Rock-Produzent Rick Rubin über sein Werk: „Mit dem Universum kollaborieren“
Beastie Boys, Johnny Cash, Slayer, Lana Del Rey – mit all diesen Stars hat Rick Rubin Alben entwickelt. Ein Gespräch mit der Produzentenlegende.
wochentaz: Rick Rubin, Sie haben mal behauptet, Sie können kein Instrument spielen und hätten auch gar keine Ahnung davon, wie ein Mischpult bedient wird. Ihre Karriere begann als Gitarrist und Sänger in einer Punkband. Hilft Ihnen diese Erfahrung heute im Studio, wenn Sie versuchen, sich in die Musik von Künstler:innen zu versetzen?
Rick Rubin: Nein. Ich versuche mich der jeweiligen Person anzunähern. Erst höre ich mir an, was sie zu sagen hat, und setze mich dann damit auseinander. Oft hat die Tatsache, dass jemand Musik spielt, nur wenig mit der Person dahinter zu tun, die ist nur Symptom.
Sie standen als Gitarrist auf der Bühne und haben auch gesungen. Und Sie haben es auch selbst produziert. Erinnern Sie sich an diese Erfahrungen?
Alles war Do-it-yourself, entsprechend der Ästhetik von Punk. Wir haben etwa 30 Konzerte gespielt. Später hat es mir genauso viel Spaß gemacht, im Studio HipHop zu produzieren.
Sind Sie manchmal nervös, wenn Sie ein Album produzieren?
Klar, jedes Mal, wenn ich ein neues Projekt beginne, denn ich habe keine Ahnung, was passieren wird. Es kann beängstigend sein, weil man von mir erwartet, dass ich etwas erschaffe. Ich habe keine vorgefasste Meinung, ich komme so unvorbereitet wie möglich, höre zu und suche dann nach dem interessantesten Weg.
Majorlabels und Manager reden mit und machen Vorschläge – wie gehen Sie mit dem äußeren Druck um?
Ich ignoriere alle Stimmen von außen. Ihre Absichten mögen noch so gut sein, doch sie wissen ja nicht, wie man an Musik herangeht. Mir geht es darum, dass die Künstler:innen und ich gemeinsam die Sache lieben, die wir machen. Das ist das Wichtigste. Wenn nur ich es mag, haben wir versagt. Wenn es nur dem Künstler gefällt, sind wir auch gescheitert.
Was für eine Rolle spielen Egos beim Produzieren?
Wenn ich mit einem Star zusammenarbeite, und es mehrere Komponisten gibt, wird mir oft geschildert, wer welchen Teil geschrieben hat. Will ich gar nicht wissen! Spielt mir die Musik vor und last uns daran arbeiten, mir ist egal, wer sie geschrieben hat! In meinem Buch nenne ich das Kooperation, wenn jeder darum kämpft, dass seine Version des Stückes berücksichtigt wird. Bei einer guten Zusammenarbeit wird gemeinsam die beste Lösung erarbeitet. Und das muss nicht unbedingt eine der beiden Lösungen sein, die sich gegenseitig ausschließen.
Können Sie das philosophisch analysieren?
Wir kollaborieren immer mit dem Universum, mit allem, was vor uns war, und mit allem, was nach uns kommen wird, weil wir Teil eines kreativen Flusses sind.
Sitze ich vor dem gleichen Rick Rubin, der 1984 frühe Klassiker des HipHop produziert hat?
geboren 1963 nahe New York, gründete während des Studiums 1984 das Label Def Jam und verhalf der New Yorker Rap-Szene damit zu weltweiter Beachtung.
Rubin produzierte Public Enemy und „Raising Hell“ von Run-DMC (1986). Der US-Produzent ist Musikfan, der mit therapeutischem Fingerspitzengefühl Höchstleistungen aus Künstler:innen herausholt. Er wurde zweimal mit dem Grammy „Producer of the Year“ ausgezeichnet. Preisgekrönt sind zudem Rubin-Produktionen, etwa „American Recordings“ von Johnny Cash.
Nun hat er über sein Wirken ein Buch geschrieben: „kreativ. Die Kunst zu sein“. Aus dem Englischen von Judith Elze, Droemer Knaur Verlag, München 2023, 419 Seiten, 24 Euro.
Am Anfang meiner Karriere war es anders. Auch wenn ich damals dachte, ich wüsste, was ich tue. Ich hatte nie das Gefühl, dass ich wirklich dazugehöre. Ehrlich gesagt, fühle ich mich immer noch nicht als Teil des Musikbiz. Es ist meine Aufgabe, mit Künstlern in Kontakt zu treten und den Prozess zu unterstützen, damit die besten Songs im Studio entstehen. Das ist mein Job, und er ist für die Plattenfirmen wertvoll. Wenn wir gute Sachen kreieren, ist das eine Win-win-Situation. Jeder, der sich zwischen dem Künstler und mir einmischt, während wir versuchen das Beste zu machen, untergräbt dieses Anliegen.
Früher waren Sie mit Ihrer Plattenfirma Def Jam Teil der Musikindustrie, da geht es bekanntlich zu wie in einem Haifischbecken. Mussten Sie da nicht gegen zu viele Fliehkräfte ankämpfen?
Das ist heute auch noch so. Es wird oft versucht, etwas, was außerhalb der Norm liegt, zu zensieren. Ich hingegen mag Dinge, die anders klingen, wie in den Anfangstagen von HipHop. Vergessen Sie nicht, damals hat eine Jugendschutz-Kommission der US-Regierung versucht, diese Musik zu verbieten. Auf allen Alben musste der berühmte Aufkleber mit der Warnung an die Eltern angebracht werden. Zensur habe ich schon früh erfahren. Der Multi Columbia weigerte sich, Alben der ThrashMmetal Band Slayer zu veröffentlichen. Ich musste ein neues Label für Slayer finden. Geffen Records wollte nicht mit der Musik der Geto Boys in Verbindung gebracht werden. Sie warfen mich raus, weil ich ihren Gangstarap produziert hatte. Ich habe mich immer für schwierige Fälle eingesetzt, unabhängig davon, ob ich mit dem, was der Künstler sagt, einverstanden bin. Das ist rein eine Frage von Meinungsfreiheit. Ich möchte, dass die Leute sagen können, was sie sagen wollen, und ich unterstütze sie dabei. Ich bin aber nicht Teil ihrer Message. Ich habe Alben mit Slayer produziert, die über satanisches Zeug singen, und ich habe Platten mit Krishna Das gemacht, der zu Hindu-Göttern singt. Wir lernen mehr über die Welt, wenn jeder sagen kann, wie er sie sieht.
Popstars kupfern gerne von anderen ab. Auch deshalb klingen neue Songs vertraut, trotzdem schaffen Musiker es, etwas Eigenes zu kreieren, deshalb klingt Lana Del Rey so einzigartig.
Sie ist unglaublich!
Wie schafft sie das?
Nach ein paar Takten wird sofort klar: Da singt Lana. Es hat etwas mit ihren großartigen Texten zu tun. Und sie klingt so seltsam, weil sie aus der Sicht eines fiktionalen Charakters singt und niemals nach der echten Lana Del Ray klingt. Obwohl, das ist nur ihr Künstlername, ich weiß gar nicht, wie sie bürgerlich heißt.
Sie haben die wichtigsten Alben der Red Hot Chili Peppers produziert und pflegen eine enge Freundschaft zu ihnen. Sind Sie Teil der Band?
Bandmitglied bin ich zwar nicht, aber ich war schon oft mit ihnen im Studio, und es ist immer fantastisch. Bei ihnen passiert etwas Magisches. Es ist, als ob eine transzendentale Sache beim Aufnehmen vor sich geht. Es passiert ganz selten, aber bei ihnen passiert es.
Mit welchen anderen Musikern hatten Sie noch transzendentale Erfahrungen?
Ich konnte mit Carlos Santana aufnehmen, obwohl ich ihn vorher nie live erlebt habe. Er kam ins Studio – die Band begann zu spielen. Plötzlich klang es, als würde Miles Davis Gitarre spielen.
Tom Petty hat mit Ihnen den Welthit „Mary Jane ’s Last Dance“ aufgenommen. Ihnen wird das inzwischen ikonische Gitarrenriff, mit dem der Song beginnt, zugeschrieben. Wie kam es dazu?
Tom schickte mir ein Demotape mit mehreren Songs. Zwischendrin war ein Fragment, was viel interessanter klang als die Songs, und ich sagte ihm, dieser Part klingt wirklich cool, den sollte er ausbauen.’
An was denken Sie heute, wenn Sie einen Song von Tom Petty hören?
An sein breites Lächeln. Ich denke daran, wie er täglich mit einem Grinsen ins Studio kam. Während der Aufnahmen zum „Wildflowers“-Album 1994 haben wir gemeinsam meditiert, bevor es losging. Ich kann nicht glauben, dass er nicht hier mehr unter uns ist.
Sie haben viele verschiedene Phasen der Musikindustrie miterlebt. Trotzdem sind Sie nicht zynisch geworden. Warum?
Ich bin immer wieder überrascht über das, was als Nächstes kommt. Und ich liebe die Tatsache, dass etwas Neues entsteht, und lasse mich vom Hype anstecken. So höre ich auch Musik. Es fing mit Heavy Metal an, dann kam Punk, HipHop und Country und alle möglichen anderen Stile. Ich höre gerne kunterbunt durcheinander. Ich bin’s leid, immer den gleichen Kram zu hören. Oft stöbere ich auch nach alten Sachen, die ich nicht kenne, etwa psychedelische Musik. Ich tauche tief ein, bis ich mich fühle, als ob ich in den Sechzigern leben würde. Dabei interessieren mich auch die trashigen Songs, nicht nur die Hits.
HipHop wird dieses Jahr 50. Wie haben Sie diese Musikkultur in den frühen 1980ern erlebt?
Es war Underground-Musik. Ich war damals DJ der Beastie Boys, als sie noch eine Punkrock-Band waren. HipHop war eine Befreiung. Im HipHop war der DJ genauso wichtig wie der Rapper. Und ich mochte die Idee, dass es sich nicht um Rockmusik mit einem Sänger handelt. Meistens waren es DJs, die vorhandenes Material manipulierten, um etwas Neues zu schaffen, und dazu wurde gerappt. Die Musik wurde so zurück auf die Straße gebracht. Jeder, der etwas zu sagen hatte, konnte es tun. Man musste kein Profimucker sein oder ein Konservatorium besucht haben, um das zu tun. HipHop stand allen offen.
Nach dem Erfolg mit den Beastie Boys 1986 haben Sie Slayer produziert. Eine Thrash Metal Band mit beinhartem Sound.
Der klingt aber zugleich groovy und funky, ganz anders als die meisten Speedmetal-Bands. Das liegt am Schlagzeug von Dave Lombardo. Ein unglaublicher Bolzen, aber so viel Gefühl.
Wie empfinden Sie Ihre Arbeit an „Reign in Blood“? Die Band hat Sie danach dauerhaft als Produzent engagiert.
Slayer war die erste Band, die ich in Kalifornien aufgenommen habe, auch dafür liebe ich sie. Eine der großartigsten Livebands, die ich je gesehen habe. Das erste Mal sah ich Slayer im Ritz in New York. Als sie loslegten, ist das Publikum komplett durchgedreht. Wie kann so ein infernalischer Krach überhaupt auf der Erde entstehen? Diese Gitarrensoli sind irre, die Noten schienen manchmal wie zufällig ausgewählt. Dazu das hyperschnelle und zugleich präzise Getrommel von Lombardo. Als ich in Los Angeles ankam, merkte ich, dass sie in der Garage hinter dem Haus von Lombardos Mutter probten. Dort entstand also diese kranke Musik!
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