Richtig was tun: Senat macht richtig Druck
Vor allem Kinder aus Familien mit Migrationshintergrund gehen zu selten in die Kitas. Der Senat produziert deshalb Flyer
BREMEN taz | Das Problem ist eigentlich klar: Vor allem für Kinder aus sozial benachteiligten Familien, deren Familiensprache nicht Deutsch ist, wäre es entscheidend, dass sie „eine frühe pädagogisch qualifizierte Betreuung und Entwicklungsförderung“ erhalten. Und die „Armutsquote“ der unter 18-Jährigen mit Migrationshintergrund liegt in Bremen aktuell bei 44,1 Prozent – es ist die höchste in Westdeutschland.
Die Lösung des Problems? Die offizielle Statistik zeigt das Desaster: Bei denen, die die Förderung am nötigsten hätten, kommt sie nicht an. Während von den Kindern aus nicht-migrantischen Familien in Bremen fast die Hälfte schon im Alter von ein bis zwei Jahren außerfamiliär betreut wird, sind es bei den Kindern mit Migrationshintergrund nur zwölf Prozent. Die qualifizierten pädagogischen Betreuungsangebote erreichen bei den 2- bis 3-Jährigen fast 70 Prozent – außer bei dem Teil, deren Eltern keine deutsche Staatsbürgerschaft haben.
Motivlage ist erforscht
Dort sind es weniger als 30 Prozent. Die Folge: Fast ein Fünftel der Kinder aus migrantischen Familien kommen in die Schule, ohne jemals eine Einrichtung wie einen Kindergarten besucht zu haben – viele von ihnen ohne ausreichende Deutschkenntnisse.
Fragt man nach den Motiven der Migranten-Familien, die ihre Kinder nicht in eine Einrichtung geben wollen, steht die Sorge um die kulturelle Identität ganz oben: Angst vor kultureller Entfremdung und religiöse Vorbehalte spielen eine große Rolle.
Insbesondere Mütter, die die deutsche Sprache nicht beherrschen, haben schlechte Chancen, einen Zugang zu den Angeboten zu bekommen – auch, weil sie von sich aus oft nicht nachfragen. Mütter mit Migrationshintergrund, die einen hohen Bildungsabschluss haben, nutzen dagegen Betreuungsangebote ähnlich wie Familien ohne Migrationshintergrund.
Alle diese Fakten stehen in einem „Konzept“-Papier mit dem sperrigen Titel: „Überwindung von Hürden beim Zugang zu Kindertageseinrichtungen und Angeboten der frühkindlichen Bildung“, das der Senat am Dienstag verabschieden will.
Ratlosigkeit als Beschlussvorlage
Was tun? Das ist die Frage. Im März 2014 hatte die Bürgerschaft den Senat zum Handeln aufgefordert. Im November 2013 hatten das die Koalitionsfraktionen so verabredet. Und schon im Jahre 2012 hatte das Sozialressort über eine Forschungsarbeit berichtet, in der der Sozialwissenschaftler René Böhme vom Zentrum für Sozialpolitik die Motive der Familien mit Migrationshintergrund untersucht hatte.
Seit 2003 gibt es sogenannte „Koop-Spielkreise“ in einzelnen Kitas als besonderes Angebot für diese Zielgruppe. Nur kommen die wenigsten derer, die da angesprochen werden sollen – das Angebot allein senkt die Hürden nicht. Wortreich beschreibt nun das Senatspapier die Maßnahmen, die die Lage ändern sollen.
Dabei hört man vor allem Papier rascheln: „Flyer“ sollen ausgelegt werden in Krippen und Kitas, in Kinderarztpraxen, in Häusern der Familie, im Jugendamt und im Jobcenter – und immerhin auch in Moscheen. Dann soll es „bis zum Frühjahr 2015 eine Auftaktveranstaltung“ unter Fachleuten geben.
„Bis zum Dezember 2015“ soll die „ortsteilbezogene Entwicklung von Zielkonzepten“ stattfinden, in „Workshops“ sollen „passgenaue Aktivitäten“ entwickelt, im März 2016 schließlich „eine ortsteilübergreifende Veranstaltung durchgeführt werden“.
Und dann geht’s so richtig los: „Die Konzeptentwicklungsprozesse, die Maßnahmen und deren Umsetzung sollen bis September 2016 ausgewertet werden, um weitere Überlegungen und Konsequenzen aus den Auswertungsergebnissen ziehen zu können.“ Die auszuwertenden Maßnahmen: Es werden derzeit 22 Personen zu Spielkreisleiterinnen ausgebildet, für die im September 2016 das Anerkennungsjahr beginnt.
In der Vahr kann man studieren, dass es auch anders geht – da gibt es seit zwei Jahren schon eine DVD, auf der Mütter in ihren Heimatsprachen erklären, warum ihren Kinder die frühzeitige Betreuung geholfen hat. Da beschäftigt sich der Beirat längst mit der Frage, wie man Vertrauen herstellen und auf Eltern zugehen kann, die unsicher sind oder nicht verstehen, warum es im Juli zu spät ist, um sein Kind für den September anzumelden. Mit Erfolg – die Zahl der „versorgten“ Kinder ist dort höher als in anderen Stadtteilen mit vielen armen Migrantenkindern.
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