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Riesenwohnanlage in WilmersdorfDer „Schlange“ geht’s nicht gut

Eine Folge der Bauskandale der 70er-Jahre: marode Leitungen und Legionellenbefall in der 1.000 Wohnungen großen Degewo-Anlage.

In der Schlange rücken öfters mal die Bauarbeiter an Foto: dpa

In der Wil­mers­dor­fer Groß­wohn­an­lan­ge Schlan­gen­ba­der Stra­ße – ge­nannt „Schlan­ge“ – sind bei Trink­was­ser-Mes­sun­gen in meh­re­ren Wohn­blocks er­höh­te Le­gio­nel­len-Kon­zen­tra­tio­nen ge­mes­sen wor­den. Der Ei­gen­tü­mer Degewo, Berlins größ­te lan­des­ei­ge­ne Woh­nungs­bau­ge­sell­schaft, hat ent­spre­chen­de taz-Re­cher­chen be­stä­tigt.

Bei den jähr­li­chen, ge­setz­lich vor­ge­schrie­be­nen Tests wur­den mitt­le­re Ver­un­rei­ni­gun­gen ge­mes­sen. Der un­te­re Grenz­wert dafür liegt bei 100 KBE –„ko­lo­nie­bil­den­den Ein­hei­ten“ – pro 100 Mil­li­li­ter. Le­gio­nel­len sind­ Bak­te­ri­en, die die soge­nann­te Le­gio­närs­krank­heit aus­lö­sen kön­nen. Die Krank­heit wie­der­um kann be­son­ders bei äl­te­ren Men­schen zu einer ge­fähr­li­chen Form der Lun­genent­zün­dung füh­ren. Ge­fähr­lich ist das Ein­at­men der Ae­ro­so­le, die beim Du­schen ent­ste­hen; das Trin­ken selbst ist in der Regel un­ge­fähr­lich.

Le­gio­nel­len kön­nen sich im Warm­was­ser an Stel­len ver­meh­ren, an denen es wenig Zir­ku­la­ti­on gibt: im Was­ser­spei­cher etwa oder am Ende einer lan­gen Was­ser­lei­tung. Groß­wohn­an­la­gen sind über­durch­schnitt­lich häu­fig­ be­trof­fen.

Stichproben gemacht

Die De­ge­wo hat 40 Woh­nun­gen per Stich­pro­be über­prüft, die an der ent­fern­tes­ten Stel­le eines Strangs lie­gen. 12 Woh­nun­gen waren be­fal­len. In­zwi­schen wur­den dort Ar­ma­tu­ren aus­ge­tauscht. Die mehr als 1.000 an­de­ren Woh­nun­gen in der An­la­ge wur­den nicht über­prüft. De­ge­wo-Spre­cher Lutz Acker­mann konn­te nicht aus­schlie­ßen, dass es unter ihnen eben­falls be­fal­le­ne Lei­tun­gen gibt. „Le­gio­­­­nel­len­kon­zen­tra­tio­nen in an­de­ren Woh­nun­gen sind aber höchst un­wahr­schein­lich“, sagt er.

Au­ßer­dem sind zwei alte Trink­was­ser­sta­tio­nen – das sind Ver­tei­l­an­la­gen – be­trof­fen, die der­zeit er­neu­ert wer­den. Über Er­kran­kun­gen in dem Haus, in dem viele äl­te­re Leute leben, ist dem Un­ter­neh­men nichts be­kannt. Wenn die Sa­nie­rung ab­ge­schlos­sen ist, will die De­ge­wo noch­mal die Werte über­prü­fen.

Die „Schlan­ge“ ist das Pro­blem­haus der De­ge­wo und steht für die Mons­tro­si­tät der Westber­li­ner Bau­po­li­tik der 70er Jahre. Als Be­grün­dung für den damals 400 Mil­lio­nen Mark teu­ren Ko­loss dien­te der da­ma­li­ge Woh­nungs­man­gel in Westber­lin – nach­dem der SPD-ge­führ­te Senat per Kahl­schlag in der In­nen­stadt stra­ßen­zug­wei­se in­tak­te Alt­bau­ten ab­ge­ris­sen hatte.

Autobahn durchs Haus

Of­fen­bar um Mo­der­ni­tät unter Be­weis zu stel­len, wurde mit­ten durch die „Schlan­ge“ eine Au­to­bahn – die A 104 – ge­baut, die in Längs­rich­tung durch das Ge­bäu­de führt. Heute woh­nen Hun­der­te Mie­ter Wand an Wand über oder neben der Au­to­bahn, die inzwischen zu einer Schnell­stra­ße her­un­ter­ge­stuft ist. Die Schlan­ge steht zudem für den bis heute nicht auf­ge­ar­bei­te­ten Skan­dal, dass in Westber­lin die Kos­ten für den öf­fent­lich ge­för­der­ten Woh­nungs­bau er­heb­lich höher waren als im Durch­schnitt – die Qua­li­tät aber oft mi­se­ra­bel war.

Ein Pro­blem im Ge­bäu­de sind die häu­fi­gen Was­ser­rohr­brü­che. Ein Was­ser-In­stal­la­teur einer Fremd­fir­ma, der re­gel­mä­ßig im Haus zu tun hat, sagte der taz: „Ich habe zur­zeit 70 Rohr­brü­che auf dem Zet­tel.“ Bei einem Gang durch den 400 Meter lan­gen, dunk­len und men­schen­lee­ren Haupt­flur, der an ein Film­set für einen Sieb­zi­ger-Jah­re-Psy­cho­thril­ler er­in­nert, fal­len Zie­gel­stei­ne auf, die aus der Wand her­aus­ge­bro­chen wur­den: of­fen­bar, um an ka­put­te Rohre zu ge­lan­gen. Meh­re­re ge­trock­ne­te Was­ser­pfüt­zen deu­ten auf un­dich­te Stel­len in der Decke hin.

Die Was­ser­rohr­brü­che lie­gen an groben Feh­lern beim Bau der „Schlan­ge“: Durch die Mau­ern einer bisher un­be­kann­ten An­zahl von Woh­nun­gen lau­fen Re­gen­was­ser­roh­re, die das Was­ser von den Ter­ras­sen ab­lei­ten. Diese Roh­re sind aus ein­fa­chem Me­tall ge­baut und ros­ten schnell durch – be­son­ders, wenn sie ho­ri­zon­tal ver­baut wur­den, wie es bei der „Schlan­ge“ häu­fig der Fall ist.

Unterhalt sehr teuer

„Es ist rich­tig, dass der Un­ter­halt der Schlan­ge ver­hält­nis­mä­ßig teuer ist“, sagt De­ge­wo-Spre­cher Acker­mann. Auf­grund der „guten wirt­schaft­li­chen Lage der De­ge­wo“ könne man sich aber ein sol­ches Haus leis­ten. Man wolle als lan­des­ei­ge­nes Woh­nungs­un­ter­neh­men wach­sen. Ein Ver­kauf des Ge­bäu­des stehe deswegen „über­haupt nicht zur De­bat­te“, so Ackermann. Der­zeit ent­wi­cke­le man ein Sa­nie­rungs­kon­zept für das Haus. Über Höhe und Um­fang konn­te der Degewo-Spre­cher noch nichts sagen.

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