: „Rentner müssen sich nicht sorgen“
Denn Frankfurts OB Petra Roth darf die neue Altersgrundsicherung nicht boykottieren, sagt Rechtsprofessor Schoch
taz: Herr Schoch, die Oberbürgermeisterin von Frankfurt, Petra Roth (CDU), will das Gesetz zur Grundsicherung nicht umsetzen, weil es ihr zu teuer ist. Darf sie das?
Nein. Wenn ein Bundesgesetz den Kommunen Aufgaben zuweist, müssen diese auch ausgeführt werden – jedenfalls solange das Bundesverfassungsgericht das Gesetz nicht gestoppt hat.
Warum halten Sie die neue Altersgrundsicherung für verfassungswidrig?
Die Besserstellung von bedürftigen Alten und Erwerbsunfähigen verstößt selbstverständlich nicht gegen das Grundgesetz. Es geht vielmehr darum, dass hier die Kommunen unzulässig belastet werden.
Was kritisieren Sie konkret?
Hier hat ein Bundesgesetz den Kreisen und kreisfreien Städten direkt kostenträchtige Aufgaben zugewiesen, statt den Ländern die Entscheidung zu überlassen, wer im Land die Grundsicherung abwickeln soll.
Na und? Warum sind dadurch Rechte der Kommunen verletzt?
Nur wenn die Länder den Kommunen Aufgaben zuweisen, haben Städte und Kreise (in den meisten Ländern) einen Anspruch auf vollständigen Ausgleich ihrer Kosten. Dieser Anspruch gegen die Länder, der sich jeweils aus den Landesverfassungen ergibt, wird aber ausgehebelt, wenn der Bund die Zuständigkeiten bestimmt.
Nun ist der Bund ja durchaus bereit, Mehrkosten der Kommunen auszugleichen. Hierfür wird er jährlich 409 Millionen Euro an die Länder überweisen. Warum geht das Geld nicht direkt an die Kommunen?
Weil das Grundgesetz solche Direktzahlungen bisher nicht erlaubt. Hier sollte man über eine Verfassungsänderung nachdenken.
Bis auf weiteres geht das Geld nun also an die Länder. Haben Sie Zweifel, dass diese das Geld an die Kommunen weiterleiten?
Einen Rechtsanspruch haben die Kommunen nicht. Aber der politische Druck ist wohl so groß, dass das Geld auch bei den Kommunen ankommt.
Wie aber wird es in einigen Jahren aussehen?
Möglicherweise wird der Kreis der Personen, die eine Grundsicherung erhalten, bald erweitert oder Leistungen werden erhöht.
Es soll doch alle zwei Jahre überprüft werden, ob die 409 Millionen Euro, die der Bund den Ländern überweist, noch ausreichen. Genügt das nicht?
Nein, denn hier handelt es sich um politische Verhandlungen, bei denen häufig unübersichtliche Pakete gebildet werden. Niemand kann garantieren, dass dabei die kommunalen Interessen ausreichend beachtet werden.
Wird es Verfassungsklagen geben?
Ja, sieben Landkreise aus verschiedenen Bundesländern sind bereit, nach Inkraftreten des Gesetzes beim Bundesverfassungsgericht zu klagen.
Wird den Rentnern die Grundsicherung gestrichen, falls die Klage erfolgreich ist?
Nein, die Rentner müssen sich keine Sorgen machen. Auch wenn die Zuständigkeitsregelung im Bundesgesetz gestrichen wird, würden die bedürftigen Personen ihre Grundsicherung in voller Höhe erhalten. Es geht hier nur um einen Streit zwischen Kommunen, Bund und Ländern.
Wie relevant ist dieser Streit? Gibt es auch andere Gesetze, bei denen der Bund Aufgaben direkt den Kommunen zugewiesen hat?
Bekanntestes Beispiel ist das Bundessozialhilfegesetz von 1961, an dem sich auch die Gefahr für die Kommunen deutlich machen lässt. Damals war das noch ein überschaubares Gesetz, doch heute müssen die Kommunen plötzlich für die Kosten der Langzeitarbeitslosigkeit und der Familienarmut aufkommen.
INTERVIEW: CHRISTIAN RATH
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