piwik no script img

Rettungsplan für Insekten„Wir müssen jetzt handeln“

Mehr Vielfalt auf den Äckern und weniger Pestizide: Mit diesem Plan wollen mehr als 70 ForscherInnen die Insekten retten.

Dieses fleißige Bienchen soll gerettet werden Foto: imago images /blickwinkel

BERLIN taz | Kleinere Ackerflächen mit mehr Vielfalt und weniger Ackergifte: So wollen mehr als 70 internationale ForscherInnen die Insekten retten. „Es ist noch nicht zu spät, aber wir müssen jetzt handeln“, erklärt Viola Clausnitzer, Wissenschaftlerin am Senckenberg-Museum für Naturkunde Görlitz.

Der „Aktionsplan für den Insektenschutz und Insekten­erholung“ gliedert sich in unmittelbare, mittel- und langfristige Maßnahmen. „Im ersten Schritt sollten sogenannte No-regret-Lösungen umgesetzt werden, die der gesamten Insektenwelt zugutekommen“, erläutert Clausnitzer. No-regret-Maßnahmen sind solche, bei denen der Nutzen schon unter heutigen Bedingungen die Kosten übersteigt. „Hierzu gehören beispielsweise eine heterogene Landwirtschaft oder die Reduktion von Pestiziden.“

Auch der Umweltverband BUND und die Heinrich-Böll-Stiftung mahnen: „Globales Insektensterben muss mit nachhaltiger Agrarpolitik verhindert werden.“ Gemeinsam veröffentlichen die Organisationen an diesem Mittwoch einen „Insektenatlas“, der aktuelle Daten zu Nütz- und Schädlingen in der Landwirtschaft zusammenfasst. Dort heißt es: Fällt die tierische Bestäubung weg, „drohen einzelnen Obst- und Gemüsesorten wie Äpfeln, Kirschen, Pflaumen oder Gurken Ernterückgänge bis zu 90 Prozent“.

Insgesamt hängen dem Atlas zufolge drei Viertel der weltweit wichtigsten landwirtschaftlichen Kulturpflanzen von der Bestäubung durch Insekten ab. Sie sind damit wesentliche Grundlage für die Lebensmittelversorgung. Und dennoch geht knapp die Hälfte der 561 in Deutschland heimischen Wildbienenarten in ihren Beständen zurück.

Insektenatlas

Der Insektenatlas liegt am 9.1.2020 der LMd bei oder ist hier zu bekommen.

Schnelles Handeln erforderlich

„Menschengemachte Faktoren, wie Verlust und Fragmentierung des Lebensraums, Verschmutzung, invasive Arten, Klimawandel und eine intensive Landwirtschaft, führen weltweit zu einem Verlust von Insektenarten“, fasst Wissenschaftlerin Clausnitzer zusammen. „Wir glauben aber, dass es gelingen kann, das globale Insektensterben aufzuhalten – wenn zügig Maßnahmen ergriffen werden!“

Neben Sofortmaßnahmen wie einem Pestizidstopp sieht der Rettungsplan der ForscherInnen vor, bereits bestehende Insektenarchive, beispielsweise in Museen, zu durchsuchen und das vorhandene Wissen zu zentralisieren. Auch der Aufbau einer Organisation zur nachhaltigen Finanzierung der Insekten-Lebensräume gehört zu den langfristigen Maßnahmen des Plans.

Denn durch die intensive Landwirtschaft sind Hecken und Ackerränder verschwunden und viele Monokulturen entstanden. Seit 1950 sind 71 Prozent der Ackerwildkrautarten verschwunden. Und mit ihnen viele Insekten.

Vorteile für alle

Die Bäuerinnen und Bauern sitzen also an einem großen Hebel, wenn es darum geht, das Insektensterben zu beenden. Laut den AutorInnen des Insekten­atlasses braucht es deshalb eine Agrarpolitik, die diejenigen subventioniert, die einen Plan wie den der ForscherInnen verfolgen und eine insekten- und klimafreundliche Landwirtschaft betreiben.

Denn dann gewinnen nicht nur die Tiere: Fördert man beispielsweise die deutschen Wildbienen, indem man ihnen bessere Lebensräume bietet, kann sich die Ernte an Erdbeeren und Kirschen verdoppeln.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

5 Kommentare

 / 
  • Merkwürdig. Wie kommt man auf drei Viertel der weltweiten Nutzpflanzen? Von den 20 meist angebauten Kulturen sind 17 Selbstbestäuber, parthenokarp oder vermehren sich vegetativ. Zuckerrohr, Weizen, Mais, Kartoffeln, Reis oder Zuckerrüben beispielsweise. Ich will das Insektensterben nicht klein reden. Aber das sind doch Tatsachen. Laut Untersuchungen der LWK Niedersachsen hat der Obstbau nach dem Bio Grünland die höchste Artenvielfalt an Insekten und Pflanzen. Und dabei ist es egal ob Bio oder Integrierter Anbau.

  • Im Gartenteich von unserem Ferienhaus (Dithmarschen) "züchte" ich Anax Imperator (=Libelle). Der Teich ist künstlich, stammt aus den 70ern und war mal ein kleiner Swimmingpool, er hat keine Verbindung zu Grundwasser und Drainage. Ich habe IMMER das volle Programm des Biotops. Laubfrosch, Kröte, Natter, Gelbrandkäfer, Wasserläufer, Wasserspinne etc. Und natürlich Anax. (Die Buntbarsche die ich ausgesetzt hatte, hat sich der Reiher geholt, aber das ist ein anderes Thema).

    Jedenfalls - der natürliche Nachbarteich keine 300m entfernt ist so gut wie tot. Drainagezufluss. Einmal habe ich dort Seerosen ausgesetzt. Nichts geht. Das Wasser am Ufer ist gelb wie Urin. Nicht mal Mückenlarven überleben. Wahnsinn. Bauernhöfe sind Chemiefabriken ohne Filter, die ihren Müll einfach in die Landschaft kübeln. Diese Form der Landwirtschaft ist kriminell.

    • @el presidente:

      Herr Präsident, bitte lassen Sie einfach eine Probe des verdächtigen Wassers untersuchen. Sollte ja irgendetwas drin sein, was da nicht hin gehört. Wir machen hier auch Pflanzenschutz und düngen. Trotzdem haben wir mehrere Libellenarten in unseren Gräben, die auf der roten Liste stehen. Bitte nicht immer alles über den selben Kamm scheren.

  • Das gab es alles schon einmal, Ende der achtziger, Anfang der neunziger Jahre. Wie konnte das alles vergessen und untergepflügt werden?

  • 4G
    4813 (Profil gelöscht)

    Das Artensterben ist dramatischer als der Klimawandel. Den kann man mit technischen Mitteln in den Griff bekommen. Auch nachdem sich das Klima gewandelt hat.



    Das Artensterben kann man so nicht zurücksetzen.

    Aber für die Natur gibt es keine Lobby, da ist dem Menschen das Klima näher als die Wildbiene.