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Repression in der TürkeiUntersuchungshaft für İmamoğlu angeordnet

Gegen den Oppositionspolitiker Ekrem İmamoğlu wird wegen Korruptionsverdacht ermittelt. Bereits seine Festnahme löste landesweite Proteste aus.​

Menschen geben ihre Stimmen in einem Wahllokal der Republikanischen Volkspartei (CHP) bei einer symbolischen Wahl in Istanbul ab Foto: Huseyin Aldemir/AP/dpa

U-Haft für Ekrem İmamoğlu

Der Istanbuler Bürgermeister und wichtige Kontrahent von Staatschef Recep Tayyip Erdogan, Ekrem İmamoğlu, muss in Untersuchungshaft. Das ordnete ein türkisches Gericht an, wie die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu berichtete.

İmamoğlu war am Mittwoch gemeinsam mit Dutzenden weiteren Menschen festgenommen worden, wenige Tage vor seiner geplanten Nominierung als Präsidentschaftskandidat der größten Oppositionspartei CHP. İmamoğlu werden Terror- und Korruptionsvorwürfe in zwei Verfahren gemacht.

Die Anordnung der Untersuchungshaft erfolgte zunächst in Verbindung mit den Korruptionsermittlungen. In beiden Verfahren wird gegen 106 Personen ermittelt. Auch gegen İmamoğlus Berater und viele andere wurde Untersuchungshaft angeordnet. İmamoğlu weist alle Vorwürfe zurück.

Oppositionelle wie auch Beobachter werfen der Regierung vor, mit ihrem Vorgehen gegen İmamoğlu einen politischen Konkurrenten ausschalten zu wollen. Seine Festnahme hat trotz Demonstrationsverboten für großen Protest im Land gesorgt, der bereits mehrere Tage andauert. Die CHP sprach von 300.000 Teilnehmern allein in Istanbul am Freitag. Überprüfen ließ sich die Zahl nicht. (dpa)

Damaliger Wahlsieg İmamoğlus gilt als herbe Niederlage für AKP

İmamoğlus Sieg 2019 in Istanbul gilt als eine herbe Niederlage der AKP-Partei Erdogans, die die Großstadt bis dahin regierte. İmamoğlu gewann in Istanbul 2024 ein weiteres Mal. Istanbul ist die bevölkerungsreichste Metropole des Landes und sowohl politisch als wirtschaftlich von zentraler Bedeutung. Politisch wird die Kontrolle über Istanbul oft als Symbol für den allgemeinen politischen Einfluss im Land gesehen.

In Istanbul hatte einst auch Erdogans Aufstieg seinen Anfang genommen, als er 1994 dort zum Bürgermeister gewählt wurde.

Hintergrund der Terrorermittlungen gegen İmamoğlu ist laut staatlicher Nachrichtenagentur Anadolu eine Kooperation zwischen der CHP und der prokurdischen Dem-Partei bei den Kommunalwahlen. Über diese Kooperation habe die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK versucht, ihren Einfluss auszuweiten, zitierte Anadolu am Mittwoch die Generalstaatsanwaltschaft.

Der CHP-Vorsitzende Özgür Özel hatte die Festnahme seines Parteifreundes einen „zivilen Putsch“ genannt. Die Partei Erdogans wehrt sich gegen den Vorwurf und nannte ihn den „Gipfel politischer Unvernunft“. (dpa)

Nominierung İmamoğlus weiter geplant

Ungeachtet der Vorwürfe will die CHP an der geplanten Nominierung İmamoğlus als Präsidentschaftskandidat der Partei heute festhalten. Bei der landesweiten Abstimmung sind 1,7 Millionen Parteimitglieder der CHP aufgerufen, ihre Stimme abzugeben.

İmamoğlu ist der einzige Kandidat. Beobachter stufen ihn als aussichtsreichen Herausforderer Erdogans ein, die Ermittlungen können seine offizielle Kandidatur aber verhindern. Die nächste reguläre Präsidentenwahl soll 2028 stattfinden. (dpa)

Türkische Medienaufsicht droht Sendern mit Strafen

Die türkische Medienaufsicht RTÜK hat den Medien im Land im Falle von „unwahrer Berichterstattung“ mit Strafen und Lizenzentzug gedroht. „Wir fordern die Medien erneut auf, sich nicht auf parteiische und unwahre Berichterstattung zu stützen, sondern ausschließlich offizielle Informationen und Erklärungen der zuständigen Behörden zu veröffentlichen“ schrieb der Chef der Anstalt, Ebubekir Sahin, auf der Plattform X. Andernfalls würden Maßnahmen ergriffen, die „bis hin zu langfristigen Sendeverboten und letztendlich sogar zum Lizenzentzug reichen“. Er spreche „eine letzte Mahnung“ aus. Berichten zufolge stellten einige Sender ihre Live-Berichterstattung von Demonstrationen im Land ein.

Ilhan Tasci, Mitglied in der Medienaufsicht für die Opposition, schrieb auf der Plattform X, „RTÜK-Bürokraten“ drohten Fernsehsendern mit Lizenzentzug, wenn sie nicht ihre Live-Übertragungen einstellten. Sahin habe die Pressefreiheit im Land außer Kraft gesetzt.

Auch in der Nacht zum Sonntag waren wieder Tausende in Istanbul und anderen Städten auf die Straße gegangen, um gegen die Festnahme des Istanbuler Bürgermeisters Ekrem İmamoğlu zu protestieren. Er gilt als aussichtsreicher Konkurrent des regierenden Präsidenten Recep Tayyip Erdogan bei der kommenden Präsidentschaftswahl. (dpa)

Erneut Hunderte Festnahmen bei Protesten in der Türkei

Bei Protesten gegen die Festnahme des Istanbuler Bürgermeisters Ekrem İmamoğlu sind der türkischen Regierung zufolge erneut Hunderte Menschen festgenommen worden. Innenminister Ali Yerlikaya erklärte am Sonntag, 323 Personen seien in Gewahrsam genommen worden. „Keinerlei Versuch, die öffentliche Ordnung zu gefährden, wird geduldet“, betonte der Minister. Bereits am Samstag waren über 300 Festnahmen gemeldet worden. Seit Mittwoch sind Zehntausende Menschen in Istanbul, Ankara und anderen Städten gegen die Festnahme İmamoğlus auf die Straße gegangen. Die Polizei ging mit Pfefferspray, Tränengas und Wasserwerfern gegen die Demonstranten vor, die ihrerseits Polizisten mit Knallkörpern und anderen Gegenständen bewarfen.

İmamoğlu ist der aussichtsreichste Konkurrent von Präsident Recep Tayyip Erdogan. Am Mittwoch war er unter der Anschuldigung der Korruption und des Terrorismus inhaftiert worden. İmamoğlu hat die Vorwürfe zurückgewiesen und sie als „unvorstellbare Beschuldigungen und Verleumdungen“ bezeichnet. Die Staatsanwaltschaft hat beantragt, dass er bis zu einer Verhandlung in Untersuchungshaft kommt. Mit einer Gerichtsentscheidung dazu wird am Sonntag gerechnet.

Am selben Tag sind die Mitglieder von İmamoğlus Partei CHP aufgerufen, ihn zum Kandidaten für die nächste Präsidentenwahl zu bestimmen. Die CHP hat auch Nicht-Partei-Mitglieder aufgefordert, für İmamoğlu zu votieren, um den öffentlichen Widerstand gegen dessen Inhaftierung zu stärken. Die CHP hat mehr als 1,5 Millionen Mitglieder und lässt in allen 81 Provinzen der Türkei wählen. Die Abstimmung endet am Nachmittag.

Reguläre Präsidentenwahlen in der Türkei sind für 2028 angesetzt. Erdogan könnte sie jedoch vorziehen, um eine Begrenzung auf zwei Amtszeiten zu umgehen, falls er wieder antreten will. İmamoğlus Festnahme ist der vorläufige Höhepunkt einer monatelangen juristischen Kampagne gegen Oppositionelle, die als Versuch kritisiert wird, deren Wahlchancen zu schmälern und abweichende Meinungen zum Schweigen zu bringen. Die Regierung weist die Vorwürfe zurück. (rtr)

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2 Kommentare

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  • Wenn Erdogan damit durchkommt,



    Gute Nacht - Türkei.



    Und Osman Engin traut sich noch weniger, seinen Onkel Ömer zu besuchen.



    Kopf hoch und Däumchendrück, dass das nicht passiert

  • Nur noch eine liberale Revolution kann die türkische Demokratie retten. Wehret den Anfängen.