Restaurantchefin übers Gastgeben: „Gastronomie ist Mitmachtheater“
Kellnern ist kein angesehener Beruf. Dabei ist Gastgeben hohe Kunst. Gastronomin Ilona Scholl über Momente, in denen sie sich freut wie eine Schneekönigin.
taz am wochenende: Frau Scholl, es heißt nicht mehr „Guten Appetit“. Im Restaurant wird mir der Teller immer öfter mit einem „Viel Spaß“ serviert.
Ilona Scholl: Das kommt mir nicht über die Lippen.
Auf die Antwort hatte ich gehofft.
Das klingt doch wie eine Aufforderung. Spaß kann man nicht verordnen.
Aber es freut Sie, wenn ein Gast sagt, er hat mit dem Teller „viel Spaß“ gehabt?
Und wie. Jedes offene Wort, auch der Kritik, ist gut. Damit kann man besser umgehen als mit verkniffenen Gesichtern.
Was ist das Erlebnis, das Sie in ihrem Restaurant Tulus Lotrek vermitteln wollen?
Es geht darum, eine Atmosphäre zu schaffen, in der der Gast genießen kann: das Essen, sich selbst, die Menschen um sich herum. Wenn die Leute noch lange sitzen bleiben, lachen, trinken, reden und ich merke, sie frönen einfach der Lust am Leben, dann freu ich mich wie die Schneekönigin.
Köche sind die Stars in der Gastronomie. Wie wichtig die Menschen sind, die das Essen servieren, wird dagegen verkannt. Gibt es eine Krise im Service?
Ganz uneingeschränkt. Das soziale Prestige dieses Berufs ist total im Eimer. Wobei: Immer mehr Köche und Gastronomen erkennen das Problem. Gute Kellner und Kellnerinnen werden verzweifelt gesucht.
Beginnt es nicht schon bei der Begrifflichkeit? Sie sagen „Kellner“, das klingt für mich verbraucht.
Ich habe überhaupt nichts gegen den Begriff. Was würden Sie denn sagen?
35, ist neben ihrem Mann, dem Koch Max Strohe, Mitinhaberin des „Tulus Lotrek“ in Kreuzberg. Das Restaurant hat Ende 2017 einen Michelin-Stern bekommen, Ilona Scholl ist als „Gastgeberin 2017“ ausgezeichnet geworden.
Ich bin ratlos. „Bedienung“ ist so neutral. Bei „Ober“ sehe ich stolze Menschen in Livree vor mir. Aber dann müsste ich Sie „Oberin“ nennen.
(lacht) Also, ich bin gern Kellnerin.
Und wie sind Sie das geworden?
Ich bin Quereinsteigerin. Ich habe lange studiert, verschiedene Dinge. Erst auf Lehramt, abgeschlossen habe ich dann mit Literaturwissenschaften, Musik und Medien …
… und neben dem Studium immer gekellnert?
Genau. Das war ein toller Kontrast. Tagsüber in der Bibliothek in Büchern zu blättern oder im Seminar schlauen Menschen zuzuhören – abends konnte ich dem in der Kneipe rauschhaft die Realität dagegensetzen. Das war zünftig, dreckig, manchmal auch frivol. Ich habe auch in Proletarierkneipen gearbeitet, richtig mit Molle und Korn. Es hat mich geerdet, abgelenkt, mir den Kopf frei geblasen.
Und wann wurde daraus der Beruf?
Das war kein plötzliches Ding. Ich bin keine Hasardeurin und auch nicht dafür gemacht, selbstständig zu sein. Aber ich habe dann Max Strohe kennengelernt, meinen Mann, den Koch hier. Er hat Mut für uns zwei. Das ist der Grund, warum wir das Tulus Lotrek aufgemacht haben und ich nun die Gastgeberin bin. Wir haben früh gemerkt, dass wir uns ergänzen. Und er hat mir bedingungslos vertraut, was sein Essen angeht. Er hat mich früh probieren lassen und wusste, dass es bei vielen Gerichten auch mal nötig ist, zwei Sätze zu sagen. Diese kleine Unterbrechung des Tischgesprächs, wenn ein Teller serviert wird, ist sehr wichtig im Restaurant. Manchmal braucht ein Bild einen Rahmen, damit es erkannt und richtig angesehen wird. Und das ist, was ich gut kann.
Ilona Scholl
Auf der Karte stand neulich nur „Kartoffelpüree mit Soße“. Wie lautete der Rahmen?
Ich fand es ein Gericht, in dem man den Winter verbringen kann. Max hat in dem Püree einiges vergraben, beispielsweise den erdigen Geschmack der Kartoffelschale und darunter noch Steinpilze. Dazu gab es Steinpilzrahmsoße, das war der Knaller.
Sie sind also ein bisschen Galeristin.
Die Zeiten des devoten Pinguins am Tisch sind absolut passé.
Haben Sie auch Vorbilder?
Max und ich haben lange im „Frau Mittenmang“ in Prenzlauer Berg gearbeitet. Dort bedient einer meiner absoluten Lichtgestalten, was das Kellnern angeht. Andreas macht das auch nebenbei, er arbeitet eigentlich am Institut für Sexualforschung an der Humboldt-Universität. Ein toller, humorbegabter, eloquenter Mensch mit Witz. Er hat mir gezeigt, was der performative Aspekt beim Service bedeutet. Der kann Spannung aus einer Situation rausnehmen und mit einer griffigen Zweisätzebemerkung Gelächter an einem Tisch auslösen, an dem gerade die Stimmung kippt.
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
Der performative Aspekt? Gastronomie ist doch kein Theater.
Aber wenn man so will, schon so etwas wie Mitmachtheater. Essen und Genuss sind ja nichts Passives. Wer will denn heute noch abgespeist werden? Es geht um das Interagieren, die Kommunikation, die Zwischenmenschlichkeit, die mit und über einem guten Essen entstehen kann. Dafür ist mehr notwendig, als den Teller von rechts anzureichen.
Bei Ihnen ist einiges anders, als man es kennt. Es gibt zum Beispiel keine Reservierungskarten, die Namen sind mit Kreide groß auf den Tisch geschrieben.
Weil es ganz Ihr Tisch ist. Den sollen sie besetzen. Und die anderen Gäste dürfen das ruhig sofort sehen.
Sie müssen als Gastgeberin, das steckt schon wieder in der Begrifflichkeit, die Kunst des Gebens beherrschen, auch wenn der Gast am Ende noch zahlt. Ich bekomme immer mehr den Eindruck, sie besteht darin, dass der Gast sich einlassen kann. Dass er annehmen kann.
Es ist wie bei einem Geschenk. Wir verpacken es, wir schreiben eine Karte dazu, doch auch, damit sich der Beschenkte freuen darf und will. Und wenn er sich nicht freut, dann ist das ein doppeltes Negativerlebnis, der Beschenkte ist enttäuscht, der Schenker fühlt sich vielleicht sogar schuldig. Wenn Gäste unser Lokal unzufrieden verlassen, dann geht mir das so.
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