Resultate eines Projekts mit Pädosexuellen: „Bei mir stimmt was nicht“

Wenn Jugendliche merken, dass sie sich zu Jüngeren hingezogen fühlen – was tun? In Berlin wurden Ergebnisse eines Pilotprojekts vorgestellt.

Plakat mit Aufdruck "Er träumt noch von Dinosauriern. Du träumst ständig von ihm“, davor eine Kinderhand

Ein unauffälliges Plakat zu einem Thema mit hohem Leidensdruck Foto: dpa

BERLIN taz Wenn Johannes an einem Bolzplatz vorbeikommt und dort Jungs Fußball spielen sieht, bleibt er stehen. Er sieht, wie die Jungs rennen, er sieht ihre verschwitzten Körper und die klebrigen T-Shirts. Das erregt ihn sexuell. Aber Johannes weiß, dass er keinen dieser Jungs anfassen darf. Oder – noch schlimmer – mit einem von ihnen Sex haben darf. Weil Johannes das bewusst ist, geht er rasch weiter.

Johannes ist fiktiv. Aber Jugendliche, die sich sexuell zu Jüngeren und sogar zu Kindern hingezogen fühlen, gibt es. Laut Schätzungen – genaue Zahlen gibt es nicht – ist ein Prozent der Jugendlichen in Deutschland betroffen. Das sind rund 250.000 Jugendliche, in der Regel männlich.

Tobias Hellenschmidt kennt manche von ihnen. Er ist Kinder- und Jugendpsychiater im Vivantes-Klinikum Berlin-Friedrichshain, dort leitender Oberarzt der Kinder- und Jugendpsychiatrie und zuständig für ein deutschlandweit einzigartiges Projekt mit dem sperrigen Titel „Primäre Prävention von sexuellem Kindesmissbrauch durch Jugendliche“ (PPJ). Einfach ausgedrückt: Hellenschmidt bringt Jungs und jungen Männern bei, mit ihrem besonderen Begehren umzugehen. So, dass sie nicht irgendwann einem Kind sexuelle Gewalt antun.

Wer Hellenschmidt in seinen Diensträumen im Klinikum in Friedrichshain besucht, erlebt einen zurückgelehnten, bedachten Mediziner. Von Fällen redet er vorsichtig, um die Betroffenen zu schützen. Man kann sich vorstellen, wie er mit den jungen Patienten über deren sexuelle Präferenzstörung – das ist der Fachbegriff für das sexuelle Hingezogensein zu Kindern – spricht. Von Hellenschmidt geht eine große Ruhe aus.

Manche wünschen ihnen den Tod

Die braucht es bei einem Thema, das in der Bevölkerung leicht Hysterie auslöst. Umfragen zufolge würden 80 Prozent der „Normalbevölkerung“ sogenannte Kinderschänder am liebsten dauerhaft hinter Gitter sehen. Manche wünschen ihnen den Tod.

Am Dienstag sitzt Hellenschmidt in einem Konferenzraum in der Berliner Charité, die zusammen mit Vivantes das Projekt PPJ ins Leben gerufen hat. Vorbild dafür ist das seit 2005 laufenden Präventionsnetzwerk „Kein Täter werden“ für pädosexuelle Männer.

Neben Hellenschmidt sitzt unter anderen Klaus Beier, Professor für Sexualwissenschaft und Sexualmedizin an der Charité und PPJ-Projektleiter, und Ralf Kleindiek, Staatssekretär im Familienministerium. Das Haus von Manuela Schwesig (SPD) finanziert das Projekt PPJ mit insgesamt 600.000 Euro. Ende 2017 wird es nach dreijähriger Laufzeit beendet werden.

Der Grund dafür sei nicht, wie Kleindiek betont, dass Schwesigs Ministerium das Projekt nicht wichtig fände. Sondern dass die Therapiekosten für die Betroffenen bereits seit Beginn dieses Jahres von den Krankenkassen bezahlt würden. „Anonym“, wie Kleindiek versichert.

Patienten reisen aus ganz Deutschland an

Ein „Meilenstein“, wie Projektleiter Beier sagt. Um das zu erreichen, war PPJ als Pilotprojekt nötig. Bevor es 2014 startete, stellten sich SexualtherapeutInnen und JugendpsychiaterInnen Fragen wie: Wie kommen wir an betroffene Jugendliche heran, bevor sie als Erwachsene zum Täter werden? Können wir ihnen helfen?

Hellenschmidt, Beier und andere MitarbeiterInnen starteten die Kampagne „Du träumst von ihnen“, sie posteten das Projekt im Internet. Seither haben sich 134 Jugendliche gemeldet. 41 von ihnen wurden erfolgreich behandelt. „Keiner von ihnen ist bislang sexuell übergriffig geworden“, sagt Beier.

Angesprochen werden sollen Kinder ab 12 Jahren, ein Alter, in dem Pubertät und damit eine intensivere Sexualität einsetzen. Doch das Durchschnittsalter der Jugendlichen in der Sprechstunde liegt bei 15 Jahren.

Sie reisen aus der gesamten Bundesrepublik an, ein Patient fliegt regelmäßig aus Süddeutschland nach Berlin zu Hellenschmidt. Es sind ausschließlich Jungen. Sie schreiben E-Mails oder rufen an. Sie werden Sätze los wie: „Ich glaube, bei mir stimmt was nicht.“ Bislang hat sich nur ein Mädchen gemeldet, zur Sprechstunde ist es nicht erschienen.

Großer Leidensdruck

Häufig melden sich die Eltern der Jungen, wenn sie feststellen, dass ihre Söhne anders sind als andere Kinder. Dass sie sich nicht – wie üblich – in Mädchen oder andere Jungs verlieben, sondern dass sie sich Bilder von kleinen Kindern im Internet anschauen.

Die betroffenen Jungen haben einen großen Leidensdruck, sagt Hellenschmidt: „Sie fühlen sich schlecht und leiden oft an Depressionen.“ Sie wollen keine „Kinderficker“ sein. Aber sie wissen auch, dass „das“ nicht weggeht. Ihr größter Wunsch ist, ein ganz „normaler“ Mann zu sein.

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