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Rohrbombenanschlag in DüsseldorfSpäte Untersuchung

Vor 15 Jahren wurden zehn SprachschülerInnen bei einer Explosion schwer verletzt. Jetzt soll untersucht werden, ob es Verbindungen zum NSU gibt.

Heute wird der Anschlag wieder untersucht. Direkt nach der Tat erlahmte das Interesse schnell Foto: dpa

köln taz | Eine weiße Plastiktüte hängt an einem warmen Sommertag am Geländer der S-Bahn-Haltestelle Wehrhahn in Düsseldorf. Die Rohrbombe darin explodiert um 15:04 Uhr, als zehn SprachschülerInnen einer nahe gelegenen Schule die Unterführung zur Bahn passieren. Ein kleiner Metallsplitter bohrt sich in den Unterleib einer schwangeren Frau, sie verliert ihr ungeborenes Kind. Ihr Mann war der Bombe am nächsten, er schwebt tagelang in Lebensgefahr. Die acht anderen EinwandererInnen werden ebenfalls schwer verletzt. Es ist der 27.7.2000, es ist schwül, und kaum sind die Rettungswagen eingetroffen, beginnt es zu regnen. Die Spurensuche verläuft ergebnislos. Keine DNA, kein Bekennerschreiben, keine Hinweise auf ein Motiv.

Im ganzen Land reagieren PolitikerInnen auf den Anschlag. Zwar betont ein Düsseldorfer Polizeisprecher am Tag nach dem Attentat, man gehe nicht von einem politischen Anschlag aus, denn „wir haben kein Bekennerschreiben gefunden“. Doch unbeirrt sagt der damalige grüne Außenminister Joschka Fischer, „Ausländerhass“ sei der „wahrscheinlichste Hintergrund“. Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) spricht ebenfalls vom „Verdacht eines fremdenfeindlichen Hintergrundes“. Von den sieben Frauen und drei Männern, die beim Anschlag verletzt wurden, sind sechs jüdische Zuwanderer der früheren Sowjetunion, vier sind russisch-orthodox. Deshalb liegt der Schwerpunkt der Ermittlungen nach anfänglicher Skepsis schnell in der rechten Szene.

Doch auch andere Motive werden untersucht: Die Polizei folgt Spuren einer Beziehungstat, zieht die russische Mafia als Täter in Erwägung, kurz auch einen islamistischen Hintergrund. Heute soll mit einem neuen Verfahren noch einmal das Geländer, an dem die Bombe hing, auf DNA-Spuren untersucht werden. „Wenn Sie die Detailversessenheit sehen würden: Da blieb insgesamt wenig offen“, sagt Oberstaatsanwalt Ralf Herrenbrück. „Wie das bei einem Verfahren erwartet werden kann, zu dem sich Bundesminister äußern, ist im Verfahren wirklich der letzte sinnlose Stein umgedreht worden.“

Das ist bekanntlich ein halbes Jahr später, bei einem Attentat ganz in der Nähe von Düsseldorf, nicht passiert: Im Januar 2001 detonierte in einem iranischen Laden in der Kölner Probsteigasse eine Christstollendose mit einem Kilogramm Schwarzpulver. Auch hier gab es kein Bekennerschreiben. Die Polizei schloss deshalb einen politischen Hintergrund aus, ermittelte im Rotlichtmilieu, ging kurz von einer finanziellen Streitigkeit aus und stellte dann, nach wenigen Monaten, die Ermittlungen vorläufig ein.

Zwei wichtige Details

Der Anschlag von Düsseldorf fehlt auf dem Bekennervideo des Nazi-Trios Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe. Dennoch ist der nordrhein-westfälische NSU-Untersuchungsausschuss nun auch mit der Untersuchung des Rohrbombenanschlags von Wehrhahn beauftragt. Nur wenige Wochen nach dem Attentat wurde in Nürnberg der Blumenhändler Enver Şimşek niedergeschossen – der erste Mord, zu dem sich die Terrorzelle bekannte.

Im Verfahren ist wirklich der letzte sinnlose Stein umgedreht worden

Oberstaatsanwalt Herrenbrück

Aber nicht nur die zeitliche Nähe, „vor allem in der Vorgehensweise des Wehrhahn-Attentates gibt es eine gewisse Ähnlichkeit zum bisher bekannten NSU-Vorgehen“, sagt Sven Wolf, Vorsitzender des NSU-Untersuchungsausschusses in NRW. Bereits 1998 wurden in der Garage des Trios in Jena selbst gebaute Rohrbomben gefunden, gefüllt mit dem Sprengstoff TNT, wie auch die Düsseldorfer Bombe. Die Zusammensetzung kann man heute nicht mehr vergleichen: Die Jenaer Bomben sind längst vernichtet.

Die zwei wichtigsten Details für einen möglichen Zusammenhang zum NSU sind der Öffentlichkeit bis heute nicht bekannt: Was für einen Zünder hatte die Rohrbombe in Düsseldorf? Ein Zeitzünder würde gegen einen gezielten Anschlag auf die Einwanderer sprechen. Doch die Ermittlungen sind unter Verschluss, seit der NSU-Untersuchungsausschuss mit der Aufklärung beauftragt ist. „Wir wollen dem Parlament nicht vorgreifen“, sagt Staatsanwalt Herrenbrück. Deshalb will er sich auch zum zweiten wichtigen Detail nicht äußern: Wo hielten sich Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe am 27. Juli 2000 auf?

Der Untersuchungsausschuss beschäftigt sich Anfang nächsten Jahres mit der Rohrbombe von Düsseldorf. Die Sitzungen finden öffentlich statt. Dann wird es, so die Hoffnung, Antworten auf die offenen Fragen geben.

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1 Kommentar

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  • Das eigentliche Probelm bei den ganzen dem "NSU" zugrechenetn USBV ist aber mehrschichtig.

     

    Einmal weil es in allen Fällen von Belang im Rahmen der SpuSi unterlassen wurde von den asservierten "Sprengstoffen" einen zu Vergleichszwecken eigentlich üblichen isotopenchemischen Fingerprtint anzufertigen (Der als DAtensatz geau so archivierbar ist, wie die für solche Vergleichsuntersuchungen notwendigen Probenmengen).

     

    Bisher spricht nicht mal die "NSU-Garage" dafür das die Tatverdächtigen sich dort länger aufgehalten hätten, oder gar an der (aus fachlicher Sicht stümperhaft und gefährlich umgesetzten) Laborierung beteiligt haben.

     

    Auch die USBV Keupstrasse ist ganz ohne jeden täterseitigen Spurenantrag ausgeführt worden und war tatsächlich wohl nicht so gefährlich wie das eine von zwei BKA-Gutachten glauben machen will. Das vom GBA nicht berücksichtigte Gutachten sieht den Sachverhalt da deutlich anders!

     

    Wie wärs mal mit ein bischen Recherche?