallgestell mit Rollen unter das eigene Schuhwerk. Ich habe einen Brief eines Mädchens gefunden, das 1937 an den Bürgermeister von Hannover geschrieben hat. Sie fragt darin, ob nicht ein Schulhof bei ihr in der Nähe zum Rollschuhlaufen geöffnet werden könnte. Für ihre Eltern seien die Rollschuhe eine teure Anschaffung gewesen.

Das heißt, es war eine ­größere Investition, aber die Eltern waren bemüht, es möglich zu machen.

Ja. Und in der Zeit war Spielzeug nicht mehr vollkommen rar. Es war möglich, genau wie der Besuch der Rollschuhbahn.

Wie sah die Bahn an der ­Eilenriede aus?

Es war eine Freilichtbahn. Auf dem Feld waren Figuren aufgemalt, die die Sportler abfahren sollten. Es gab auch eine kleine Tribüne.

Und bei den Turnieren wehten dann im Hintergrund die Hakenkreuzfahnen?

Ja, einmal hat der Verein sogar ans Rathaus geschrieben, um sich die Fahnen zu leihen.

Inwiefern hat der Rollschuhclub die NS-Ideologie in den eigenen Reihen umgesetzt?

Viele Sportvereine schlossen in vorauseilendem Gehorsam – und aus einer weit verbreiteten antisemitischen Haltung heraus – Jü­d:in­nen aus. Dazu, wie das beim Rollschuhclub lief, habe ich keine Hinweise gefunden. Ich hoffe aber, dass dazu irgendwann welche auftauchen.

Was ist aus der Rollschuhbahn geworden?

Die ist im Zweiten Weltkrieg zerstört worden. Noch vor Ende des Krieges, 1945, hat sich aber der Leiter des Sportamtes um Ersatzplatten bemüht. Die Platten, mit denen der Platz ausgelegt war, waren aus dem Material Fulgurit, also im Grunde aus Asbest. Ende der 1950er-Jahre wurden dann Tennisplätze an der Stelle gebaut.

Warum ist Forschung, die sich mit Freizeitsport in der NS-Zeit beschäftigt, relevant?

Das wirkt so unschuldig – Rollschuhlaufen. Da haben die Leute mitgemacht und nur an den Spaß gedacht, aber man sieht, dass sie durch dieses Hobby in die NS-Organisationen­ hineingezogen wurden, mit der Ideologie zusammen kamen und auch kontrolliert wurden. Es geht um die Einverleibung von Kindern und Jugendlichen in dieses System.

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  • Ungewöhnlicher Artikel, spannendes Thema.